DOMRADIO.DE: Wichtige Frage, bevor wir loslegen: 1860er oder Bayern?
Pfarrer Rainer Maria Schießler (Münchner Pfarrer und Autor): 60er, von Geburt an. Bayern München war zumindest als Fan nie ein Thema. Aber ich bin da offen. Wenn du schönen Fußball sehen willst, gehst du mal ein Bayernspiel schauen. Zumindest wenn du eine Karte bekommst.
Wir sind da grenzübergreifend. Als ich Philipp Lahm verheiratet habe, hat mich das Thema nicht gestört. Der wahre Fan freut sich am Fußball und grenzt nicht aus oder ab.
DOMRADIO.DE: Seit wann sind Sie Fußball- und auch 60er Fan?
Schießler: Seit ich als Kind vom Fußball etwas mitbekommen habe. Ich bin in einer Münchner Arbeitersiedlung groß geworden. Da wurde auf dem Bolzplatz gekickt. Meine Eltern waren nicht unbedingt sportaffin. Meine Mutter vielleicht mehr als mein Vater, aber auch nur zuschauend.
Ich hatte das große Glück, mit sieben Jahren mit meinem Freund und seinem Vater zu einem Spiel der 60er ins Stadion mitgehen zu dürfen. Das war wie ein Berufungserlebnis. Diese Atmosphäre, diese Nähe, diese Dichte zu sehen und dieses Leiden und dieses sich miteinander freuen, war unglaublich stark. Die Intensität, die mich im Stadion ergreift.
Dazu die Liebe und Gemeinsamkeit, die einen religiösen Ton hat. Ich habe das Buch auch als Pfarrer geschrieben. Es ist unglaublich, wenn man rausfindet, wie nahe unser Glaube und unser liturgisches Tun mit dem Fußball zusammenhängen.
DOMRADIO.DE: Was haben Sie denn da rausgefunden?
Schießler: Zum Beispiel, dass Paulus ein großer Sportfreak ist. Paulus schrieb seine Briefe nicht zufällig nach Korinth. Dort fanden damals die korinthischen Spiele statt. Die waren bekannter als die Olympischen Spiele. Wenn einer damals Sportreporter war, dann wäre Paulus es gewesen. Und wenn es damals schon Facebook, Instagram und WhatsApp gegeben hätte, hätte Paulus sie benutzt.
In seinen Briefen weist er sogar auf die Sportler hin und sagt: 'Schaut, wie sie sich anstrengen, wie sie sich mühen, wie sie leben, wie konsequent sie sind. Das müssten wir als Christen doch noch viel mehr. Denn bei uns geht es um einen größeren Siegespreis.' Das war toll und hat mich so berührt.
Man darf im Stadion aber auch nicht die Liturgie vergessen. Das muss ich einem Rheinländer nicht sagen. Ich war einmal im Westfalenstadion und habe erlebt, wie die Fans ihr Borussia-Lied gesungen haben. Da kriegst du Gänsehaut von Kopf bis zum Fuß.
DOMRADIO.DE: Fußball ist für viele Religion. Wie viel Religion steckt denn im Fußball?
Schießler: Manchmal zu viel. Lass doch den Sport das sein, was er ist, die schönste Nebensache der Welt. Im 60er Stadion stand ich einmal in einer Schlange und vor mir stand ein Typ, auf dessen Jacke lautete ein Aufnäher: 'Der TSV ist eine Religion'. Ich wollte ihn erst darauf ansprechen, aber das war mir dann doch zu gefährlich.
Der Fußball ist keine Religion und es gibt auch keinen Fußballgott. Trotzdem gibt es Gemeinsamkeiten und Kirche und Fußball können voneinander lernen. Wir können uns gegenseitig aufbauen und untereinander etwas geben. Das ist die Intention dieses Buches.
DOMRADIO.DE: Was können wir lernen? Was meinen Sie genau?
Schießler: Leidenschaft können wir lernen. Manchmal wünsche ich mir einen Sonntagsgottesdienst, bei dem die Leute so mitgehen wie im Stadion. Ich will jetzt aber nicht jammern. Wir können Energie lernen. Vergeben können wir lernen. Wenn sich die Sportler am Ende des Spiels, auch wenn es noch so energisch war, die Hände reichen. Wir können lernen, dass nach dem Spiel vor dem Spiel ist. Es also eine Fortsetzung gibt eine Verlängerung und die heißt bei uns ewiges Leben.
DOMRADIO.DE: Ist es Zufall, dass viele Fußballspieler religiös sind und daraus keinen Hehl machen?
Schießler: Ich finde das gut, wenn Sie kein Hehl daraus machen. Religiös ist der Mensch nicht des Fußballs wegen, sondern weil er so erzogen wird. Ich finde es toll, wenn diese Leute, die bekannt sind und in der Öffentlichkeit stehen, auch mit ihrer Religion auftreten.
Giovane Élber fällt mir da ein, der über seinen Glauben geredet hat und damit eingeordnet hat, was wirklich wichtig ist im Leben. Der Glaube hilft bei der Antwort nach der Frage, was das Entscheidende ist. Dazu kommt, dass gläubige Spieler auch anders und besser verlieren können.
DOMRADIO.DE: Haben Sie noch mal so eine Story aus dem alten Grünwalder Stadion?
Schießler: Eine meiner Lieblingsgeschichten aus meinen Kindheitstagen: Das alte Grünwalder Stadion war noch so ein richtig städtisches Stadion. Relativ klein und so konnte es noch Kontakte zwischen Zuschauern und Spielern geben. Ich stand in der Westkurve und es kam dort zu einer Ecke. Die Spieler haben sich dann aufgestellt. Einer an der Eckfahne, um den Ball zum gegnerischen Tor zu flanken und die anderen Spieler standen im Strafraum.
Auf einmal plärrt neben mir einer den eigenen Spielern zu: "Buam, hoits eia ruam hi". (Anm. d. Red.: Jungs, haltet eure Rüben hin). Das heißt Kopf hinhalten, weil ihr den Ball dann ins Tor köpfen könnt. Ich weiß noch, wie ich erst den Mann angeschaut und er die Spieler angestarrt hat. Da hat doch glatt ein Spieler zurückgewunken und das Okay-Zeichen gemacht. Da sieht man mal wieder 20.000 Trainer im Stadion.
DOMRADIO.DE: Sowieso. Im Sommer werden es in diesem Land noch viel mehr werden. Die Heimeuropameisterschaft steht an. Glauben Sie an ein gutes Abschneiden der deutschen Nationalmannschaft?
Schießler: Das ist für mich kein Gegenstand des Glaubens, sondern des Trainierens, der Einstellung eines guten Trainers und so weiter. Zuletzt hat es nicht funktioniert, aber vielleicht hilft in diesem Fall ja mein Buch. Sollte es nicht klappen, weil die Mannschaft wieder früher rausfällt und anderen Mannschaften in der Endrunde stehen, dann haben sie wenigstens ein schönes Buch zum Lesen.
Das Interview führte Carsten Döpp.