Gedenken an Max Zienow als stillen Helden der NS-Zeit

"Eine deutsche Kugel ist zu schade für Sie"

Als Katholik vertrat Max Zienow auch im Nazi-Deutschland seine christliche Überzeugung. Er macht keinen Hehl daraus, dass er die NS-Ideologie für unvereinbar mit dem Christsein hielt. Dafür wurde er am 9. Oktober 1944 hingerichtet.

Autor/in:
Gudrun Niewöhner
2019 wurde in Köln ein Stolperstein für Max Zienow verlegt / © Gudrun Niewöhner (Bistum Münster)
2019 wurde in Köln ein Stolperstein für Max Zienow verlegt / © Gudrun Niewöhner ( Bistum Münster )

Bevor Maria Zienow Platz nehmen kann, schiebt ihr die Nachbarin schnell noch ein Kissen auf den Stuhl. So sitzt es sich für die 102-Jährige besser – und höher. "Mit meinen knapp 1,40 Metern war ich überall immer die Kleinste", sagt Maria Zienow und lächelt eher verschmitzt als verzweifelt. Schließlich hat das Schicksal ihr einiges mehr abverlangt. Maria Zienows Leben erzählt Geschichte: Ihr Vater gehört zu den "stillen Helden" im Nationalsozialismus – jenen Menschen, die sich dem Nazi-Regime widersetzten und dabei ihr Leben riskierten.

1891 in Saerbeck geboren, in der St.-Georg-Pfarrkirche katholisch getauft und in der Gartenstraße Münster mit einer Schwester und einem Bruder aufgewachsen, wurde Max Zienow 1944 wegen seiner christlichen Überzeugung in Berlin erhängt. Zum Gedenken an den Architekten, der in leitender Funktion bei der Stadt beschäftigt war, wurde in Köln, dem Lebensmittelpunkt der Familie, 2019 ein Stolperstein verlegt.

Ein selbstbewusster Mann

Fast 80 Jahre sind seit der Ermordung des Vaters vergangen. Doch die Erinnerungen der Tochter sind kaum verblasst. "Er war ein selbstbewusster Mann", beschreibt ihn Maria Zienow und ihre Stimme klingt stolz. Tolerant sei er gewesen und habe nie jemanden überfordert. Max Zienow wollte, dass seine Tochter Kinderärztin wird. Sie aber wollte lieber als Kindergärtnerin arbeiten. Er willigte ein. Sie verließ das Gymnasium nach dem "Einjährigen", dem Realschulabschluss.

Für seine Tochter Maria ist Max Zienow bis heute ein Held. / © Gudrun Niewöhner (Bistum Münster)
Für seine Tochter Maria ist Max Zienow bis heute ein Held. / © Gudrun Niewöhner ( Bistum Münster )

Die nationalsozialistischen Tendenzen gefielen dem politisch interessierten Max Zienow, der sozialdemokratisch wählte, schon vor 1933 nicht. Sein Glaube und die NS-Weltanschauung passten für den bekennenden Katholiken und Kirchgänger nicht zusammen. Das sagte er auch öffentlich - trotz wiederholter Warnungen: "Eine Kollegin, die es gut mit ihm meinte, bat ihn, vorsichtiger zu sein." Doch Vater Max zeigte keine Angst. Diesen Mut bewundert seine Tochter noch heute.

Freundschaft mit Juden

Die Zienows pflegten einen engen Kontakt zu jüdischen Freunden und Nachbarn. Daran hielten sie auch fest, als der Umgang untersagt wurde. "Wir haben uns gegenseitig eingeladen", denkt Maria Zienow gerne an das Spielen mit den anderen Kindern zurück.

Wer Max Zienow angeschwärzt hat, weiß Tochter Maria bis heute nicht. Vielleicht der Handwerker, dem der Vater als Verantwortlicher einen städtischen Auftrag nicht erteilt hatte? Oder jemand, dem das gute Verhältnis der Zienows zu den Juden missfiel? Eine Antwort auf diese Fragen kann es nicht mehr geben.

Nikolausrazzia

Am Nikolaustag 1943 stand ein NS-Trupp vor der Haustür der Familie in der Kölner Virchowstraße. Die Männer drangen in die Wohnung ein, rissen Schränke auf, durchsuchten die Zimmer. "Sie haben aber kein belastendes Material gefunden", erfuhren Mutter Berta und Tochter später.

Trotzdem nahmen die Nationalsozialisten den Vater mit, verhörten ihn in der Untersuchungsanstalt Klingelpütz. "Meine Mutter und ich haben ihn dort besucht." Als er von dort ins Zuchthaus nach Siegburg und 1944 zur Verhandlung nach Berlin gebracht wurde, wollte Berta Zienow nicht, dass die Tochter mitfuhr: "Sie hat mich geschützt aus Sorge, dass ich in Sippenhaft genommen werde."

Verurteilt zum Tod

Zur Verhandlung des Vaters reiste Mutter Zienow mit einer Bekannten. Der Richter am Volksgerichtshof verurteilte Max Zienow wegen Volksverhetzung zum Tod durch Erhängen. Die Begründung hat die Tochter nie vergessen: "Eine deutsche Kugel sei zu schade für ihn – so hieß es." Der Schock über das Urteil sei groß gewesen, die Mutter verzweifelt. 

Monate später, nachdem sich durch das fehlgeschlagene Attentat vom 20. Juli auf Adolf Hitler die Lage verschärft hatte, wurde Zienow am 9. Oktober 1944 umgebracht. Im Alter von 53 Jahren. Lange haderte Maria Zienow mit dem, was die Nazis ihrem Vater vorgeworfen hatten: "Volksverhetzung ist ein hässliches Wort."

Beschwerlicher Alltag

Der Alltag für die zurückgebliebene Familie war beschwerlich, auch nach dem Ende des Krieges: "Meine Mutter wollte keine Entschädigungszahlung.“ Maria Zienow und ihre erwachsene Tochter lebten auf engstem Raum in einer Dachkammer in Köln. Jahre später kauften sie sich eine kleine Wohnung, in der Maria Zienow heute noch zu Hause ist.

Die zierliche, alte Dame spricht leise und höflich. Sie möchte niemandem ihre Familienvergangenheit aufdrängen, aber mahnen möchte sie. Die Geschichte dürfe sich nicht wiederholen.

"Dafür war er nicht der Typ"

Ihr Vater sei nicht im Widerstand organisiert gewesen, er habe keiner Gruppe angehört. "Dafür war er nicht der Typ. Er hat aber getan, was er für richtig hielt", sagt Maria Zienow. Und wieder klingt sie stolz. Für seine Tochter ist er ein Held, für die Gesellschaft auch. Seine Asche wurde auf dem Ehrenfriedhof in Köln-Weiden beigesetzt.

Stolpersteine von Gunter Demnig

Über 70.000 Stolpersteine hat er schon verlegt - fast überall in Europa erinnern sie an das Schicksal von deportierten Juden. Doch am Ziel ist der Künstler Gunter Demnig noch längst nicht. Junge Menschen könnten anhand von Einzelschicksalen die NS-Verbrechen besser aufarbeiten, sagte er im Interview der Deutschen Presse-Agentur. Deshalb will er noch viel mehr Stolpersteine vor Häusern verlegen, in denen die Menschen einst lebten.

Gunter Demnig verlegt 70.000. Stolperstein / © Thomas Rohnke (epd)
Gunter Demnig verlegt 70.000. Stolperstein / © Thomas Rohnke ( epd )
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