In der ersten Projektrunde des Projektes InklusionsGuides des Hildegardis-Vereins war unter anderem die Polizei Bonn dabei. DOMRADIO.DE-Redakteurin Nina Odenius und zwei Mitstreiterinnen haben die Polizei innerhalb dieses Jahres als Expertinnen in eigener Sache begleitet.
"Ein Blindfisch im Studium" – so nannte ich einmal eines meiner Referate für ein Seminar an der Uni, in dem ich meine Kommilitoninnen und Kommilitonen über meinen Alltag als blinde Studentin aufklärte. Das Thema Inklusion von Menschen mit Behinderung beschäftigte mich naturgemäß schon früh, da ich als blinde Frau einen Platz in dieser oftmals visuell geprägten Welt haben wollte. Deshalb setzte ich mich schon zu Schul- und Studienzeiten für dieses Thema ein. Im Übergang vom Studium ins Berufsleben stellte ich dann fest, dass es trotz einer guten Ausbildung schwierig ist, als Frau mit Behinderung einen Arbeitsplatz zu finden. Dies hat verschiedene Gründe: Einerseits begegneten mir viele Berührungsängste von Seiten der Unternehmen, andererseits stieß ich auf fehlende Barrierefreiheit. Ich stellte aber auch im Berufsalltag fest, dass gerade die Berührungsängste durch eine offene Begegnung und den Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen rasch abgebaut werden konnten.
Die Arbeitswelt inklusiver gestalten
Genau hier setzt das Projekt "InklusionsGuides" des Hildegardis-Vereins an. Dem Verein, der sich seit über 100 Jahren für die Belange von Frauen einsetzt, liegt das Thema Inklusion ebenfalls am Herzen. Studentinnen und Absolventinnen mit Behinderung sollen im Projekt ein Jahr lang Unternehmen beraten und für die Bedarfe von Menschen mit Behinderung sensibilisieren. "Die Frauen sollen als Expertinnen in eigener Sache zu Wort kommen", erläutert die Projektkoordinatorin Melanie Peschek. "Da die Frauen selbst eine Behinderung haben, können sie ihre Bedarfe viel besser an die Unternehmen und Institutionen herantragen."
Das Netzwerk des Hildegardis-Vereins ist groß und viele Frauen berichteten, dass gerade die Übergänge von der Schule ins Studium oder vom Studium ins Arbeitsleben schwierig sind. Auch eine 2021 von der Aktion Mensch veröffentlichte Studie zur Situation von Frauen mit Schwerbehinderung am Arbeitsmarkt bestätigt dies.
Absolventinnen mit Behinderung sind meist lange auf Jobsuche und begegnen oft Vorurteilen und Diskriminierung – trotz hoher fachlicher Qualifikation. "Frauen mit Schwerbehinderung fühlen sich von Stellenanzeigen nicht angesprochen, da zum Beispiel die Bildsprache sie nicht anspricht", erläutert Birgit Mock, Geschäftsführerin des Hildegardis-Vereins die Ergebnisse der Studie. "Die Frauen vermissen in der Ausschreibung flexible Arbeitszeitmodelle und Arbeit in Teilzeit und deshalb bewerben sie sich erst gar nicht."
Dennoch möchten viele Arbeitgeber Menschen mit Behinderung einstellen, wissen aber nicht, wie das genau gehen soll. Diese Situation hat sich der Hildegardis-Verein für das Projekt "InklusionsGuides" zunutze gemacht, um Unternehmen, Institutionen und junge, motivierte Frauen mit Behinderung zusammenzubringen. Die Projektidee trug der Verein an die "Aktion Mensch" heran, und über den dort ansässigen Bereich "Wege ins Arbeitsleben" konnte das Projekt gefördert werden.
Suche nach Unternehmen und Guides
Um passende Unternehmen und Guides zu finden, verbreitete der Hildegardis-Verein die Projektausschreibung über Newsletter an Hochschulen, die sozialen Medien und das vereinsinterne Netzwerk. Bei der Zusammenführung der Guides und Unternehmen kam es dem Verein vor allem darauf an, dass die Guides eines Teams möglichst unterschiedliche Behinderungen haben, um vielfältige Bedarfe abzudecken.
Ich erfuhr von diesem neuen Projekt durch das Netzwerk des Hildegardis-Vereins. Mich begeisterte das Projekt vor allem deshalb, weil ich als Frau mit Behinderung, die seit kurzem im Berufsleben steht, meine Erfahrungen weitergeben, aber auch von den Kontakten zu Unternehmen profitieren kann.
Etwas überrascht war ich dann, als ich das Ergebnis des Matchings erhielt, denn mein Weg sollte mich zur Polizei nach Bonn führen. Im ersten Moment fragte ich mich, wie mein Beruf als Journalistin und die Arbeit der Polizei zusammenpassen würden. Wie sollte ich dort meine Expertise einbringen können? Und: Arbeiten bei der Polizei nicht überwiegend sportliche und körperlich fitte Menschen? Aber ich sollte bald eines Besseren belehrt werden.
Auch die Polizei hatte vom Projekt durch Kontakte zum in Bonn ansässigen Hildegardis-Verein erfahren. "Da habe ich nicht lange überlegen müssen, weil mir die Themen Inklusion und Barrierefreiheit sehr am Herzen liegen", betont Polizeipräsident Frank Hoever in der Rückschau.
Gemeinsam auf den Weg machen
So starteten wir im November 2022 in unser gemeinsames Jahr als InklusionsGuides in Zusammenarbeit mit der Polizei Bonn. An meiner Seite als Guides waren die Informatikstudentin Jessica Maranon und die Jurastudentin Julia Oedekoven – beide haben im Gegensatz zu mir eine nicht sichtbare Behinderung. Wir wurden mit sehr viel Offenheit und Herzlichkeit von der Polizei in Bonn empfangen. "Es war eigentlich nie Skepsis, sondern Neugier bei diesem Programm dabei", berichtet der Personaldezernent und Inklusionsbeauftragte der Polizei Bonn Dr. Christoph Schneider. Er ergänzt: "Zunächst gar nicht mit einer großen Erwartungshaltung verbunden, sondern einfach mit dem Interesse daran, neue Impulse zu erhalten und zu schauen, wo der Weg hinführt."
Wir als Guides waren sehr gespannt darauf, inwieweit die Verantwortlichen der Polizei unsere Ratschläge annehmen und umsetzen würden.
Wir trafen uns regelmäßig digital und in Präsenz im Polizeipräsidium. Für das Projektjahr hatten wir uns viel vorgenommen: Wir prüften die Website der Polizei auf Barrierefreiheit und gaben wichtige Impulse zur Verbesserung. Ein großes Augenmerk legten wir auf den Bewerbungsprozess. Wir schauten uns die Stellenausschreibungen an und machten uns daran, sie an die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung anzupassen. Dabei waren uns vor allem Punkte wie flexible Arbeitszeitmodelle und Homeoffice-Möglichkeiten, eine klare Struktur der Ausschreibung mit möglichst konkreter Nennung der Aufgaben sowie die Möglichkeit der Kontaktaufnahme mit der Schwerbehindertenvertretung des Arbeitgebers zur Klärung von Fragen im Vorfeld eines Vorstellungsgespräches wichtig.
Wir waren überrascht und erfreut darüber, mit welcher Offenheit und Neugierde man uns bei der Polizei Bonn begegnete und unsere Anregungen umsetzte. Personaldezernent und Inklusionsbeauftragter Dr. Christoph Schneider beschreibt im Interview die Zusammenarbeit mit den Guides und dem Hildegardis-Verein als sehr konstruktiv und vertrauensvoll.
Wir Guides profitierten ebenfalls von dieser guten Zusammenarbeit. Wir begleiteten einen kompletten Bewerbungsprozess und erhielten darüber hinaus Einblicke in die alltägliche Arbeit einer Polizeibehörde. "
Die Zusammenarbeit mit der Polizei hat mir unglaublichen Spaß gemacht", berichtet Julia Oedekoven. "Wir haben sehr viele wertvolle Kontakte zu den Unternehmen und den anderen Guides geknüpft. Außerdem haben wir wirklich etwas verändern können und wurden als Expertinnen ernst genommen." Auch Jessica Maranon ist begeistert von ihrer einjährigen ehrenamtlichen Tätigkeit als "InklusionsGuide": "Ich habe die verschiedenen Perspektiven der einzelnen Menschen, die am Projekt mitgewirkt haben, als große Bereicherung empfunden. Sie haben dazu beigetragen, den gemeinsamen Horizont zu erweitern. Jeder konnte etwas lernen und neue Aspekte für sich mitnehmen."
"Es gibt keine Gründe, Menschen mit Behinderung aufgrund ihrer Behinderung nicht einzustellen."
Für uns Guides und die Polizei Bonn ist unser gemeinsames Projektjahr nun zu Ende. Jetzt komme es darauf an, die gesammelten Erfahrungen und Werte nachhaltig in der Polizeibehörde zu verankern, so Personaldezernent Dr. Christoph Schneider. "Mich hat die Zeit mit den "InklusionsGuides", aber auch die praktische Arbeit hier im Polizeipräsidium Bonn gelehrt, dass es keine Gründe gibt, Menschen mit Behinderung aufgrund ihrer Behinderung nicht einzustellen", betont er gegenüber DOMRADIO.DE. Sandra Dahms von der Schwerbehindertenvertretung erläutert, dass jeder Mensch Stärken und Schwächen habe und eine Behinderung auch im Laufe des Lebens erworben werden könne. In einer Gemeinschaft aus Menschen mit und ohne Behinderung könne man sich im Kollegium gut ergänzen, da jeder von den Stärken des anderen profitiere.
Für Gisela Retz von der Schwerbehindertenvertretung brachte das Projekt einen Perspektivwechsel mit sich. "Früher hätte ich unser Polizeipräsidium als barrierefrei bezeichnet", sagt sie schmunzelnd. "Heute würde ich sagen: Es ist weder barrierefrei noch behindertengerecht." Damit meint sie, dass es im Polizeipräsidium Bonn beispielsweise kein Blindenleitsystem gibt oder die Aufzugtüren zu schnell schließen. Das kann vor allem für Rollstuhlfahrer und -fahrerinnen zum Problem werden. Auch sind nur wenige Aufzüge mit Sprachausgabe ausgestattet, die blinden Menschen die Etagen ansagen.
Ausblick in die Zukunft
Das Thema Inklusion wird weiterhin einen großen Stellenwert in der Polizeibehörde Bonn einnehmen. "So werden wir gezielt Mitarbeitende im Umgang mit Kollegen und Kolleginnen mit Behinderung mit auf den Weg nehmen, um vermeintliche Bedenken und Hemmnisse abzubauen. Uns ist es ein Anliegen, diese Erfahrung, die wir im Projekt sammeln konnten, auch in die Belegschaft weiterzugeben", erläutert Personaldezernent Schneider die Pläne der Polizei Bonn. Auch in anderen Bereichen sei man bereits inklusiv unterwegs, so zum Beispiel durch die Schaffung von betriebsintegrierten Praktika und Arbeitsplätzen für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen mit Schwerbehinderung. Gisela Retz ist es ein Anliegen, die Arbeitsbedingungen der Mitarbeitenden mit Schwerbehinderung, die bereits in der Polizeibehörde beschäftigt sind, weiter zu verbessern. Eine Dienstvereinbarung, die einen Anspruch auf Telearbeit regelt, wurde bereits geschlossen.
Das Projekt "InklusionsGuides" indes ist in die zweite Runde gestartet. Dies eröffnet anderen Unternehmen und Guides die Möglichkeit, voneinander zu profitieren. Des Weiteren soll es einen Fachkongress geben, und eine Publikation mit Handlungsempfehlungen und zur Ergebnissicherung soll veröffentlicht werden. Der Hildegardis-Verein hofft auf eine weitere finanzielle Förderung, um in einer eventuellen dritten Runde noch mehr Unternehmen und Guides zusammenführen zu können. "Und gleichzeitig würden wir das Projekt auch gerne noch etwas vertiefen, um bei denen, die schon mitgemacht haben, eine Folgemaßnahme durchzuführen", ergänzt Hildegardis-Verein Geschäftsführerin Birgit Mock.
Für mich geht es als Guide an die Uni, denn ich werde in Zukunft zusammen mit einer anderen Guide die Universität Bonn auf ihrem Weg zu mehr Inklusion begleiten.