Zum 75-jährigen Bestehen des Grundgesetzes hob Kölns Erzbischof Rainer Maria Woelki den christlichen Bezug der deutschen Verfassung hervor. "Im Grundgesetz zeigt sich auch unser christliches Menschenbild, das die Unantastbarkeit der menschlichen Würde und die Nächstenliebe in den Mittelpunkt stellt", so der Kardinal in einem am Donnerstag auf der Internetseite des Erzbistums veröffentlichten Beitrag. "Als Staatsbürger und Christen sind wir dazu aufgerufen, jedem Menschen mit Respekt und Liebe zu begegnen."
Woelki zufolge leben viele Katholiken die Werte des Grundgesetzes: "In zahlreichen Initiativen, getragen von engagierten Haupt- und Ehrenamtlichen, setzen sich die Menschen in unserem Erzbistum dafür ein, dass die Würde jedes Einzelnen in unserem Land und darüber hinaus geachtet und geschützt wird."
Auch der Münsteraner Bischof Felix Genn zeigte sich dankbar für die deutsche Verfassung. "Ich freue mich sehr darüber und bin außerordentlich dankbar für dieses stabile Grundgesetz, das ja aus der Zwangsherrschaft des Nationalsozialismus und dem vorherigen Scheitern der Weimarer Demokratie geboren wurde", sagte er in einem Interview der Redaktion "Katholische Kirche im Privatfunk NRW" (Donnerstag) in Oberhausen. Er spüre allerdings stark, dass Demokratie nicht nur eine Staatsform ist, sondern eine Lebensauffassung sei.
Gottesbezug gegen kurzatmige Politik
Genn befürwortete den Gottesbezug im ersten Satz des Grundgesetzes, in dem es heißt: "Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen...". Der Bischof erklärte: "Die Mütter und Väter des Grundgesetzes waren sich bewusst, dass der Terror, den sie erleben mussten, auch damit zusammenhing, dass Gott geleugnet wurde. Und dass dadurch die Würde des Menschen nicht mehr so unantastbar ist, wie wir das im Grundgesetz heute bekennen." Dieser Satz halte offen, dass es mehr gebe, als das Kurzatmige eines einzelnen Menschenlebens sowie Ideologien und Überzeugungen, wie sie der Nationalsozialismus in seiner Perversion dargestellt habe. "Ohne Gott hat der Nationalsozialismus Furchtbares angestellt."
Der Bischof warb auch für die Europawahl am 9. Juni. Die Grundidee der Europäischen Union eines geeinten Europas sei wunderbar. "Heute ist dieses Europa gefährdet. Das erfüllt mich mit Sorge, weil wir gerade in der momentanen Zeit ein starkes Europa mit gemeinsamen Werten brauchen, das nicht durch rechts- oder linksextremistische Positionen oder einen sich ausbreitenden Nationalismus erzielt werden kann."
Gottesdienst zum Jubiläum
Mit der Verkündung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 in Bonn wurde die Bundesrepublik Deutschland gegründet. Der 75. Jahrestag wurde am Donnerstag mit einem Staatsakt und einem zentralen ökumenischen Gottesdienst in Berlin gefeiert.
Der stellvertretende Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz, Bischof Michael Gerber, mahnte dabei einen weiterhin kritischen Blick auf die eigene Geschichte an. Dieser Blick sei hart erkämpft worden. Wenn er jetzt manipuliert werde, habe dies fatale Konsequenzen, warnte Gerber. Dies zeige etwa die Art und Weise, wie im Russland Wladimir Putins Geschichte umgeschrieben werde und dunkle Episoden sowie eigene Verbrechen negiert würden.
Die Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischöfin Kirsten Fehrs, erinnerte daran, dass das Grundgesetz den Menschen nach der Katastrophe nationalsozialistischer Gewaltherrschaft zunächst Halt gegeben habe. Die Artikel des Grundgesetzes entsprächen in ihrer Prägnanz den knapp gehaltenen zehn Geboten, die in Judentum, Christentum, Islam vorkämen.
Feste in vielen Städten
Von Freitag bis Sonntag ist in Berlin ein Demokratiefest geplant. Dort präsentieren sich staatliche Institutionen ebenso wie zivilgesellschaftliche Organisationen und die Kirchen. Steinmeier will am Sonntag gemeinsam mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron das Demokratiefest im Rahmen von dessen Staatsbesuch in Deutschland besuchen.
In der früheren Hauptstadt Bonn, wo das Grundgesetz am 23. Mai 1949 verkündet wurde, findet am Samstag ein "Fest der Demokratie" im ehemaligen Bundesviertel statt. Auch in anderen Städten waren zum Jubiläumstag und am Wochenende Festakte und Bürgerfeste geplant.