Jesuiten-Flüchtlingsdienst kritisiert EU-Asylbeschlüsse

"Gewonnen haben die Populisten, nicht die Schutzsuchenden!”

Während die EU ihre Einigung über ein gemeinsames Asylsystem als historisch feiert, warnen NGOs vor einem "Europa der Haftlager”. Auch der Jesuiten-Flüchtlingsdienst sieht "unendliches Leid” auf Geflüchtete zukommen.

Symbolbild Flüchtlingsunterkunft / © Julia Steinbrecht (KNA)
Symbolbild Flüchtlingsunterkunft / © Julia Steinbrecht ( KNA )

DOMRADIO.DE: Ein halbes Jahr vor der Europawahl 2024 hat sich die EU auf eine grundlegende Reform des gemeinsamen Asylsystems verständigt und sich damit als handlungsfähig erwiesen. Könnte das nicht erst einmal ein wichtiges Zeichen in Richtung rechter Populisten sein, die die Themen Asyl und Migration ja schon lange hemmungslos instrumentalisieren? 

Pater Claus Pfuff SJ / © Christian Ender (JRS)
Pater Claus Pfuff SJ / © Christian Ender ( JRS )

Pater Claus Pfuff SJ (Leiter Jesuiten-Flüchtlingsdienst Deutschland / JRS): Was wir bisher über die Einigung erfahren haben, lässt eher befürchten, dass man sich damit auf die rechten Populisten zubewegt. Denn mit der sogenannten Reform werden massive Eingriffe in Menschenrechte von Asylsuchenden und von Schutzsuchenden verbunden sein. 

Das lässt natürlich bei uns die Frage aufkommen: Wie geht die Europäische Union mit ihren eigenen Werten um? Wie kann sie sich als einen Raum von Freiheit und Sicherheit des Rechts verstehen, wenn sie sich mit Zäunen gegen Menschen umgibt, die vor Verfolgung, Gewalt und Not fliehen mussten? 

Pater Claus Pfuff

"Für uns ist auf jeden Fall wichtig, dass Asylverfahren fair sind."

DOMRADIO.DE: Asylverfahren sollen demnächst an den EU-Außengrenzen abgewickelt werden und Menschen mit wenig Aussichten auf Anerkennung dazu unter haftähnlichen Umständen in Lagern festgehalten werden. Pro Asyl beispielsweise warnt jetzt vor einem "Europa der Haftlager”. Was ist Ihre Einschätzung? 

Pfuff: Man kann sich ja zurzeit gar nicht vorstellen, wie das funktionieren soll. Für uns ist auf jeden Fall wichtig, dass Asylverfahren fair sind. Das heißt unter anderem auch, dass Menschen Informationen erhalten, worauf es in diesen Verfahren ankommt, und rechtliche Hilfe. 

Wie soll das in solchen haftähnlichen Einrichtungen an den Außengrenzen der EU sichergestellt werden? Das ist die große Frage, die bleibt. 

DOMRADIO.DE: Auch für Familien mit Kindern soll es keine Ausnahme geben. Was hat das für Konsequenzen? 

Pfuff: Aus unserer Sicht folgt daraus unendliches Leid. Können Sie sich ausmalen, welche psychischen Folgen es für Kinder und ihre Familien hat, wenn sie über Wochen oder Monate eingesperrt werden und gar nicht wissen, was weiter mit ihnen passieren wird? 

Sie kommen ja nicht mit dem Flugzeug oder mit dem Auto angefahren, sondern haben schon einen langen und beschwerlichen Weg hinter sich. Wenn sie dann noch so etwas erleben müssen, bedeutet das unendliches Leid. 

DOMRADIO.DE: Es ist noch nicht wirklich klar, in welche Länder abgeschoben werden soll. Was bedeutet das Ganze für die Erfolgsaussichten dieser Reform? 

Pfuff: Man wird wohl zuerst versuchen, die Menschen in die jeweiligen Herkunftsländer abzuschieben. Was aber soll passieren, wenn das nicht möglich ist? Da ist ja noch gar keine Lösung gefunden und man kann die Leute nicht ewig in Gewahrsam festhalten. Das ist einer der großen Knackpunkte der Reform. 

Pater Claus Pfuff

"Es werden weiter Menschen vor Gewalt, Menschenrechtsverletzungen und Not fliehen."

DOMRADIO.DE: Die neuen Regeln sollen abschreckend wirken und Menschen von der Flucht nach Europa von vorneherein abhalten. Aus Ihrer langjährigen Erfahrung mit dem Jesuiten-Flüchtlingsdienst - wird das funktionieren? 

Pfuff: Ganz klar: Nein! Es werden weiter Menschen vor Gewalt, Menschenrechtsverletzungen und Not fliehen. Großteils, wenn wir uns hier bei uns umschauen, haben sie keine andere Wahl, um ihr Leben zu retten. 

Wir befürchten, dass der einzige Erfolg der Reform darin bestehen wird, dass noch mehr Menschen bei der Flucht ums Leben kommen, weil sie noch gefährlichere Wege auf sich nehmen. 

DOMRADIO.DE: Die EU sagt, diese Beschlüsse seien ein Gewinn für Migranten. Was sagen Sie? 

Pfuff: Gewonnen haben wohl die rechten Populisten, ganz sicher nicht die Schutzsuchenden. 

Pater Claus Pfuff

"Das wirklich Wichtige für uns ist, den Schutz für Menschen, die flüchten müssen, sicher zu stellen."

DOMRADIO.DE: Was wäre denn aus christlicher Perspektive die wichtigste Nachbesserung? 

Pfuff: Der Jesuiten-Flüchtlingsdienst, der Caritas-Verband und das Katholische Büro in Berlin haben Vorschläge skizziert, wie ein eigentlich reformiertes europäisches Asylsystem aussehen könnte. 

Das wirklich Wichtige für uns ist, den Schutz für Menschen, die flüchten müssen, sicher zu stellen. Und ich denke, das muss nach wie vor im Vordergrund stehen. 

Das Interview führte Uta Vorbrodt.

Quelle:
DR