Seit 13 Jahren ist Sebastian von Melle Krankenhausseelsorger. Seit dem Herbst macht er seine Besuche mit vierbeiniger Verstärkung. Ob bei demenziell Erkrankten, Unfallopfern oder Palliativpatienten - fast immer ist sein brauner Labrador Ide an seiner Seite. Als entspannter, zugewandter und verschwiegener Seelentröster kommt er auch beim Personal gut an. "Wenn ich mit Ide komme, ist gleich andere Stimmung auf der Station", berichtet der Pastoralreferent von der anderen Atmosphäre, seitdem er seinen sechsjährigen Hund mit ans Krankenbett nimmt.
Ein Pilotprojekt. Der 58-Jährige ist selbst überrascht, dass das in einem Krankenhaus überhaupt möglich ist. Auf die Idee brachte ihn ein Bericht des Kölner Pastoralreferent Peter Otten, der seine Greta als Seelsorgehund einsetzt. "Ich habe mit ihm Kontakt aufgenommen, und er hat mich ermutigt, das auch im Krankenhaus zu probieren."
Rückendeckung des Geschäftsführers
Bevor von Melle seinen Rüden zum Therapiehund hat ausbilden lassen, holte er sich Rückendeckung vom Geschäftsführer des katholischen Krankenhauses im niedersächsischen Lingen. "Er hat das Anliegen gleich unterstützt." Auch den Ärztlichen Direktor und die Pflegedirektion konnte er schnell ins Boot holen. "Sie haben offenbar ein Gefühl dafür, was Tiere bewirken können. Ein Hund ist eine gute Therapie-Ergänzung - und eine super Werbung für unser Haus."
Bevor es losgehen konnte, musste von Melle den Einsatz von Ide mit der Hygieneabteilung der Klinik abstimmen, die ein eigenes Konzept entwickelte. Das Robert-Koch-Institut verweist auf eine von der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene veröffentlichte "Empfehlung zum hygienegerechten Umgang mit Therapiehunden in Krankenhäusern und vergleichbaren Einrichtungen". Da die Durchführung des Infektionsschutzgesetzes Ländersache sei, entscheide letztlich der jeweilige Krankenhaushygieniker. Nach einer Risikoanalyse lege dieser einrichtungsspezifische Maßnahmen fest.
"Bestandteil des Behandlungsvertrages"
"Der Einsatz des Hundes ist jetzt Bestandteil des Behandlungsvertrags. Es gibt dort einen Hinweis auf den Therapiehund, der die Seelsorge unterstützt", sagt von Melle. Wünschen die Patienten das nicht, müssten sie dies kundtun. "Damit kann ich mich relativ frei im Haus bewegen." Der Vierbeiner hat kurzes, gepflegtes Fell, wird regelmäßig geimpft und vom Tierarzt untersucht. Immer am Krankenbett dabei: eine bei 90 Grad waschbare Hundedecke. Damit stelle der Hund kein besonderes Risiko im Krankenhaus dar, erklärt der Seelsorger.
Intensivstation, Kreißsaal und OP-Säle sind dennoch tabu, ebenso Räume, in denen Medikamente gestellt werden und Speiseräume. Und natürlich respektiere von Melle Menschen, die Hundeangst oder eine Allergie haben. Den ersten Besuch im Patientenzimmer mache er meist ohne Vierbeiner: "Denn ich bin dort ja zu Gast."
Begeisterung überrascht
Gehe er einmal ohne Ide auf eine Station, werde er gleich gefragt, wo er den Hund gelassen habe. Mit welcher Begeisterung die beiden als Team empfangen werden, überrascht den Seelsorger nach eigenen Worten immer wieder. "Pflegende und Ärzte freuen sich und fragen, ob sie Ide mal streicheln dürfen - es herrscht gleich eine gelöste Stimmung."
Oft werde er gebeten, gezielt jemanden mit dem Hund zu besuchen - sei es in der Geriatrie, der Inneren Medizin oder auch in der Chirurgie. Auf die in Norddeutschland übliche Begrüßung "Moin" hat Ide gelernt, die Pfote zu geben. Das Winken soll er noch lernen - "für Patienten, die Angst haben".
"Ganz besonderer Tröster"
Auch auf der Palliativstation sind beide willkommen. Ide schenke den Patienten dort "viel Glück und Zuversicht", berichtet etwa Psychoonkologin Adelheid Huhmann in einem kleinen Film über das ungewöhnliche Seelsorge-Team. "Hunde berühren Herz und Seele der Menschen", sagt die Medizinerin; Ide bringe "Freude und Herzenswärme ins Team". Der Seelsorger kann sich darüber hinaus vorstellen, den Hund bei der Verabschiedung eines Verstorbenen mitzunehmen - wenn es sich ergibt. Hin und wieder könnte Ide "als ganz besonderer Tröster" Beistand leisten.
Der Pastoralreferent weiß, dass ein Hund im Krankenhaus eher die Ausnahme ist. Dabei spricht nach einer Studie der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene grundsätzlich nichts gegen Hunde im Krankenhaus, erklärt Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Allergien und besondere Hygienevorschriften in bestimmten Bereichen des Krankenhauses müssten natürlich berücksichtigt werden. "Tiere haben nachweislich eine positive Wirkung auf Heilung und Wohlbefinden", sagt Gaß. In einigen baden-württembergischen Kliniken gibt es bereits Therapiehunde.
In Lingen ist Ide mit seinem orangefarbenen Arbeitsgeschirr mit der Aufschrift "Seelsorger" inzwischen ein normaler Mitarbeiter der Klinik, sagt von Melle. Die anfängliche Sorge, kritisch beäugt zu werden, sei unbegründet gewesen, erklärt der Seelsorger - "stattdessen: lauter strahlende Gesichter". Ide bringe eine neue Farbe ins Krankenhaus - "die Türen stehen uns weit offen".