DOMRADIO.DE: Wie sieht denn die Fastenzeit für Papst Franziskus überhaupt aus? Kein Fleisch, keine Süßigkeiten?
Stefan von Kempis (Leiter der deutschsprachigen Abteilung von Radio Vatikan): Das ist eine gute Frage. Das sagt er keinem. Früher gab es immer Fastenexerzitien mit dem Papst. Da hat er sich ein Prediger oder eine Predigerin ausgesucht und hat dann die Chefs der römischen Kurie für ein paar Tage in ein Exerzitienhaus am See von Castel Gandolfo, am Albaner See, zusammengerufen.
Da wusste man, da essen sie nicht üppig, da wird viel gebetet, aber das hat er abgeschafft. Ich glaube, das ist spätestens mit der Corona-Pandemie dann eingeschlafen. Und was für Vorsätze der Papst hat, das sagt er keinem. Vielleicht damit man ihn auch nicht kontrolliert und dann hinterher daran misst.
DOMRADIO.DE: Sie haben in ihrem neuen Buch "Hast du ein Herz, das großes will?" 40 Fragen des Papstes zum Thema Fasten gesammelt. Wie haben Sie sich denn an dieses Buch überhaupt heran gemacht? Einfach die Reden vom Papst noch mal gelesen und dann daraus die Quintessenz zusammengeschrieben?
Von Kempis: Ich habe ja beruflich fast jeden Tag mit der Ansprache vom Papst zu tun. Und mir fällt bei diesem Papst Franziskus auf, dass er immer am Schluss von einer Ansprache oder einer Predigt es gerne noch mal ganz praktisch hat. Dann stellt er so Fragen wie "Bin ich eigentlich ein Christ, der immer unausgeschlafen ist? Bin ich hektisch? Habe ich keine Zeit für die Leute oder bleibe ich auch mal stehen, trinke einen Kaffee, höre ich andere Leute zu? Da geht jeder mal für sich in sein eigenes Herz und guckt, was für eine Art Christ er ist."
Und diese Fragen haben mich nicht losgelassen. Ich habe gedacht, da müsste man mal was mit machen. Da entstand die Idee, zur Fastenzeit 40 von solchen Fragen des Papstes zu nehmen – ganz konkret, ganz praktisch. Beispiel: "Wie bete ich: Blablabla, wie ein Papagei? Oder setze ich mich vor den Tabernakel und schlafe ein, weil ich nicht weiß, wie ich mit Gott reden soll?" So ganz praktische, kurze Sachen mal auf die Fastenzeit hin zu drehen und zu sammeln.
Da habe ich einfach in die schönsten seiner Predigten geguckt. Die haben ich alle präsent, das ist ja mein Beruf. Wer will, kann sich also mit diesem Buch mal vom Papst durchleuchten lassen. 40 Fragen des Papstes, die eigentlich ganz konkrete Vorsätze für den Tag ergeben, zum Beispiel: "Morgen hetze ich mal nicht so rum, sondern ich höre mal den Leuten zu."
DOMRADIO.DE: Inwiefern unterscheidet sich denn Franziskus' Verhältnis zum Thema Fasten von seinen Vorgängern?
Von Kempis: Ich habe bei Benedikt XVI. gesehen, dass er zur Fastenzeit immer ganz tolle theologische Schriften herausgab, Botschaften schrieb. Da wurde auch die interreligiöse Dimension des Fastens besonders berücksichtigt.
Auch im Islam zum Beispiel gibt es ja starke Fastentraditionen, oder die ökumenische Dimension. Orthodoxe fasten viel häufiger und viel mehr als wir. Im Libanon bei den maronitischen Christen, habe ich heute erfahren, hat die Fastenzeit schon am Sonntag angefangen. Das war alles sehr theologisch.
Und Johannes Paul II. hat überhaupt erst diese Tradition eingeführt, dass ein Papst zur Fastenzeit einen Brief an die Christen schreibt. Da habe ich in seinen Ansätzen gefunden, dass er das auch sehr spirituell sieht. Ein Fasten des Geistes, der Seele, des Kopfes. Das ist bei Franziskus nicht. Da wird es immer schnell sehr konkret.
DOMRADIO.DE: Bei Franziskus spielen die Exerzitien eine große Rolle. Der Untertitel Ihres Buches heißt auch "Fastenexerzitien mit Papst Franziskus". Weshalb legt er denn da überhaupt so viel Wert drauf?
Von Kempis: Ganz einfach, weil er Jesuit ist. Der Jesuitenorden wurde gegründet von Ignatius von Loyola. Und dieser Heilige aus dem spanischen Baskenland hat geistliche Übungen entwickelt, an seiner eigenen Biographie unter anderem als Militär und als Gottsucher geschult.
Das Attraktive des Jesuitenordens, als der sich im 16. Jahrhundert bildete, bestand darin, dass Ignatius mit Leuten, die daran Interesse hatten, solche Übungen eine bestimmte Reihe von Wochen durchführt. Eine Art "Selbst-Durchleuchtung", Jahrhunderte vor Sigmund Freud.
Die Übungen sollten bestimmen: "Wo stehe ich vor Gott? Wie stehe ich innerlich da?" Diese geistlichen Übungen durchläuft jeder Jesuit in seiner Ausbildung und auch später noch mehrmals. Franziskus, der heutige Papst, damals Pater Jorge Bergoglio, hat selber diese geistlichen Übungen des Ignatius mit mehreren Generationen von nachwachsenden Jesuiten in Buenos Aires durchgeführt. Er weiß also, was Exerzitien als tiefe innere Selbstspiegelung bedeuten.
DOMRADIO.DE: Wie lebensnah sind denn die Gedanken von Papst Franziskus zur Fastenzeit?
Von Kempis: Ich finde sie total lebensnah. Der Mann hat die Gabe, Sachen ganz kurz auf den Punkt zu bringen. "Leben wir für den Herrn oder für uns selbst, für das ewige Glück oder für die Befriedigung jetzt? Wie ist mein Herz? Habe ich irgendeine Bitterkeit, Traurigkeit? Ist meine Redeweise ein Lob Gottes, ein Lob der Schönheit oder immer nur Gejammer?" Da kann man sich dann zum Beispiel vornehmen: "Heute wird mal nicht gejammert."
Das Interview führt Tim Helssen.