Die Sorge um die Sicherheit von Juden in Deutschland nimmt zu. Am Wochenende gab es zahlreiche warnende Stimmen – auch angesichts mehrerer Demonstrationen mit israelfeindlichen Plakaten und Sprechchören.
Nach Ansicht des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, ist das jüdische Leben seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel massiv bedroht. Die Angst sei tief verankert, schrieb er in einem Gastbeitrag für "Welt am Sonntag" zum 85. Jahrestag der Nazi-Pogrome vom 9. November 1938.
In die Mitte vorgedrungen
Jüdische Eltern hätten Angst, ihre Kinder zur Schule zu schicken, geschweige denn zum Sport: "Die Wahrheit ist, dass die Verunsicherung und die Angst bei all dem Hass auf den Straßen und vor allem im Netz so schnell nicht gebändigt werden kann."
Schuster kritisierte rechte, linke und muslimische Kreise. Judenfeindlichkeit sei "keine Sache der Ränder unserer Gesellschaft", fügte er hinzu: "Hinter vorgehaltener Hand ist Antisemitismus bis in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen. Kulturinstitutionen und Kulturschaffende, woke Individualisten, die sonst ihre Moral locker auf der Zunge tragen, sind im besten Fall abgetaucht."
Entschiedeneres Eingreifen
Nach Demonstrationen am Wochenende in Berlin, Düsseldorf und Essen forderte der Zentralrat der Juden ein entschiedeneres Eingreifen gegen Judenfeindlichkeit und anti-israelische Parolen. Es dürfe "keine falsch verstandene Toleranz mit Islamisten" geben.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) rief im "Mannheimer Morgen" (Montag) zu mehr Zivilcourage auf, um Jüdinnen und Juden gemeinschaftlich zu schützen: "Wer Juden in Deutschland angreift, greift uns alle an." Ihn bedrücke der Antisemitismus im Land – "egal, von woher er kommt, ob von ewig Gestrigen, von links, von rechts, ob er aus religiösen oder atheistischen Motiven entsteht". Es gebe "glasklare Gesetze", die auch durchgesetzt werden müssten: "Es ist strafbar, israelische Fahnen zu verbrennen. Es ist strafbar, den Tod von Unschuldigen zu bejubeln. Es ist strafbar, antisemitische Parolen zu brüllen."
Schnelle Eskalation
Die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer sagte an ihrem 102. Geburtstag in "Bild am Sonntag", sie mache sich große Sorgen: "Auch damals hat es klein angefangen und ist ganz schnell eskaliert. Ich hätte es mir nicht vorstellen können, dass wir jemals wieder an den Punkt kommen, dass jüdische Deutsche sich in ihrem Land nicht mehr sicher fühlen können."
Historiker Meron Mendel sieht zu wenig Solidarität mit Juden in Deutschland und zu wenig Gegenwehr gegen Antisemitismus. Es sei enttäuschend, "wie wenig die Menschen in Deutschland überhaupt reagieren", sagte der Leiter der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt der "Neuen Osnabrücker Zeitung".
Mehr Einsatz gegen Judenhass
Die Kölnische Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit forderte mehr Einsatz gegen Judenhass an deutschen Schulen. Viel zu lange habe man dort antisemitische Beleidigungen ignoriert, sagte der Vorsitzende Jürgen Wilhelm dem Kölner katholischen Portal domradio.de: "Die Furcht stand im Raum, dass man glaubte, wenn man insbesondere muslimische Menschen in Deutschland ansprach, dass man sich dann als antimuslimisch verhalten würde. Das ist natürlich Unsinn."
Die Frankfurter Islamwissenschaftlerin Susanne Schröter sagte der katholischen Wochenzeitung "Die Tagespost", sie befürchte eine Zunahme von Gewalttaten auch in Deutschland durch linke und islamistische Israel-Gegner.