DOMRADIO.DE: Anfangs war die "brotZeit" als Münchner Initiative gedacht. Aber der Bedarf war so groß, dass nun Kinder an 375 Schulen in ganz Deutschland versorgt werden. Über zweitausend ehrenamtliche Helfer und Helferinnen sind dafür schon im Einsatz. Das Angebot kommt jetzt nach NRW und soll verdoppelt werden. Hätten Sie gedacht, dass Ihre "brotZeit" so ein Erfolg wird?
Uschi Glas (Schauspielerin und Initiatorin des Vereins "brotZeit" e.V.): Nein, das hätte ich nicht gedacht. Natürlich war uns klar, dass es nicht nur in München, wo wir angefangen haben, Hunger gibt, sondern dass es überall ein Problem ist. Wenn man mir im Vorhinein gesagt hätte, dass wir nach 15 Jahren jeden Tag über 15.000 Kinder versorgen, hätte ich das nicht geglaubt und wahrscheinlich das ganze Projekt nicht zugetraut.
Aber "Step-by-Step" sind wir gewachsen. Dabei muss man immer mit bedenken, dass dies geschehen ist, weil der Bedarf einfach riesengroß ist.
DOMRADIO.DE: Sie sind Jahrgang 1944 und hatten gerade erst 80. Geburtstag. Einen herzlichen Glückwunsch nachträglich. Kennen Sie aus eigener Erfahrung die Situation, mit leerem Magen in der Schule zu sitzen?
Glas: Wir hatten zu Hause wenig. Das ist auch bekannt. Daraus mache ich kein Geheimnis. Aber Gott sei Dank war meine Mutter eine Frau, die immer etwas auf den Tisch stellen konnte. Sie hat es immer geschafft, irgendwas zu machen, weil wir einen eigenen Garten hatten, wo sie Pflanzen gezogen hat.
Hunger in dem Sinne haben wir nie gelitten, aber ich habe mitbekommen, dass wir weniger hatten als andere Familien. Während andere vielleicht schon zum Bäcker gehen konnten und dort einkaufen konnten, haben wir das Brot selbst gemacht, wie wir eigentlich alles irgendwie selbst hergestellt haben. Das war schon ein Gefühl einer gewissen Benachteiligung, dass ich als Kind auch erfahren habe.
DOMRADIO.DE: Wie sieht Ihr "brotZeit"-Angebot in der Schule aus? Sie bieten das Frühstück allen an, um niemanden auszugrenzen, oder?
Glas: Ja, so ist es. Wir als Verein definieren die Schule, wo wir großen Bedarf sehen. Dann darf jedes Kind zu uns kommen. Als ich unseren Namen "brotZeit" erfunden habe, habe ich den Namen selbst eigentlich nicht verstanden. Das ist ja eigentlich so ein bayerisches Wort. Ich habe gedacht, dass wir den Kindern Brot, sprich ein reichhaltiges Frühstück geben.
Aber wir geben unseren Kindern vor allem Zeit. Unsere Senioren und Seniorinnen bereiten das Frühstück liebevoll vor. Aber unsere Kinder sind vielleicht auch ein bisschen vernachlässigt. Es fehlt Ihnen an Wärme und Geborgenheit. Unsere Frühstückshelfer, die Damen und Herren, füllen sozusagen einen Teil dieser Lücke aus, weil sie für die Kinder auch Gesprächspartner sind. Ein Kummerkasten, wenn man so will.
Es geht nicht nur um das Essen, sondern es geht auch um Kommunikation und um ein Lernen des Miteinanders, also miteinander frühstücken, miteinander essen, miteinander sprechen. Die Kinder lernen sich austauschen und Vorurteile abzubauen. So schaffen wir eine große Gemeinschaft.
Deswegen ist ganz wichtig, dass wir Brot und Zeit geben. Wir haben Zeit für die Kinder, auch um ihnen ihren Kummer abzunehmen.
DOMRADIO.DE: Sind Sie selbst auch schon mal in der Schule dabei und schmieren das ein oder andere Brötchen?
Glas: Natürlich. Ja klar.
DOMRADIO.DE: Jetzt sucht ihr Verein "brotZeit" auch in Nordrhein-Westfalen ehrenamtliche Helfer und Helferinnen. Was sollen die Menschen mitbringen?
Glas: Die Schulen sind da, die Kinder sind da, der Bedarf ist da. Wir brauchen Menschen, die nicht mehr im Arbeitsprozess sind und darüber nachdenken, der Gesellschaft oder den Kindern etwas zurückgeben zu wollen. Die Menschen müssen sich auch nicht fünf Tage die Woche zur Verfügung stehen. Wenn jemand an zwei Tagen hilft, ist das genauso wertvoll und toll.
Für das Organisatorische muss man ein Führungszeugnis mitbringen und natürlich findet ein Gespräch statt, wo man sich vorstellt, und wir schauen, dass man mit Kindern sprechen und arbeiten kann.
Wir zahlen den Helferinnen und Helfern eine sogenannte Trainerpauschale oder Aufwandsentschädigung. Das ist für uns wichtig, um nicht nur Danke zu sagen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass viele Menschen gerne helfen, aber das bisschen Geld gut gebrauchen können. Wir kommen nach NRW und wollen flächendeckend werden. Das heißt, es wird einen riesengroßen Bedarf an Mithelfern geben.
DOMRADIO.DE: Es braucht Menschen, die sich engagieren.
Glas: Ja. Es ist eine Sache, die Idee zu haben. Die andere Sache ist es, die Idee umzusetzen. Wenn man dafür keine Menschen findet, ist die Idee so schön, wie sie nicht umsetzbar ist.
Wir haben das große Glück, dass wir bisher überall Damen und Herren gefunden haben, die Lust haben, in der Früh in die Schulen zu gehen und dieses Frühstück vorzubereiten.
Dazu gehört es auch, alles ein bisschen hübsch zu machen, damit das Essen einladend ausschaut, es gut riecht und alles toll ist. Das Schönmachen fängt beim Quark vorbereiten an, geht über das Schneiden von Apfelschnitzen und Gurkenscheiben bis zum Vorlegen auf Platten.
Bei uns wird nicht einfach eine Tüte aufgerissen und das Essen irgendwie verteilt. Wir machen es schön, setzen uns mit den Kindern hin, essen miteinander, sprechen miteinander und genießen zum Beispiel einen heißen Kakao.
DOMRADIO.DE: Sie sprühen vor Begeisterung. Es klingt toll, aber was treibt Sie in Ihrem gesellschaftlichen Engagement an? Hat das auch mit Ihren christlichen Werten zu tun?
Glas: Absolut. Ich habe mir in meinem ganzen Leben das "C" und das "S", also das Christliche und das Soziale auf die Fahne geschrieben. Ich bin evangelisch, wie man wahrscheinlich weiß. Ich denke, dass das Wichtigste am Christentum die Nächstenliebe ist. Wie geht es meinem Nachbarn? Wer ist schwächer als ich? Wie kann ich ihm die Hand reichen? Kann ich irgendwas tun? Kein Mensch soll sein letztes Hemd hergeben, aber man kann die Augen offen halten.
Ich persönlich engagiere mich aus Dankbarkeit. Ich habe sehr, sehr viel Glück in meinem Leben gehabt. Ich hatte selbst keine guten Chancen und trotzdem habe ich einen gewissen Willen und eine Zuversicht entwickelt. Ich habe natürlich auch die richtigen Menschen getroffen, die mir geholfen und beigestanden haben. Das waren Mutmacher, die mir gesagt haben: "Uschi, das packst du. Du schaffst das. Pack an!" So etwas braucht man und das brauchen auch unsere jungen und heranwachsenden Kinder.
Wir arbeiten an Grundschulen. Da sind zum Teil sechsjährige Kinder, die kein Frühstück und kein Pausenbrot dabei haben. Die müssen so schlecht vorbereitet in den Tag starten und bekommen so keine Chance.
Die Kinder haben das aber verdient. Dafür arbeiten wir an den Förderschulen und an den Grundschulen. Ich weiß, die Großen bräuchten das auch, aber mehr als arbeiten können wir nicht. Wir sind jetzt in Grund- und Förderschulen aktiv.
Das Interview führte Tobias Fricke.
Information der Redaktion: Seniorinnen und Senioren, die Interesse und an Schultagen morgens Zeit haben, das Projekt von "brotZeit" zu unterstützen, können sich bei Timo Wagner, Projektleiter der Förderregion Südliches Rheinland, melden (Tel.: 0173/429 88 75, E-Mail: wagner@brotzeit.schule).