DOMRADIO.DE: Herr Pfarrer Hoverath, zu Ostern haben Sie 120, zum Großteil handschriftlich verfasste Dankesbriefe an Menschen verschickt, die Ihnen durch viele gemeinsame Pilgerreisen ins Heilige Land und nach Lourdes oder durch die Vertriebenen-Seelsorge verbunden sind und Ihnen in den letzten anderthalb Jahren mit ihrem Gebet Mut gemacht haben.
Denn seit Oktober 2022 leiden Sie an einer rasch fortschreitenden Form der Herzmuskelentzündung, die monatelange Krankenhausaufenthalte – darunter viele Wochen auf der Intensivstation – erforderlich gemacht hat. Zwischenzeitlich hing Ihr Leben an einem seidenen Faden. Wie geht es Ihnen heute?
Rainer Hoverath (Diözesanbeauftragter für Vertriebenen- und Aussiedlerseelsorge und Subsidiar in Köln): Den Umständen entsprechend gut. Ich habe keine Schmerzen. Zugegeben, mit der halben Kraft des Herzens geht alles sehr, sehr langsam. Aber es geht. Ich muss geduldig sein, sehr auf mich achten und darf mich nicht überfordern, aber ich habe alles, was ich brauche.
Ich trage nun eine "Life vest", einen tragbaren Defibrillator, der mich vor einem plötzlichen Herztod schützt, weil er bei einer lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörung den normalen Herzrhythmus wiederherstellt. Er gibt einen elektrischen Schock ab, um das Herz wieder im richtigen Rhythmus schlagen zu lassen.
Außerdem trage ich immer auch ein zweites Handy bei mir, über das ich Nachricht bekäme, wenn es für mich ein Spenderherz gibt. Denn seit März stehe ich auf der Liste von Eurotransplant. Und wenn die sich melden, muss ich umgehend reagieren und innerhalb von drei Stunden in der Klinik sein.
Als die Ärzte mir damals sagten, dass ich schwer herzkrank sei, traf mich das völlig überraschend. Trotzdem haben sie zuletzt in ihrem Entlassbrief aus dem Krankenhaus geschrieben, dass die Feier der heiligen Messe meine Genesung fördert und mir kleine selbständige seelsorgliche Aufgaben wie zum Beispiel Beichtehören wieder möglich sind, ich sogar bei meinem Gesundungsprozess davon profitiere, wenn ich nicht völlig untätig bin – selbst wenn ich nach wie vor krank geschrieben bleibe. Noch bin ich also kein absoluter Notfall. Folglich kann es mit einer Herztransplantation noch eine Weile dauern.
DOMRADIO.DE: Wie haben Sie die letzten anderthalb Jahre Ihrer Krankheit für sich erlebt?
Hoverath: In der Akutphase war mir gar nicht bewusst, dass ich in Lebensgefahr schwebte. Die Symptome Müdigkeit und Erschöpfung, Brustschmerzen und Atemlosigkeit ließen mich zunächst eher an einen Infekt denken. Erst das Blutbild und dann viele weitere Untersuchungen im Severinsklösterchen – unter anderem eine Biopsie am Herzen – brachten dann Klarheit und definierten den schweren Befund.
Der Besuch eines Mitbruders, den ich auf der Intensivstation um die drei Sakramente Beichte, Eucharistie und Krankensalbung bat, sowie die Tatsache, dass es mir immer schlechter ging, ließen mich dann allmählich verstehen, wie ernst es um mich stand. Einen Tag vor meiner Einlieferung ins Krankenhaus hatte ich noch einen Erntedankgottesdienst im Freien gefeiert.
Mein Unwohlsein habe ich daher darauf zurückgeführt, dass ich mich vielleicht verkühlt hatte, weil ich mit einem Mal so schlapp war. Und dann gab es irgendwann die Diagnose Riesenzellmyokarditis, eine äußerst seltene Autoimmunerkrankung, bei der die Herzmuskelzellen angegriffen und zerstört werden.
DOMRADIO.DE: Sie sagen selbst, Ihr Herz schlägt nur noch mit halber Kraft. Das bedeutet, Sie müssen ganz genau auf Ihren Körper hören, sind schnell erschöpft, brauchen immer wieder Ruhephasen und sind kaum belastbar. Woraus schöpfen Sie in dieser Situation Energie und Hoffnung?
Hoverath: Damals auf der Intensivstation waren es zunächst die täglich wechselnden Besuche meiner Geschwister und dann die fachlich wie menschlich hervorragende Behandlung der Ärzte und des Pflegepersonals im Herzzentrum der Uniklinik. Ganz besonders wichtig aber war mir die Fürsprache der vielen Menschen, die für mich gebetet haben, wie man mir später mitteilte – auch die des Erzbischofs, der mich zuletzt noch in der Karwoche im Krankenhaus besucht hat.
In dieser Situation habe ich ihn als guten Seelsorger erlebt und bin von Herzen dankbar, dass er mein Bischof ist. Das Gespräch mit ihm, in dem ich ihm auch sagen konnte, dass ich nicht in den Ruhestand versetzt werden, sondern noch möglichst lange für die Menschen da sein will, hat mir gut getan. Überhaupt habe ich die ganze Zeit über viel Zuspruch bekommen, dass diese vielen Wallfahrten ins Heilige Land, die ich 15 Jahre lang unternommen habe, für die Menschen, die ich führen durfte, segensreich waren, so dass ich hoffe, in ein paar Jahren – vorausgesetzt in Israel herrscht dann wieder Frieden – erneut dorthin reisen zu können.
Und dann schöpfe ich natürlich Hoffnung aus der täglichen Eucharistiefeier, aus meiner Verbindung mit Jesus im Glauben, und aus anderen geistlichen Impulsen. Und wenn ich mal nicht weiter weiß, sage ich: Jesus, sorge du! Sich ganz in Jesus hineinzugeben, gibt eine ganz neue Freiheit. Bei allem Schweren ist das etwas, was ich als Geschenk aus dieser Krankheit mitnehme.
DOMRADIO.DE: Haben Sie in den langen Wochen und Monaten der Not mit Gott gehadert? Was macht das mit einem, wenn man plötzlich todsterbenskrank ist?
Hoverath: In der schlimmsten Zeit habe ich an großer Luftnot gelitten und die Schwestern förmlich um Sauerstoff angebettelt. Die Angst, nicht genügend Luft zu bekommen, habe ich als lebensbedrohlich erlebt. Ja, ich hatte Angst, am Ende zu sein. Gleichzeitig konnte ich in dieser Situation die Todesnot Jesu in seinen letzten Stunden am Kreuz nachempfinden.
Ganz furchtbar waren auch die Albträume als Folge der Narkosen, die mir immer so vorkamen, als würde ich tatsächlich Allerschrecklichstes am eigenen Leib erfahren. So muss es Jesus im Ölgarten ergangen sein, als er vor Angst Blut geschwitzt hat. Auch solche Gedanken kamen mir in meiner größten Not.
Mit einem Mal hatte ich eine Ahnung von der krassen Dimension seines körperlichen und seelischen Leidens. Dass er verraten, erniedrigt, gemobbt, so würde man heute seine Verhöhnung nennen, und gefoltert wurde, der allerverstoßenste Mensch auf dieser Erde war, das kann ich seit meinen eigenen Todesängsten viel besser verstehen.
Meine wunderbare Medaille mit der Gottesmutter, die mir immer Trost war, hatte man mir im Krankenhaus abgenommen. Nun war die Stunde des Vertrauens gekommen – auch ohne äußere Zeichen wie eine solche Medaille – eines Vertrauens, dass Gott selbst in dieser dunkelsten Stunde der Todesangst dennoch da ist, auch wenn ich selbst nicht mehr beten konnte, weil mir dazu viel zu elend zumute war.
Es gab aber auch den Moment, in dem mir die Sauerstoffmaske, die mich zwar am Leben hielt, aber mich auch bis zum Äußersten forderte, wie ein Folterinstrument vorkam, und ich dachte: Ich kann nicht mehr, ich höre auf zu atmen. Das als Priester zu denken, dass ich absolut an meine Grenzen gestoßen bin, ich nicht mehr wollte, hat mich selbst geschockt. Natürlich gab es auch dieses Dilemma: Darf ich so etwas überhaupt entscheiden, nicht mehr atmen zu wollen?
Heute weiß ich, dass es natürlich alle nur gut mit mir gemeint haben und meine Lungenmuskulatur durch diese enormen Atemanstrengungen stärken wollten. Auch wenn ich mich noch so sehr bemühte, irgendwann ging es eben nicht mehr. Und dann kam die Situation, dass ich keinen Puls und keinen Blutdruck mehr hatte. Später, als ich aus dem Koma wieder aufgewacht bin, hat man mir gesagt, dass ich reanimiert worden bin.
Ja, was macht eine solche Erfahrung mit einem? Tatsache ist, dass ich heute keine Angst mehr vor dem Tod habe. Trotzdem bin ich froh, dass ich noch einen Aufschub bekommen habe, um für Gott und die Menschen da sein und mein Versprechen, das ich bei der Priesterweihe gegeben habe, auch in Zukunft noch einlösen zu können.
DOMRADIO.DE: Normalerweise würden Sie heute mit dem Krankenzug aus Lourdes zurückkommen. Denn Ihr sehnlichster Wunsch war, sobald wie möglich an der Grotte von Massabielle für Ihre Genesungsfortschritte zu danken. Aber für eine solche Reise sind Sie noch zu schwach. Daher laden Sie an diesem Samstag um 10 Uhr zu einer Dankmesse zu Ehren der Immaculata in die Kirche St. Maria in der Kupfergasse ein und freuen sich, wenn möglichst viele Menschen zur Mitfeier an diesem Kölner Wallfahrtsort zusammenkommen…
Hoverath: Es ist mir ein Anliegen, Gott, der unübertroffen barmherzig ist und uns letztlich doch hilft und heilt, aus ganzem Herzen zu danken. Und auch der Immaculata, die zweifelsohne meine Fürsprecherin war und während der schwierigsten Phase meiner Erkrankung Regie geführt hat.
Und dann will ich mich in diesem Gottesdienst vor allem auch bei den vielen Menschen bedanken, die in dieser Zeit nie aufgehört haben, für mich zu beten und mir auf diese Weise Mut zu machen. Immer wieder haben sie bestätigt, wie sehr sie noch heute von unseren gemeinsamen Pilgerreisen ins Heilige Land zehren, die für sie ein wahrer Schatz sind. Das gibt auch mir Kraft. Denn die Wirkungsstätten Jesu bleiben einfach mein liebstes Wallfahrtsziel.
Ich kann nur inständig hoffen, eines Tages wieder in der Eremos-Höhle am See Genesareth, an diesem einsamen biblischen Ort zu stehen, an dem ich so oft ganz laut das Brennen meines Herzens gespürt habe und an dem ich unbedingt wieder geistliche Energie tanken will.
DOMRADIO.DE: Sie haben es schon erwähnt. Sie haben sich für eine Herztransplantation entschieden. Seit ein paar Wochen stehen Sie daher auf der Liste von Eurotransplant für ein Spenderherz. Aber vermutlich dauert es noch eine ganze Weile, bis Sie den erlösenden Anruf bekommen und für eine Transplantation vorgesehen sind. An Ihrem Beispiel sieht man, wie wichtig Organspende ist…
Hoverath: Auf Organspende habe ich sicher heute einen anderen Blick. Früher dachte ich, wenn doch das Herz aufhört zu schlagen, es aus eigener Kraft nicht mehr weiter kann, stirbt ein Mensch. Und besonders schwer ist zu verstehen, dass ein Mensch auch dann tot ist, wenn das Gehirn seine Funktionsfähigkeit verloren hat, selbst wenn der Kreislauf durch die Herz-Lungen-Maschine künstlich aufrecht erhalten wird und ihm dann seine Organe entnommen werden können.
Aus meiner Krankheit heraus habe ich eine neue Perspektive gewonnen und mich intensiv mit Organspende auseinandergesetzt. Auch wenn ich grundsätzlich wieder Auftrieb bekommen habe, so fühle ich mich doch körperlich wie ein 90-Jähriger. Und die Vorstellung, eines Tages wieder mit voller Kraft arbeiten zu können, schenkt mir die Hoffnung, eines Tages wieder ganz für die Menschen da sein zu können. Und das ist ja das Ziel.
Ich habe inzwischen mit Menschen gesprochen, die Organspender sind, eine solchen Ausweis bei sich tragen und aus freien Stücken bereit sind, im Falle ihres Todes ihre Organe zu spenden. Diese Gespräche haben mich sehr entlastet und erleichtern mir den Schritt, diesen Weg zu gehen – mit großer Hochachtung vor diesen Menschen, die sich dafür zur Verfügung stellen. Es macht mich unendlich dankbar, dass es Menschen gibt, die anderen auf diese Weise helfen wollen.
DOMRADIO.DE: Wie würden Sie Ihre momentane Geisteshaltung schildern? Was hoffen Sie für die Zukunft?
Hoverath: Für diese im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubende Erfahrung in meiner akuten Krankheitsphase bin ich rückblickend tief dankbar. Sie war und ist wie eine Einübung und Bewährung meines Glaubens. Ich bin dankbar für einen Gott, der heilt.
Mir ist aber auch klar, dass diese Krankheit unaufhaltsam fortschreiten kann und sich aller Hoffnung zum Trotz eventuell kein Spenderherz für mich findet. Genauso gut aber kann auch sein, dass sich der Vorgang durch die Verschlechterung meines Zustands beschleunigt und ich schon bald auf der "High emergency-Liste" geführt werde und es einen Spender gibt. Oder aber – auch das schließe ich nicht gänzlich aus – es geschieht ein Wunder, mein Zustand stabilisiert sich auf diesem niedrigen Niveau und ich habe weiterhin genügend Kraft für meinen wenn auch deutlich eingeschränkten priesterlichen Dienst. Ungeduldig bin ich jedenfalls nicht.
Das Interview führte Beatrice Tomasetti.