Theologe sieht fehlenden Zugang für Jugendliche zum Islam

"Wir arbeiten sehr elitär"

Warum fordern in Deutschland aufgewachsene Muslime ein Kalifat? Junge Menschen seien auf der Suche nach Identität und Wir-Gefühl, sagt der Islamtheologe Khorchide. Radikale nutzten das vor allem in den sozialen Medien für ihre Zwecke.

Symbolbild Muslime im Gebet / © Stefano dal Pozzolo/Romano Siciliani (KNA)
Symbolbild Muslime im Gebet / © Stefano dal Pozzolo/Romano Siciliani ( KNA )

In der Debatte über radikale Islamisten und ihre Forderungen nach einem Kalifat hält Islamexperte Mohanad Khorchide Verbote für unzureichend. 

Im Deutschlandfunk forderte der Leiter des Zentrums für Islamische Theologie der Uni Münster am Sonntag mehr Angebote, um jungen Menschen einen "vernünftigen Zugang zum Islam" zu eröffnen.

Professionelle Medienarbeit von radikalen Islamisten

Es gebe eine kleine Minderheit von radikalen Islamisten, die Scharia und Kalifat durchsetzen wollten und dabei sehr professionelle Medienarbeit betrieben. Ihnen müsse man mit konkreten Restriktionen begegnen, sagte Khorchide mit Blick auf Gruppierungen wie "Muslim Interaktiv" oder das dem Iran nahestehende Islamische Zentrum Hamburg (IZH). 

Mouhanad Khorchide, Leiter des Zentrums für Islamische Theologie und Professor für Islamische Religionspädagogik an der Universität Münster / © Lars Berg (KNA)
Mouhanad Khorchide, Leiter des Zentrums für Islamische Theologie und Professor für Islamische Religionspädagogik an der Universität Münster / © Lars Berg ( KNA )

Es gebe aber in Deutschland eine mehrere 10.000 meist junge Menschen umfassende Gruppe von Muslimen, die auf der Suche nach Identität und Wir-Gefühl seien und sich als Opfer der Gesellschaft fühlten. 

Der Konflikt im Gaza-Streifen habe dieses Gefühl, dass die westliche Welt mit unterschiedlichen Maßstäben messe, dramatisch verschärft. Die meisten von ihnen wüssten gar nicht, was Kalifat oder Scharia bedeuteten. 

Keine "vernünftige Zugänge" zum Islam

Insbesondere in den Sozialen Medien sei in den vergangenen Jahren eine Blase der Radikalisierung entstanden, so der Theologe. Zugleich gebe es auf Instagram oder TikTok kaum alternative Angebote und "vernünftige Zugänge" zum Islam. 

Khorchide zeigte sich in diesem Zusammenhang selbstkritisch: "Wir arbeiten sehr elitär", sagte er mit Blick auf Islam-Studiengänge an Universitäten oder Bücher zum Islam. Damit würden junge Menschen auf der Suche kaum erreicht; das Vakuum füllten dann radikale Kräfte.

Rund 1.000 Demonstranten haben in Hamburg die Errichtung eines Kalifats gefordert

In Hamburg hatten am vergangenen Wochenende rund 1.000 Demonstranten um die extremistische Gruppierung "Muslim Interaktiv" die Errichtung eines Kalifats gefordert. An diesem Samstag gab es an gleicher Stelle eine Gegendemonstration, an der sich ebenfalls bis zu 1.000 Menschen beteiligten. 

Die Demonstrierenden kamen laut Medienberichten aus ganz unterschiedlichen Lagern. Zu sehen waren unter anderem israelische und deutsche Flaggen, Regenbogen-Fahnen, Antifa-Symbole und verschiedene deutsche Partei-Embleme. Auf Bannern und Schildern standen Schriftzüge wie "Gegen jeden Antisemitismus", "Freiheit" oder "Matriarchat statt Kalifat"

Kalif und Kalifat

Seit der islamischen Frühzeit trug der politisch-religiöse Führer der Muslime den Titel Kalif. Der Begriff stammt vom arabischen chalifa, was "Nachfolger" oder "Stellvertreter" (Gottes oder des Propheten Mohammed) bedeutet. Das Wort kommt in anderem Zusammenhang bereits im Koran vor. Die ersten vier Kalifen Abu Bakr, Umar, Uthman und Ali wurden aus dem Kreis der Prophetengefährten zum Kalifen gewählt. Danach wurde das Kalifat unter den Umayyaden von Damaskus (661-750) und den Bagdader Abbasiden (750-1258) ein dynastisches Amt.

Kuppel einer Moschee  (shutterstock)
Quelle:
KNA