Die katholische Theologin Johanna Rahner sieht die beiden großen Kirchen in Deutschland vor großen Umbrüchen und Richtungsentscheidungen, weil immer weniger Menschen religiös sind.
"Wir werden zunehmend eine Minderheit, immer weniger Menschen fühlen sich zugehörig und engagieren sich. Diesen Befund gilt es zu akzeptieren", sagte die an der Universität Tübingen lehrende Theologin am Dienstag bei einer Tagung in der Katholischen Akademie Freiburg.
Nicht jeder Mensch von Natur aus religiös
Der Erfurter Theologe Tobias Kläden sagte, es gelte, sich vielleicht auch von der bisherigen Grundannahme zu verabschieden, wonach jeder Mensch von Natur aus religiös sei oder sein wolle. "Religiosität wäre dann eher ein kulturelles Phänomen, das aus dem Leben des Einzelnen, vielleicht sogar aus ganzen Gesellschaften verschwinden kann."
Kläden verwies auf die jüngste Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung von evangelischer und katholischer Kirche (KMU). Diese zeige, dass Christen in Deutschland zur Minderheit würden und mit wachsender Ablehnung von Religion konfrontiert seien. Auch der Anteil der Menschen, die außerhalb der Kirchen alternative religiöse Sinnangebote suchten, sei verschwindend klein.
Umgang mit Relevanzverlust entscheidend
Rahner sagte, entscheidend sei nun, wie die Kirchen mit diesem Bedeutungs- und Relevanzverlust umgehen wollten. "Manche schlagen vor, sich als heilige Herde von der moralisch aus den Fugen geratenen, pluralen Welt abzugrenzen, um im kleinen Kreis zu Wahrheit, Reinheit und Eindeutigkeit des Glaubens zurückzukommen. Dieser Weg ist grundsätzlich möglich, er würde aber in die vollständige Bedeutungslosigkeit führen. Kirche wäre dann nur noch eine Sekte", sagte Rahner.
Anfragen der Moderne stellen
Eindringlich warb die Theologin für eine andere Richtungsentscheidung, um sich den Anfragen der Moderne zu stellen. Die Wahrheit des christlichen Glaubens sei "unaufhebbar mit den Erfordernissen der Zeit verwoben", sagte Rahner. Kirche und Religion müssten daher immer wieder neu auf die individuellen Fragen der Glaubenden reagieren und Glaubensinhalte neu aushandeln.
"Glaube zeigt sich dann nicht mehr in abstrakten Glaubenswahrheiten, sondern dann, wenn Menschen aus ihrem Glauben heraus in der Gesellschaft handeln." Ob sich künftig aber noch genügend Menschen dafür entschieden, in Deutschland kirchliches und religiöses Leben zu gestalten, sei offen, sagte Rahner. "Vielleicht bleibt uns nicht viel mehr als die Hoffnung, erfolgreich zu scheitern."