DOMRADIO.DE: Für viele ist die Europapolitik ziemlich weit weg. Warum ist es aus Ihrer Sicht wichtig, auch dann zur Wahl zu gehen, wenn es einen vermeintlich nicht besonders interessiert?
Monika von Palubicki (stellvertretende Bundesvorsitzende der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands, kfd): Es stärkt auf jeden Fall unsere Demokratie und meine Freiheit, die ich wahrnehme, wenn ich meine Stimme abgebe. Und so kann ich einer Partei die Stimme geben, die am ehesten meine Interessen vertritt. Deutschland hat in der EU 96 von 720 Stimmen. Das ist bei 27 Staaten ein enormes Gewicht. Und da kann ich Einfluss nehmen, wenn ich meine Stimme nutze.
DOMRADIO.DE: Warum ist es gerade für Frauen wichtig, das Kreuz auch bei dieser Europawahl zu machen?
Von Palubicki: Wir haben das Frauenwahlrecht erst seit etwas über 100 Jahren, seit 1918. Es war hart errungen und es ist wichtig, dass wir Frauen unsere Meinung einbringen, unsere Stimme einbringen. Und im Grundgesetz ist erst seit 1957 verankert, dass wir gleichberechtigt sind. Da gibt es noch viel zu entwickeln, da gibt es noch viel umzusetzen.
Ich erinnere vielleicht mal an die sexuelle Selbstbestimmung: "Ein Ja ist ein Ja". Damit sind wir noch immer nicht durchgedrungen. Und wir haben in der kfd ein Positionspapier verabschiedet, um auch noch mal deutlich zu machen. Frauenleben sind sehr vielfältig und da ist es ganz wichtig, unsere Stimme abzugeben. Denn die AfD fordert da ein Rollback in alte Familienbilder, alte Rollenbilder und deshalb müssen gerade Frauen zur Wahl gehen.
DOMRADIO.DE: Demokratie ist wichtig, gerade jetzt in diesen Zeiten. Das wissen wir eigentlich alle. Aber demokratische Wahlen können ja auch mit einem starken Rechtsdrall ausgehen. Sehen Sie diese Gefahr?
Von Palubicki: Auf jeden Fall. Das haben die Wahlen in Thüringen und auch in anderen europäischen Ländern gezeigt, dass da eine große Gefahr besteht. Ich kann nur hoffen, dass unser Geschichtsbewusstsein groß genug ist, um zu wissen, was das bedeuten kann, wenn wir eine rechte Staatsführung haben. Es geht darum, die demokratischen Rechte zu erhalten und dafür zu sorgen, dass alle Menschen ihre Würde behalten, die Grundrechte für alle durchgesetzt werden. Das gilt für alle Menschen aller Nationalitäten, aller Hautfarben, egal welcher Religion. Dafür gilt es einzustehen, dass wir das auch durch unsere Stimme zum Ausdruck bringen.
DOMRADIO.DE: Zum ersten Mal dürfen auch viele 16- und 17-jährige wählen. Mehr als ein Fünftel der jungen Menschen würde zurzeit der AfD ihre Stimme geben. Wie sehr sorgt Sie das?
Von Palubicki: Das ist schon eine große Sorge. Rechtsextremismus grenzt viele Menschen aus. Und ich kann nur hoffen, dass die Jugendlichen sich dieser Gefahr bewusst sind und dafür eintreten, dass eine Zukunft gestaltet wird, in der wir alle mitnehmen können.
Wir haben deutlich gemacht, eine Mitgliedschaft in der AfD ist nicht vereinbar mit unseren Grundsätzen in der kfd und haben das auch noch mal bekräftigt und gesagt: Rechtsextremismus schwächt unsere Demokratie, schwächt unsere Rechte und lässt viele Menschen zurück.
DOMRADIO.DE: Die Bertelsmann Stiftung hat kürzlich im Rahmen einer Studie einen gesunkenen gesellschaftlichen Zusammenhalt festgestellt. Menschen haben weniger Vertrauen in Institutionen. Sehen Sie da einen Zusammenhang auch mit dem Bedeutungsverlust von Kirche?
Von Palubicki: Wenn ich mir ansehe, welche Punkte angesprochen wurden - Hilfsbereitschaft, Akzeptanz von Diversität, Identifikation mit dem Gemeinwesen - das sind Punkte, die laut der Studie zurückgegangen sind. Und das sind Werte, die in Religion, in christlichen Gemeinschaften gelebt und vermittelt werden, die eine Haltung befördern, die genau für diesen gesellschaftlichen Zusammenhalt wichtig sind.
Religion ist der Kitt der Gesellschaft. Und wenn jetzt diese Strukturen wegbrechen, dann besteht die Gefahr, dass Menschen sich nicht mitgenommen fühlen. Denn es zeigt sich ja auch in dieser Studie, dass diejenigen, die sich eingebunden fühlen in soziale Strukturen, die höchsten Werte bei den genannten Punkten haben.
In diesen Zeiten von Krisen und Veränderungen brauchen wir komplexe Lösungen. Wir brauchen Strategien. Und dafür ist wichtig, wenn Menschen engagiert sind, sich in einer Gemeinschaft wissen und dort auch diese Werte und Haltungen leben und einbringen können.
DOMRADIO.DE: Wenn wir gerade schon über Wahl und Kirche sprechen, würden Sie manchmal im kirchlichen Bereich auch mehr demokratisch abstimmen wollen?
Von Palubicki: Danke für die Frage! Da haben wir noch viel Potenzial, viel Luft nach oben. Wir haben ja beim Synodalen Weg gemerkt, wie wichtig es ist, die verschiedenen Perspektiven und Lebenserfahrungen aller Menschen einzuholen, unabhängig von ihrem Status, also ob Laie oder Kleriker, ob Frauen, queere Menschen, unabhängig von der Hautfarbe. Da müssen wir auch in Kirche lernen, diese Perspektiven mit einzubeziehen und gleichberechtigt zu würdigen. Ich glaube, da wird der Synodale Rat, auf den wir jetzt zusteuern, noch große Aufgaben haben.
Das Interview führte Carsten Döpp.