DOMRADIO.DE: In Nicaragua ist der Bischof von Matagalpa, Rolando Álvarez, nach 500 Tagen Haft aus dem Gefängnis entlassen worden, zusammen mit zahlreichen anderen Kirchenleuten. Wie erleichtert sind Sie?
José M. Tojeira SJ (Sprecher der Jesuiten in Zentralamerika): Das ist in zweierlei Hinsicht eine gute Nachricht. Zum einen sind wir froh, dass sie wieder frei sind und zum anderen zeigt der internationale Druck auf die Regierung Ortega offenbar Wirkung. Die Verurteilung von Bischof Rolando Álvarez wegen "Hochverrats" und die Strafe von 26 Jahren Haft waren absurd. Er hatte die Regierung wegen Einschränkung der Pressefreiheit öffentlich kritisiert.
Der Fall hat einmal mehr gezeigt, wie autoritär Nicaraguas Regierung ist. Fast täglich werden Priester, Ordensleute, Schwestern und Laien verhaftet. Sie bekommen keine richtigen Verfahren, ihnen drohen übertriebene Haftstrafen, Ausweisungen und der Entzug der Staatsbürgerschaft – was durch das internationale Recht eigentlich verboten ist. Die Menschenrechtsverletzungen sind so gravierend, dass selbst die letzten, die noch Zugang zu Ortega haben - wie die linken Regierungen in Venezuela und Brasilien - vermutlich auf ihn eingewirkt haben, die Geistlichen wieder freizulassen. Und natürlich hat im Hintergrund auch der Vatikan seinen Einfluss in der Region geltend gemacht.
DOMRADIO.DE: Sie stehen im engen Austausch mit Ihren Mitbrüdern. Im vergangenen Jahr wurde der Jesuiten-Orden in Nicaragua verboten und sein Besitz konfisziert, die Jesuiten-Universität UCA geschlossen. Wie ergeht es Ihren Mitbrüdern dort?
Tojeira: Die meisten sind geblieben und gehen weiter ihrer Arbeit nach. Wir betreiben dort noch zwei Sekundarschulen und das Bildungsnetzwerk "Fe y alegria". Das geht noch, solange man sich nicht öffentlich zur politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Lage im Land äußert. Beten und Schweigen, das ist noch erlaubt. Aber Demokratie, Menschenrechte oder soziale Ungleichheit sind tabu.
Das gilt übrigens auch für die Gottesdienste. Man kann nie sicher sein, ob nicht ein Spitzel der Regierung zuhört und meldet, wenn die Predigt zu kritisch ausfällt. Selbst Beten für die inhaftierten Priester ist verboten. In Matagalpa war es sogar untersagt, beim Hochgebet, wenn es heißt: "Wir beten für die Kirche, für Papst Franziskus und für den Bischof", zu sagen: "Wir beten für unseren Bischof Rolando", obwohl es sein Bistum ist. Man muss aufpassen, in Nicaragua haben die Wände Ohren.
DOMRADIO.DE: Als Daniel Ortega 1979 mit seiner "Frente Sandinista" den rechten Diktator Somoza aus dem Land jagte, flogen ihm die internationalen Sympathien zu. Es gab Beziehungen zur Kirche und der inzwischen verstorbene, auch in Deutschland bekannte Priester und Befreiungstheologe Ernesto Cardenal wurde sogar Minister. Wie kam es zu dem Bruch?
Tojeira: Nach der ersten Wahlniederlage Ortegas 1990 mehrten sich bei den Sandinisten die Stimmen, die eine Einheitspartei und ein Durchregieren forderten. Als sie dann 2006 erneut gewannen, änderten sie schrittweise immer mehr Gesetze zu ihren Gunsten. Das führte zu Kritik von Seiten der demokratischen Kräfte, zu denen auch die Kirche zählt.
Aber der endgültige Bruch erfolgte 2018, als die Sandinisten die Renten kürzen wollten. Es gab Demonstrationen auf den Straßen, gegen die das Regime brutal vorging. Wir sahen Bilder von Rentnern, die zusammengeschlagen wurden. Das hat für eine enorme Empörung bei der Bevölkerung gesorgt und so haben sich die Massenproteste ausgeweitet. Ortega ließ damals auf die Demonstranten schießen, über 300 Menschen wurden getötet.
Die Kirche stellte sich damals auf die Seite des Volkes, bot auch Unterschlupf für Verfolgte. Seitdem versucht Ortega die Kirche, die eine wichtige moralische Stimme im Land ist, zum Schweigen zu bringen. So ergeht es auch zahlreichen NGOs, Menschenrechtsgruppen, Gewerkschaften – sie alle stehe im Fokus der Regierung.
DOMRADIO.DE: Mächtigste Figur innerhalb des Machtapparates ist Ortegas Frau und Vizepräsidentin Rosario Murillo. Das regierungskritische Portal "Despacho505" mutmaßt, dass sie ihre eigene esoterische Kirche schaffen will. Stimmt das?
Tojeira: Sie hat ihre eigene Fernsehsendung und da spricht sie ständig von Gott. Niemals von Jesus übrigens, das ist auch interessant. Sie soll an einem Hexenkongress teilgenommen haben und setzt eine Art religiösen Mystizismus für ihre Machtspiele ein. Aber ich glaube nicht, dass sie eine neue Kirche schaffen will.
DOMRADIO.DE: Würden Sie in Nicaragua von einer "verfolgten Kirche" sprechen?
Tojeira: Jedem, der sich in Nicaragua auf die christliche Soziallehre beruft, drohen Gefängnis, Ausweisung, Konfiszierung des Eigentums oder Entzug der Staatsbürgerschaft. Oder Mord und Folter. Die Päpstliche Nuntiatur in Managua wurde geschlossen, Priester und Bischöfe wurden ausgewiesen, Ordensfrauen vertrieben. Ohne Zweifel wird die Kirche in Nicaragua verfolgt.
DOMRADIO.DE: Wie blicken Sie auf die Zukunft Nicaraguas? Kann es eine Lösung geben?
Tojeira: Die Katholiken in Nicaragua brauchen unsere Solidarität. Mit finanzieller Unterstützung ist das nicht ganz einfach, weil die Sandinisten ihren Kritikern – beispielsweise der Kirche, NGOS oder sozialen Einrichtungen – häufig Geldwäsche vorwerfen und dann Konten sperren oder Gelder konfiszieren. Deswegen ist es derzeit schwierig, für die Menschen in Nicaragua zu spenden.
Aber Solidarität drückt sich auch darin aus, immer wieder hinzuschauen und internationalen Druck aufrechtzuerhalten. Wir müssen immer wieder die Einhaltung der Menschenrechte, die Meinungsfreiheit und Freiheit der Kirche und demokratischen Werte fordern.
Ich glaube, das kann Erfolg haben, weil die Unterstützung für das Regime bei der Bevölkerung weniger wird. Zwar kontrollieren die Sandinisten das Militär und die Polizei, aber wir beobachten auch dort, dass sich immer mehr abwenden. Im vergangenen Jahr ließ Ortega sogar die renommierte Wirtschaftsuniversität INCAE ("Instituto Centroamericano de Administración de Empresas") schließen. Diese hatte sich für die Vermittlung zwischen Regierung und der Opposition eingesetzt. Aber diese Uni besuchen die Eliten, also die Regimetreuen. Jetzt wurde die Uni wegen angeblicher finanzieller Unregelmäßigkeiten geschlossen.
Im Herbst wurden an die tausend Justizbeamte, sowie Verwaltungs- und Servicepersonal entlassen. Die Sandinisten gehen also mittlerweile auch gegen ihre eigenen Unterstützer vor. Ich glaube, dass sich ihr Machtbereich langsam verengt. Auch intern gibt es zunehmend Spannungen, das wissen wir. Darum hoffe ich, dass sich das Regime durch den exzessiven Machtmissbrauch immer mehr selbst schwächt und am Ende daran irgendwann zerbricht.
Das Interview führte Ina Rottscheidt.