Stuttgarter Stadtdekan warnt vor Kämpfen gegen den Zeitgeist

"Speziellen liberalen Weg fortsetzen"

Eine Woche nach dem 75. Geburtstag von Bischof Gebhard Fürst befindet sich das Bistum Rottenburg-Stuttgart in der Sedisvakanz. Stadtdekan Christan Hermes sieht die Diözese gut aufgestellt und hofft auf einen liberalen Nachfolger.

Luftpanoramasicht auf den berühmten Schlossplatz in Stuttgart, Deutschland. / © Roxana Bashyrova (shutterstock)
Luftpanoramasicht auf den berühmten Schlossplatz in Stuttgart, Deutschland. / © Roxana Bashyrova ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Rückläufige Mitgliederzahlen, Kirchenaustritte, aber kaum Kirchenschließungen. In welcher Situation befindet sich das Bistum nach dem Amtsverzicht von Bischof Fürst?

Christian Hermes / © Harald Oppitz (KNA)
Christian Hermes / © Harald Oppitz ( KNA )

Monsignore Dr. Christian Hermes (Stadtdekan von Stuttgart): Sie sagen es schon. Natürlich sind wir betroffen von der allgemeinen Situation: Kirchenkrise, Austritte, Glaubwürdigkeitsverlust. Ich arbeite auch im Finanz- und Haushaltsausschuss mit und bekomme mit, dass Rottenburg-Stuttgart eine vergleichsweise wohlhabende Diözese ist.

Im Diözesanrat haben wir über Jahre Zeit gehabt, uns an die Kirchensituation zu adaptieren und Projekte zu initiieren, so dass Stuttgart noch einmal weiter voran ist. Seit zehn Jahren stecken wir in einem Prozess, der die Standorte weiterentwickelt und ich kann sagen: Gott sei Dank haben wir es auch geschafft, uns immer gut weiterzuentwickeln.

Wir schließen nicht einfach Kirchen und erzeugen damit Brachen, wo nichts mehr geschieht, sondern probieren für das Gemeinwohl, für die Gesellschaft, für die Gemeinschaft etwas Sinnvolles zu schaffen, wenn wir dabei gleichzeitig den kirchlichen Raum verkleinern. Dafür schließen wir uns zum Beispiel mit karitativen Trägern zusammen.

Einer der letzten Beschlüsse mit Bischof Gebhard ist, dass wir unseren Gebäudebestand aus den letzten Jahrzehnten deutlich reduzieren müssen. Ich bin zuversichtlich, dass wir durch die frühe Planung und Umsetzung ein bisschen Luft haben, um sinnvolle Entwicklungen einzuleiten.

DOMRADIO.DE: Welche Initiativen hat denn Bischof Fürst sonst noch angestoßen, von denen Sie sich eine Fortsetzung erhoffen?

Hermes: Noch wichtiger als die Steine sind die Menschen. Bischof Gebhard hat da schon auch Maßstäbe gesetzt. Nehmen wir die Aufklärung von sexuellem Missbrauch, wo er ganz früh - viel früher als andere - vorangegangen ist.

Monsignore Dr. Christian Hermes

"Wir sind jedenfalls wild entschlossen, dass wir diesen vielleicht etwas speziellen liberalen Weg, den wir hier im Südwesten pflegen, fortsetzen möchten."

Oder als Zweites das Rottenburger Modell einer synodalen, partizipativen Kirche, das ich sehr stark machen möchte als Initiative um eine zeitgenössische, offene, diakonische und missionarische Kirche. Das ist durch den Bischof angestoßen worden, aber auch mit ganz vielen Menschen im Bistum, die sich in den Gremien engagieren.

Vieles ist ihm gelungen, das wir fortsetzen und sicher auch noch intensivieren müssen. Wir sind jedenfalls wild entschlossen, dass wir diesen vielleicht etwas speziellen liberalen Weg, den wir hier im Südwesten pflegen, fortsetzen möchten.

DOMRADIO.DE: Rechnen Sie gegebenenfalls auch mit Widerstand aus Rom, wie es zum Beispiel beim Synodalen Weg der Fall ist?

Hermes: Selbstverständlich. Das bezeichnet die Spannung der Kirche in Deutschland. Wir haben darüber diskutiert, wie Laien über gewählte Gremien an der Bestellung des Bischofs beteiligt werden können. Es gibt viele Themen.

Monsignore Dr. Christian Hermes

"Ich kann vor Disziplinierungsversuchen warnen. Das wird hier im Südwesten ganz schlecht aufgenommen."

Es wird spannend jemanden zu finden, der dieses herausgehobene und verantwortungsvolle Amt tragen kann. Das Amt ist größer als ein einziger Mensch, wenn er nicht Jesus selber ist, schaffen kann. Daher ist die Frage der Verteilung dieser Verantwortung auf viele Schultern wichtig, damit diese Verantwortung gemeinsam getragen werden kann.

Ich kann vor Disziplinierungsversuchen warnen. Das wird hier im Südwesten ganz schlecht aufgenommen. Wir müssen mit Klugheit und Augenmaß in Kontext und in Einbindung der Weltkirche und der Kirche in Deutschland unsere Wege finden.

DOMRADIO.DE: Welche Pläne haben Sie, um die Laien in die Auswahl des neuen Bischofs stärker mit einzubinden, als es bislang Usus war bzw. es das Kirchenrecht vorsieht?

Hermes: Der Synodale Weg hatte große Pläne. Wir hatten große Pläne. Es gibt mehrere Beschlüsse dazu. Zuletzt gab es dazu Spannungen im Diözesanrat. Wir kennen das Konkordat. Wir kennen das Kirchenrecht. Wir kennen aber auch den Wunsch nach mehr Beteiligung, der nirgendwo in Deutschland realisiert werden konnte.

Wir haben für Januar eine Einladung des Domdekans, der vormals Generalvikar unter Bischof Fürst war und jetziger Diözesanadministrator ist, zu einem Austauschtreffen mit dem bisherigen Diözesanrat und dem Domkapitel. Dort wollen wir zumindest gemeinsam über das Profil der Herausforderungen der Anforderungen an den neuen Bischof überlegen.

Monsignore Dr. Christian Hermes

"Man spürt jedes Mal eine gewisse Unsicherheit darüber, ob sich tatsächlich noch ein Mensch findet, der dieses hoch verantwortungsvolle, vielleicht auch überfordernde Amt des monarchischen Episkopats übernimmt und die damit verbundenen enormen Spannungen aushalten oder sogar moderieren kann."

So wollen wir den Diözesanrat beteiligen, der selbst beschlossen hat, die Ergebnisse dieses Treffens festzustellen und zur Grundlage einer konstruktiven und fortschrittsorientierten Zusammenarbeit mit dem neuen Bischof zu machen.

DOMRADIO.DE: Vier deutsche Bistümer warten derzeit auf einen neuen Bischof. Paderborn und Bamberg schon seit über einem Jahr. Für beide soll die lange Zeit am Samstagmittag enden. Mit was für einer Dauer der Sedisvakanz rechnen Sie für Rottenburg-Stuttgart?

Hermes: Das weiß nur der Heilige Geist. Die Vakanzen von über einem Jahr dauern zu lange. Das ist seit vielen Jahren eine Klage. Man spürt jedes Mal eine gewisse Unsicherheit darüber, ob sich tatsächlich noch ein Mensch findet, der dieses hochverantwortungsvolle, vielleicht auch überfordernde Amt des monarchischen Episkopats übernimmt und die damit verbundenen enormen Spannungen aushalten oder sogar moderieren kann. Wir rechnen aufgrund der bisherigen Erfahrungen, dass es ein Jahr dauert. Wenn es kürzer dauert, ist es schön. Wenn es länger dauert, ist es nicht schön.

DOMRADIO.DE: Mit 1,7 Millionen Katholiken ist das Bistum Rottenburg-Stuttgart das viertgrößte Bistum Deutschlands. Was für Eigenschaften wünschen Sie sich denn von einem neuen Bischof?

Hermes: Wenn ich vielleicht die spaßhafte Bemerkung aufgreifen darf: Für Kirchenleitung überhaupt braucht es in dieser Zeit fast schon übermenschliche Fähigkeiten. Wirklich entscheidend ist aber die Verbundenheit mit Jesus Christus und eine glaubwürdige geistliche Authentizität.

Es geht nicht darum, weiter zu wursteln oder den Laden irgendwie am Laufen zu halten. Darüber sind wir längst hinweg. Wenn wir die Studien über die Kirchenmitgliedschaft ernst nehmen, wird es darauf ankommen, dass jemand ein solches authentisches Profil mitbringt.

Es braucht jemanden, der pastoral, klug, theologisch gebildet und diskursfähig ist. Als Leiter einer Großstadtkirche möchte ich noch hinzufügen: Er soll nicht versuchen, gegen die moderne Welt anzugehen, sondern in dieser modernen Welt den christlichen Glauben und diese Kirche mit all ihrem Großartigen, was wir haben und was wir tun, verkörpern.

Das Interview führte Jan Hendrik Stens.

Sedisvakanz

Der Begriff Sedisvakanz kommt aus dem Lateinischen und bedeutet "leerer Stuhl". Er bezeichnet die Zeit, in der ein katholisches Bistum keinen amtierenden Diözesanbischof hat, der Bischöfliche Stuhl also nicht besetzt ist.

Die Sedisvakanz ist im Kirchenrecht geregelt. Danach müssen die Mitglieder des Domkapitels eines Bistums innerhalb von acht Tagen einen Diözesanadministrator wählen, der das Bistum bis zum Amtsantritt eines neuen Bischofs leitet.

Leerer Stuhl: Auf dem sitzt der Papst bei seiner Generalaudienz / © Evandro Inetti (dpa)
Leerer Stuhl: Auf dem sitzt der Papst bei seiner Generalaudienz / © Evandro Inetti ( dpa )
Quelle:
DR