Papst erntet Kritik für "Weiße Fahne"-Empfehlung

Putin wurde nicht kritisiert

Papst Franziskus hat sich für eine "Weiße Fahne" der Ukraine ausgesprochen. Diese politische Äußerung des Papstes stieß in vielen Ländern auf negative Resonanz. Eine Kapitulation sei damit jedoch nicht gemeint, betont der Vatikan.

Papst Franziskus reibt sich während seiner wöchentlichen Generalaudienz auf dem Petersplatz die Augen. / © Gregorio Borgia/AP (dpa)
Papst Franziskus reibt sich während seiner wöchentlichen Generalaudienz auf dem Petersplatz die Augen. / © Gregorio Borgia/AP ( dpa )

In Deutschland stößt eine Interview-Äußerung von Papst Franziskus zum "Mut zur weißen Fahne" und zu Verhandlungen mit Russland weithin auf Unverständnis. 

Katrin Göring-Eckardt / © Michael Kappeler (dpa)
Katrin Göring-Eckardt / © Michael Kappeler ( dpa )

Wer von der Ukraine verlange, "sich einfach zu ergeben, gibt dem Aggressor, was er sich widerrechtlich geholt hat, und akzeptiert damit die Auslösung der Ukraine", sagte Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Montag). Über Frieden "muss und wird verhandelt werden - aber auf Augenhöhe", so die Grünen-Politikerin.

Warum richtet der Papst sich nicht an Putin?

Der SPD Politiker Wolfgang Thierse im Gespräch in seinem Buero in Berlin. / © Hans Scherhaufer (epd)
Der SPD Politiker Wolfgang Thierse im Gespräch in seinem Buero in Berlin. / © Hans Scherhaufer ( epd )

Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) erklärte, er fände es besser, wenn sich der Papst mit einem Appell für Friedensverhandlungen "zuerst an den Aggressor Putin richten würde". 

Die aktuellen Äußerungen halte er für politisch falsch, sagte Thierse dem "Tagesspiegel" - "auch wenn ein Kirchenführer nicht die realpolitisch-pragmatischen Auffassungen von Politikern unterstützen muss".

FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann / © Kay Nietfeld (dpa)
FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann / © Kay Nietfeld ( dpa )

Kritik an Moskauer Patriarch Kyrill I. richten

Mit Empörung reagierte die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann. "Bevor die ukrainischen Opfer die weiße Flagge hissen, sollte der Papst laut und unüberhörbar die brutalen russischen Täter auffordern, ihre Piraten-Fahne - das Symbol für den Tod und den Satan - einzuholen", sagte sie den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Und warum in Gottes Namen verurteilt er nicht die verbale mörderische Hetze von Kyrill I.?" Der Moskauer Patriarch hatte mehrmals seine Unterstützung des russischen Angriffskriegs bekundet.

Indes schrieb Fabio de Masi, designierter Spitzenkandidat für das Bündnis Sahra Wagenknecht bei der Europawahl, auf X (vormals Twitter), der Papst wolle es dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj offenbar leichter machen, eine Wende zur Vorbereitung von Verhandlungen zu vollziehen. Seine Kernaussage sei: "Eine Verhandlung, um das Leben der eigenen Bevölkerung zu schützen und einen noch größeren Verlust an Souveränität zu vermeiden, ist keine Schande."

Die Präsidentin des Evangelischen Kirchentages 2025 in Hannover, Anja Siegesmund, mahnte, die Sehnsucht nach Frieden dürfe nicht dazu führen, "dass das Recht des vermeintlich Stärkeren siegt". Wer die eigene Freiheit verteidige, bedürfe "der Unterstützung aller, die bereits in Freiheit leben, sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Osteuropäer zeigen sich verärgert

Auch international haben die Äußerungen viel Kritik und wenig Zustimmung ausgelöst. Vor allem in Osteuropa meldeten sich Regierungen zu Wort und wiesen die Worte des Papstes vehement zurück. Dazu schrieb der lettische Präsident Edgars Rinkevics auf der Online-Plattform X: "Man darf vor dem Bösen nicht kapitulieren, man muss es bekämpfen und besiegen, damit das Böse die weiße Fahne hisst und kapituliert." 

Auf derselben Plattform schlug der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski mit sarkastischem Unterton vor: "Wie wäre es, zum Ausgleich Putin zu ermutigen, den Mut zu haben, seine Armee aus der Ukraine zurückzuziehen? Dann wäre sofort Frieden, Verhandlungen bräuchte man nicht."

Ukraine fordert den Papst zu einem Besuch auf

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba schrieb ebenfalls am Sonntag auf X, der Stärkste sei derjenige, "der im Kampf zwischen Gut und Böse auf der Seite des Guten steht, anstatt zu versuchen, sie auf eine Stufe zu stellen und es 'Verhandlungen' zu nennen". Kuleba erinnerte summarisch an das Verhalten des Vatikans gegenüber dem Dritten Reich und schrieb: "Ich dränge darauf, die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen und die Ukraine und ihr Volk in ihrem gerechten Kampf um ihr Leben zu unterstützen."

Dmytro Kuleba, Außenminister der Ukraine. / © Mindaugas Kulbis/AP (dpa)
Dmytro Kuleba, Außenminister der Ukraine. / © Mindaugas Kulbis/AP ( dpa )

Mit Blick auf die Zukunft schrieb Wolodymyr Selenskyjs Außenminister: "Wir hoffen weiterhin, dass der Papst nach zwei Jahren verheerenden Krieges im Herzen Europas die Gelegenheit finden wird, der Ukraine einen apostolischen Besuch abzustatten, um über eine Million Katholiken, über fünf Millionen griechisch-katholische Christen, alle Christen und alle Ukrainer zu unterstützen."

Ähnlich wie Kuleba hatte zuvor der ukrainische Botschafter beim Heiligen Stuhl, Andrij Jurasch, mit einem historischen Vergleich argumentiert. Er fragte auf X, ob im Zweiten Weltkrieg jemand mit Hitler ernsthaft über Frieden gesprochen und die weiße Fahne geschwenkt habe, um ihn zu befrieden. Mit Blick auf Moskau und Putin fügte er hinzu, die Lektion aus der Geschichte sei: "Wenn wir den Krieg beenden wollen, müssen wir alles tun, um den Drachen zu töten!"

Deutsche Botschaft meldete sich

In Rom distanzierte sich der deutsche Botschafter beim Heiligen Stuhl, Bernhard Kotsch, klar vom Vorschlag des Papstes und twitterte: "Russland ist der Aggressor und bricht internationales Recht! Deshalb fordert Deutschland Moskau auf, den Krieg zu stoppen, und nicht Kyjiw (Kiew)!"

Aus New York, wo er dort lebende ukrainische Gemeinden besuchte, meldete sich Kiews griechisch-katholischer Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk zu Wort. Er erklärte in einer Ansprache, die Ukraine sei verwundet, aber unbesiegt. Sie werde wieder aufstehen. Wenn Russland die Ukraine weiter erobere, vergrößere sich die Todeszone. Der Geistliche erinnerte an das Massaker an ukrainischen Zivilisten in Butscha bei Kiew 2022.

Zustimmung kommt aus Moskau

In Deutschland verteidigte Sahra Wagenknecht, Co-Vorsitzende der Partei BSW, Papst Franziskus. "Die Aufforderung des Papstes, endlich Friedensverhandlungen zur Beendigung des Ukraine-Kriegs aufzunehmen, ist mutig und klug", sagte sie. Franziskus nehme die Friedensbotschaft des Christentums ernst; die Kritik an ihm sei respektlos. "Im Ukraine-Krieg wird schon lange nicht mehr gewonnen, sondern nur noch gestorben", so die Parteivorsitzende.

In Moskau erklärte die Sprecherin des Russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, Franziskus habe eigentlich nicht Kiew, sondern dem Westen geraten, Verhandlungen zu beginnen. Leider habe der Westen das ukrainische Volk und den Weltfrieden geopfert, um seine Ziele zu erreichen. 

Nun bitte der Papst "den Westen, seine Ambitionen aufzugeben und einen Fehler zuzugeben", sagte Sacharowa laut der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass; sie fügte hinzu, Russland habe nie Verhandlungen blockiert.

Nur Verhandlungen seien gemeint 

In dem Interview des Schweizer Fernsehens hatte das Kirchenoberhaupt unter anderem gesagt: "Verhandlungen sind niemals eine Kapitulation." Der Regierung in Kiew hatte er nahegelegt, den "Mut zur Weißen Flagge, zu Verhandlungen" zu haben und ihr "Land nicht in den Selbstmord zu führen".

Vatikansprecher Matteo Bruni erklärte später, der Papst habe "vor allem zu einem Waffenstillstand aufrufen und den Mut zu Verhandlungen wiederbeleben" wollen. Das zum Heiligen Stuhl gehörende Online-Portal Vatican News verbreitete am Sonntag in mehreren Sprachen, darunter auch Ukrainisch, einen Bericht über eine entsprechende Erklärung Brunis. Die Deutsche Bischofskonferenz sagte dem "Tagesspiegel", der Erklärung Brunis sei "nichts hinzuzufügen".

Quelle:
KNA