Weitere Aktionen gab es auch andernorts, für die teilweise fünfstellige Teilnehmendenzahlen gemeldet wurden. Auch Kirchenvertreter und Bischöfe hatten angekündigt, dabei zu sein. Wer am Samstag demonstrierte, tat das am Internationalen Holocaust-Gedenktag, der jährlich am 27. Januar begangen wird.
Die Organisation Campact sprach bundesweit von fast 320 Kundgebungen mit rund 820.000 Teilnehmern, auch in Ostdeutschland. In Brandenburg, Sachsen und Thüringen wird in diesem Jahr ein neuer Landtag gewählt.
Dort erreicht die AfD derzeit hohe Zustimmungswerte in der Bevölkerung. Die AfD wird vom Bundesamt für Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft. Es gibt Landesverbände, die als gesichert rechtsextremistisch eingestuft werden, etwa Sachsen sowie Thüringen rund um Björn Höcke.
Auf Sachpolitik setzen
Wer Wahlerfolge der AfD verhindern möchte, sollte nach Einschätzung des Soziologen Armin Nassehi auf Sachpolitik setzen. "Allein an Affekten und Emotionen anzusetzen ist doch gerade die Besonderheit der AfD", sagte der Wissenschaftler der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". "Wer also der AfD schaden will, müsste Anlass dazu geben, offenkundige Probleme für lösbar zu halten."
Mit den jüngsten Demonstrationen hätten die Menschen "ein großartiges Zeichen" gesetzt, betonte Nassehi. "Nebenbei gab es für mich auch Anlass für Unbehagen. Manche Veranstalter inszenierten ihre Demonstration als Rundumschlag gegen die Union, gegen die Ampel, gegen das 'System'. So ähnelt man sich seinem Gegner an."
Die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer mahnte ein breiteres Engagement gegen Rechtsextremismus an. Sie sei dankbar für die großen Demonstrationen, sagte sie den ARD-Tagesthemen am Freitag. "Aber es werden immer die sein, die sowieso für uns sind. Ich finde, dass mehr laut sein sollten, ich finde, dass zu wenige ihre Meinung sagen."
Auch Vertreterinnen und Vertreter aus Kirche und Politik wiesen am Holocaust-Gedenktag auf die jüngsten Demonstrationen hin. Unter anderen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verwies auf Rechtspopulisten, die Zulauf erhielten und Angst schürten. Einer solchen Entwicklung könne man sich auch entgegenstellen - das zeigten die Proteste.
Bätzing nennt Demonstrationen ermutigend
Die amtierende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Kirsten Fehrs, sagte, dass engagierte Bürgerinnen und Bürger "die besten Bollwerke gegen Fanatismus" seien. "Sie sind die wichtigsten Stützen einer wehrhaften Demokratie."
Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, hatte am Freitag die Teilnahme vieler Menschen an den jüngsten Demonstrationen als ermutigend bezeichnet "Wir dürfen den öffentlichen Raum nicht den Verächtern der Demokratie und des Rechtsstaats überlassen. Gerade die Menschen, die angefeindet und angegriffen werden, brauchen unsere Solidarität."
Die Demonstrationen der vergangenen Tage nennt der Staatsrechtler Christoph Möllers beispiellos in der Geschichte der Bundesrepublik.
Es sei sehr ungewöhnlich, "dass Leute für die Ordnung selbst auf die Straße gehen", sagte er am Sonntag im Interview der Woche im Deutschlandfunk. Von der Politik wünsche er sich ein organisiertes Vorgehen, "vielleicht auch mal eine Stellungnahme, zum Beispiel der Bundesregierung".