Seit der islamischen Frühzeit trug der politisch-religiöse Führer der Muslime den Titel Kalif. Der Begriff stammt vom arabischen chalifa, was "Nachfolger" oder "Stellvertreter" (Gottes oder des Propheten Mohammed) bedeutet. Das Wort kommt in anderem Zusammenhang bereits im Koran vor. Die ersten vier Kalifen Abu Bakr, Umar, Uthman und Ali wurden aus dem Kreis der Prophetengefährten zum Kalifen gewählt. Danach wurde das Kalifat unter den Umayyaden von Damaskus (661-750) und den Bagdader Abbasiden (750-1258) ein dynastisches Amt.
"Stellvertreter Gottes auf Erden"
Sunniten gilt die Epoche der ersten vier "rechtgeleiteten" Kalifen als Ideal einer islamischen Gesellschaft. Die Schiiten erkennen nur Mohammeds Cousin Ali und dessen direkte Nachkommen als Imame und rechtmäßige Führer der Gemeinde an. Dagegen musste nach sunnitischer Staatstheorie der Kalif lediglich aus dem Stamm Mohammeds, den Quraisch, kommen und die Regeln der Scharia als "Stellvertreter Gottes auf Erden" durchsetzen. Dazu zählt auch das Führen des Dschihad zur Ausbreitung des Islams.
Bereits unter den Abbasiden begann der Machtverfall der Kalifen. Die faktische Herrschaft übernahmen Sultane und Emire in den Regionen des Riesenreichs, oft Türken und andere Nichtaraber. Der Kalif wurde zu einer rein religiösen Autorität, dessen Name in der Freitagspredigt genannt wurde. Allerdings entstanden im 10. Jahrhundert mit den Fatimiden von Kairo und den Umayyaden von Cordoba auch Gegenkalifate.
Abschaffung 1924
Mit der mongolischen Eroberung Bagdads 1258 endete die Ära der Kalifen. Die ägyptischen Mamluken errichteten in Kairo ein abbasidisches Schattenkalifat ohne politische Bedeutung. Die türkischen Osmanen, die Ägypten 1517 eroberten, beanspruchten den Titel auch ohne Abstammung von den Quraisch. Ihr Sultan Abdülhamid II. (1876-1909) hoffte, sich als Kalif an die Spitze einer panislamischen Bewegung setzen zu können, was kaum Wirkung hatte.
1924 schaffte die türkische Große Nationalversammlung das Kalifat endgültig ab. Anläufe zu einer Wiederbelebung scheiterten an den politischen Realitäten in der islamischen Welt. Doch bis heute träumen islamistische Gruppen wie die in Deutschland verbotene Hizb ut-Tahrir von einem neuen Kalifat und der politischen Vereinigung aller Muslime. So bezeichnete sich etwa der Chef der Terrormiliz "Islamischer Staat", Abu Bakr al-Baghdadi, als Kalif. Aber auch der Anführer der moderaten Ahmadiyya-Gemeinschaft führt den Kalifentitel. (KNA/01.05.2024)