Ehemaliger Präses sieht Argumente für assistierten Suizid

"Wenn es ihr freier Wille ist"

Aus Sicht des ehemaligen Ratsvorsitzenden Schneider ist es vertretbar, Menschen mit unheilbaren und sehr schmerzhaften Krankheiten beim Sterben zu helfen. Er fordert Rechtssicherheit für Ärzte, die assistierten Suizid ermöglichen.

Nikolaus Schneider / ©  Autor: Fritz Stark (epd)
Nikolaus Schneider / © Autor: Fritz Stark ( epd )

DOMRADIO.DE: Assistierter Suizid heißt, ich besorge jemandem ein Gift, das er selber nimmt. Ist es christlich, Herr Schneider, jemandem beim Sterben zu helfen? 

Nikolaus Schneider (Ehemaliger Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland und Ex-Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland): Grundsätzlich sicher. Wir haben immer Menschen beim Sterben begleitet, nicht alleingelassen, für gute Pflege gesorgt. Das war immer eine völlig selbstverständliche Aufgabe, weil der letzte Lebensweg so schwer ist. Die Frage ist natürlich: Wenn einer seinem Leben ein Ende setzen will, sollen wir dabei helfen? Das ist die Zuspitzung mit dem assistierten Suizid. 

Nikolaus Schneider

"Wir haben immer Menschen beim Sterben begleitet, nicht alleingelassen, für gute Pflege gesorgt."

Und hier sage ich, im Grundsatz gilt es, dass wir zum Leben helfen und dass wir das Leben erleichtern, aber dass wir eben nicht den Tod herbeiführen direkt aktiv. Das ist unsere Tradition und dafür steht auch meine Vorstellung davon, wie ein Menschenleben gestaltet werden soll und was wir im Hören auf Gottes Wort zu tun haben. 

Das Ehepaar Anne und Nikolaus Schneider  (epd)
Das Ehepaar Anne und Nikolaus Schneider / ( epd )

DOMRADIO.DE: Ihre Frau hatte eine Erkrankung, die sie im Extremfall auch dazu gebracht hätte, sich Sterbehilfe zu suchen. Würden Sie sie bei diesem Prozess begleiten? 

Schneider: Ich würde sie begleiten, ihr die Hand halten, für sie beten. Aber das aktive Besorgen etwa eines Giftes würde sie nicht von mir erwarten. Das könnte ich auch nicht. 

DOMRADIO.DE: Wenn palliative Maßnahmen, also starke Schmerzmittel, das Leben eines Patienten verkürzen, ist das aus Ihrer Sicht in Ordnung? 

Schneider: Es ist völlig in Ordnung. Auch Therapieabbruch ist für mich völlig in Ordnung. Ich gehe sogar so weit, dass ich sage, es sind Extremsituationen denkbar, wo man Schmerzen nicht in den Griff bekommt oder wo die Krankheit die Menschen so verunstaltet und zu solchen äußeren Erscheinungen führt, dass Menschen sich vor sich selber ekeln – in solchen Extremsituationen halte ich es für möglich, auch einen Schritt weiter zu gehen, dass solchen Menschen wirklich geholfen wird, dass sie nun ihr Leben beenden können, wenn es ihr freier Wille ist. Das ist natürlich die Voraussetzung. In solchen Notsituationen müssen wir Verständnis für diese Menschen haben und sie unterstützen. 

Nikolaus Schneider

"In solchen Notsituationen müssen wir Verständnis für diese Menschen haben und sie unterstützen."

DOMRADIO.DE: Wäre es für Sie denkbar, in Einrichtungen der Diakonie beim Sterben zu assistieren, oder ist das ein Tabubruch? 

Schneider: Die Diakonie selber sollte das nicht aktiv mit dem Personal in ihren Einrichtungen tun. Aber wenn ein Mensch von uns begleitet wird in einer Einrichtung der Diakonie, der wünscht das und besorgt sich eine entsprechende Hilfe von außen, dann sollten wir das nicht verbieten oder sollten diesen Menschen dann nicht zwingen, das Haus zu verlassen. Den Freiraum sollten wir geben. 

DOMRADIO.DE: Es gibt in Deutschland keine eindeutige gesetzliche Regelung zur Sterbehilfe, was Ärzte unter Umständen mit einem Bein im Gerichtssaal stehen lässt. Wie sehen Sie diesen Zustand? 

Schneider: Ich finde, dass hier für Rechtssicherheit gesorgt werden muss und damit für Handlungssicherheit aller Beteiligten, insbesondere der Ärzteschaft, die aus ihrem Fachwissen heraus hier am besten helfen können. 

Das Interview führte Tobias Fricke.

Quelle:
DR