Jeder freut sich, wenn er oder sie ein Schnäppchen machen kann, gerade jetzt zur Weihnachtszeit. Aber warum können Hosen für sieben Euro oder weit gereiste Bananen für 99 Cent angeboten werden?
Weil die Kosten Andere tragen: Plantagenarbeiter, die nur Hungerlöhne bekommen; Kinder, die in Textilfabriken arbeiten, anstatt zur Schule zu gehen. Oder Kommunen, deren Flüsse und Landflächen durch den Einsatz von Chemikalien in der Industrie verseucht werden.
Überall auf der Welt leiden Mensch und Natur entlang der Wertschöpfungsketten für Waren, die in Europa und den USA verkauft werden. Das soll ein Lieferkettengesetz, auf das sich Unterhändler des Europaparlaments und der EU-Staaten in der Nacht zum Donnerstag geeinigt haben, jetzt verhindern.
Künftig sollen große Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie etwa von Kinder- oder Zwangsarbeit außerhalb der EU profitieren. Größere Unternehmen müssen zudem einen Plan erstellen, wie ihr Geschäftsmodell mit dem Pariser Abkommen zum Klimawandel vereinbar ist.
Weiter gehende Regelungen als in Deutschland
Beim Internationalen Kolpingwerk begrüßt man diesen Schritt. Das Gesetz biete die Chance, Menschen und Umwelt in den weltweiten Liefer- und Wertschöpfungsketten besser zu schützen, sagt der Generalsekretär des katholischen Verbandes, Markus Demele.
Positiv sei auch eine zivilrechtliche Haftung. Künftig können Betroffene vor Gericht ziehen. Damit geht die Regel über das in Deutschland bereits geltende Lieferkettengesetz hinaus. Die größte Schwäche des Kompromisses sei allerdings die Sonderbehandlung des Finanzsektors: "Banken und Investoren müssten auch verpflichtet werden, bei der Vergabe von Krediten und Investitionen Menschenrechte, Umwelt und Klima zu achten", fügt Demele hinzu, "auch bei den Klimapflichten greift die Einigung viel zu kurz und bietet Unternehmen zu viel Raum für Greenwashing."
Kolping International gehört der "Initiative Lieferkettengesetz" an, ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis aus Menschenrechts-, Entwicklungs- und Umweltorganisationen, Gewerkschaften und Kirchen. Immer wieder hatten sie auf die Notwendigkeit eines solchen Gesetzes hingewiesen.
Der katholische Entwicklungsverband hat 400.000 Mitglieder in 60 Ländern, viele davon im globalen Süden. "Wir sind in der Pflicht, Menschenrechte überall in der Welt durchzusetzen", erklärt der Generalsekretär, "und wir stehen damit auch in der Tradition unseres Gründers Adolph Kolping, der sich schon im 19. Jahrhundert mit der sozialen Frage auseinandersetzte."
Erst kürzlich war Demele auf einer Teeplantage in Sri Lanka: "Da leben Menschen quasi in Schuldknechtschaft und werden ausgebeutet", erzählt er. "Und der Tee, den sie verarbeiten, liegt auch in deutschen Supermarktregalen."
Deutschland muss nachbessern
In Deutschland gibt es bereits seit dem 1. Januar 2023 das "Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz", das derzeit Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitenden verpflichtet, für die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards bei der gesamten Produktionskette Sorge zu tragen.
Gegen erste Firmen wurde in diesem Jahr bereits Beschwerde erhoben, unter anderem gegen die Supermarktketten Rewe und Edeka, sowie Amazon, Ikea und BMW.
Auch auf europäischer Ebene wird nach der Einigung jetzt ein Lieferkettengesetz kommen. Das macht Demele zufolge auch Sinn, um einen Unterbietungswettbewerb - wie es ihn bereits im Steuerrecht gibt - zu verhindern. Und je mehr Staaten mitmachen, desto wirksamer wird das Gesetz. Deutschland muss jetzt allerdings nachbessern, denn die europäischen Beschlüsse sehen deutlich weitreichendere Regelungen vor.
Großer Widerstand
Es hatte erheblichen Widerstand gegeben, nicht nur aus Ländern mit rechtsgerichteten Regierungen, sondern auch in der Bundesregierung, obwohl ein europäisches Lieferkettengesetz im Koalitionsvertrag festgeschrieben ist. Angesichts von Energiekrise, Inflation und Uneinigkeit in der Koalition wollte man sich in Berlin offenbar nicht noch mehr aufhalsen.
Die Frage nach der zivilrechtlichen Haftung von Unternehmen sieht man kritisch. Vor allem die FDP hatte auf möglichst weiche Regelungen gedrungen. Die großen Wirtschaftsverbände kritisierten ein Lieferkettengesetz als "nicht praxistauglich" und "Bürokratiemonster".
Natürlich sei es Mehraufwand, so Markus Demele von Kolping, "aber wir reden hier nicht von netten Goodies, sondern über die Durchsetzung basaler Menschenrechte, die in Europa Standard sind." Er ist überzeugt: Wenn Unternehmen in der Lage sind, die Qualität entlang der Lieferketten zu sichern, dann können sie auch die Produktionsbedingungen überprüfen.
Und auch die Kosten seien überschaubar. Einer Studie der EU zufolge würde sich die Zusatzbelastung für Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten auf weniger als 0,01 Prozent des Umsatzes belaufen.
Kirchen auch für ein Lieferkettengesetz
Noch im Juli hatten 160 Vertretende unterschiedlicher Glaubensgemeinschaften und Kirchen weltweit die Europäische Union aufgefordert, ein Lieferkettengesetz zu verabschieden. Dadurch könnten Katastrophen wie der Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesh im Jahr 2013 verhindert werden. Damals starben über 1.000 Arbeiterinnen und Arbeiter.
"Das sind keine unvermeidbaren Schicksale und Unfälle, sondern das Ergebnis unverantwortlicher Geschäftspraktiken", so der Freiburger Erzbischof Stephan Burger, der als "Misereor-Bischof" zu den deutschen Unterzeichnern im Sommer 2023 gehörte.
Und bereits im Jahr 2022 hatte Bischof Heiner Wilmer vor einer Verwässerung des Lieferkettengesetzes gewarnt. Angesichts des Drucks von Unternehmen bestehe die Gefahr, dass es aufgrund vermeintlich zu hoher Belastung für die Unternehmen zu Abschwächungen komme, so damals der Vorsitzender der Deutschen Kommission Justitia et Pax.
Keine Alternative
Großer Widerstand kam vor allem auch aus den Reihen der Christdemokraten in Deutschland und Europa: zu bürokratisch, wettbewerbsgefährdend und schlicht nicht Aufgabe der Unternehmen, sich um die Durchsetzung von Menschenrechten entlang ihrer Lieferkette zu kümmern, lautete das Argument.
"Natürlich ist das Lieferkettengesetz eine Krücke", gibt Markus Demele von Kolping zu. Besser wäre es, wenn in allen Produktionsländern Rechtsstaatlichkeit, gute Arbeitsbedingungen und Kontrollen herrschten, sodass nicht Unternehmen und Konsumenten die Verantwortung tragen müssten. "Das haben wir aber nicht", stellt er fest. Darum dieses Gesetz.
An dem Punkt beobachtet er bei vielen Unionspolitikern Sprachlosigkeit. "Wer Lieferkettengesetze ablehnt, muss erklären, wie dann tödliche Ausbeutung und Menschenrechtsverletzungen bei der Herstellung von Waren europäischer Unternehmen unterbunden werden können", fordert er.
"Doch bis auf freiwillige Selbstverpflichtungen, die ihre Wirkungslosigkeit in den letzten 20 Jahren hinlänglich bewiesen haben, kommt leider kein konkreter Vorschlag just aus dem politischen Lager, zu dessen Gründungsgeschichte der Rekurs auf die Katholische Soziallehre gehört."
Es reiche nicht, sich für Menschenrechte und gegen Kinderarbeit auszusprechen, man müsse auch handeln: "Und aus unserer Sicht ist ein Lieferketengesetz aktuell der beste Schritt, um dem näher zu kommen."