Paderborner Erzbischof blickt auf erste 100 Tage im Amt

Auf Entdeckungstour

Seit 100 Tagen hat das Erzbistum Paderborn einen neuen Erzbischof. Udo Bentz erzählt von seinen ersten Begegnungen im Amt. Er berichtet von den Unterschieden zwischen Stadt und Land und erklärt, welche nächsten Schritte er gehen will.

Udo Markus Bentz, Erzbischof von Paderborn, kommt zu seiner Amtseinführung in den Dom zu Paderborn. / © Friso Gentsch (dpa)
Udo Markus Bentz, Erzbischof von Paderborn, kommt zu seiner Amtseinführung in den Dom zu Paderborn. / © Friso Gentsch ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wie läuft es denn nach 100 Tagen im Amt?

Erzbischof Udo Bentz (Erzbischof von Paderborn): Sehr gut. Ich bin froh und dankbar über diese erste Zeit. Herzlichkeit, Offenheit, ganz viel Unterstützung erlebe ich momentan bei meinen Besuchen in den Regionen, bei den verschiedenen Dekanaten und im Generalvikariat. Ich besuche dort alle Bereiche, setze mich mit den Themen auseinander. 

Das erlebe ich natürlich auch in meinem unmittelbaren Arbeitsumfeld. Man spürt: "Den Neuen müssen wir an die Hand nehmen. Und den nehmen wir gerne an die Hand und zeigen ihm, wer wir sind." Es ist toll, das so zu erleben. Aber sie fragen auch, was ich denn wahrnehmen will und was ich darüber denke. Es wird Resonanz eingeholt. So entsteht momentan ein schönes Miteinander. 

Tagtäglich lerne ich Neues kennen. Aber ich denke auch drüber nach, wo rote Fäden sind, was genau sich daraus ergibt. Und der Satz, dass man mit einem Ostwestfalen einen Sack Salz essen muss, um eine Beziehung aufzubauen, kann ich absolut nicht bestätigen. Das geht viel schneller. Es reicht sogar schon eine Prise.

Udo Bentz

"Eine gute Beziehungsebene ist die Grundlage, um auch schwierige Themen angehen zu können."

DOMRADIO.DE: Ist es Ihnen wichtig, die Mitarbeiter gut mitzunehmen?

Bentz: Das ist keine Strategie, sondern etwas, was mich ausmacht. Ich spüre, dass das Vertrauen da ist und wächst, dass Offenheit da ist. Das macht auch mich entsprechend offen. Ich setze auf Vertrauen, weil eine gute Beziehungsebene die Grundlage ist, um auch schwierige Themen angehen zu können. 

Das ist im richtigen Leben so, warum nicht auch, wenn ein Erzbistum seinen neuen Bischof und der Bischof sein neues Erzbistum und die Menschen darin kennenlernen will. Wo schaffen wir eine gute Beziehungsbasis, um dann die Themen und auch die schwierigen Themen gut angehen zu können?

DOMRADIO.DE: Was sind die schwierigen Themen?

Bentz: Ganz klar die Frage der Aufarbeitung, die Frage sexuellen Missbrauchs, der Umgang damit jetzt und in Zukunft. Die Frage nach der Transparenz, die notwendig ist. Die Studie steht bevor, die Erkenntnisse, die wir daraus erzielen. Was brauchen wir, damit Betroffene, die noch nicht den Mut und die Möglichkeit gefunden haben, sich zu äußern, sich und ihre Verwundbarkeiten und ihre Verletzung zeigen? Wie können wir Betroffene weiterhin ermutigen, sich zu melden? 

Was brauchen wir, damit gute Prävention möglich ist, damit uns Vertrauen geschenkt wird? Wir können Vertrauen nicht erzwingen. Wie können wir die Ausgangsbasis schaffen, dass Menschen es neu wagen, uns zu vertrauen? Das ist mir wichtig, das so zu respektieren und daran auch zu arbeiten.

Udo Bentz

"Das ist genau das Spannende, weil meine Erfahrung, die ich mitbringe, ist ja nicht die alleingültige."

DOMRADIO.DE: Sie haben in Mainz sehr viele Erfahrungen gesammelt. Können Sie darauf jetzt in Paderborn zurückgreifen? Oder ist schon so viel angestoßen, dass Sie hier eigentlich gar nicht mehr viel machen können?

Bentz: Es ist ganz viel Gutes angestoßen, ganz viel, woran ich gut anknüpfen und gut mitgehen kann. Es ist anders, auch in der Vorgehensweise als in Mainz. Aber das ist genau das Spannende, weil meine Erfahrung, die ich mitbringe, ja nicht die alleingültige ist. 

Hier wird das Thema anders angegangen. Das ist genau die Auseinandersetzung, die es jetzt auch braucht, um zusammenzufinden. Ich kann sagen, es werden hier sehr gute Wege beschritten. 

Udo Bentz

"Wichtig ist, dass wir diese einzelnen Stränge, die verschiedenen Perspektiven auf Aufarbeitung bündeln."

Wichtig ist, dass wir diese einzelnen Stränge, die verschiedenen Perspektiven auf Aufarbeitung bündeln. Ich habe im Grunde alle wichtigen Beteiligten schon besucht. Ich habe mit der Aufarbeitungskommission gesprochen, mit der Betroffenenvertretung mehrfach. Ich habe mit Betroffenen gesprochen. Ich stehe intensiv im Gespräch mit den Interventionsbeauftragten und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, mit der Prävention. 

Diese Perspektiven müssen wir zusammen bündeln, damit für die Menschen im Erzbistum spürbar, erlebbar, erfahrbar wird, dass man einen verlässlichen Weg der Aufarbeitung und einen guten Weg der Prävention geht. Die Menschen im Erzbistum sollen darauf vertrauen können, dass dieses Thema nicht weggedrückt, sondern als Teil unserer Wirklichkeit akzeptiert und angenommen wird und wir damit aber auch in die Zukunft gehen. Denn es ist ein Teil unserer Wirklichkeit. Es ist nicht die ganze Wirklichkeit. Es ist unsere Aufgabe, alles gut in den Blick zu nehmen und dazu gehört auch diese Seite.

DOMRADIO.DE: "Alles gut in den Blick nehmen" ist ein schönes Stichwort. Sie sind im Moment dabei, diese große Erzdiözese kennenzulernen. Gibt es etwas, was Sie bei Ihren Besuchen überrascht hat?

Bentz: Die Unterschiedlichkeit der verschiedenen Regionen. In Dortmund habe ich erlebt, wie präsent Kirche dort in der Stadt ist, mit verschiedensten Projekten, an schwierigen sozialen Brennpunkten und mit welcher Kreativität man unterwegs ist. Auf der anderen Seite habe ich erlebt, was Land oder ländliche Strukturen bedeutet. Im Bereich von Höxter und im Hochsauerland war ich gewesen. 

Diese Gegensätzlichkeit oder diese Unterschiedlichkeit zwischen Stadt und Land ist nicht überraschend, aber ich kenne sie so nicht. Dort kann man erleben und wahrnehmen, wie unterschiedlich Kirche ist und auch die Menschen da ticken. Es ist spannend, die verschiedenen Bedarfe der Menschen an die Kirche zu erfahren. 

Es gibt tolle Sachen im Erzbistum. Ich war jetzt im Hochsauerlandkreis und habe dort zum Beispiel den spirituellen Sommer erleben können, wo man versucht hat, Kontakt zu den Menschen zu bekommen. Ich habe die reiche Kulturlandschaft, auch zum Beispiel die Klosterlandschaft Ostwestfalen, zu einem Teil schon kennenlernen dürfen. Das ist toll, denn diese Region ist für mich bisher, ich muss es gestehen, so ein bisschen "terra incognita" gewesen.

DOMRADIO.DE: Gab es eine Situation, die Sie herausgefordert hat?

Bentz: Ich glaube, dafür ist es einfach noch zu früh. Denn Kennenlernen fordert, ja. Kennenlernen ist aber einfach auch gut und schön. Man muss aber auch einfach diese Fülle verarbeiten. Wo legt man das Erlebte innerlich ab, um damit weiter arbeiten zu können? 

An einem solchen Tag in einem Dekanat trifft man so viele Menschen, hat so viele Eindrücke, lernt Projekte, Gremien, Strukturen, aber eben vor allen Dingen Menschen kennen. Am Abend ist der Kopf richtig voll. Das dann gut zu sortieren und diese wesentlichen Eindrücke zu behalten, damit es nicht wie ein Film vorüberzieht, ist die große Herausforderung.

DOMRADIO.DE: Sie waren auch schon bei einer ersten Veranstaltung, wo es speziell um die Zukunft ging. Das Erzbistum hat sich ein Zukunftsbild gezeichnet, "Zukunft 2030+". Wo sehen Sie da denn die Herausforderungen?

Udo Bentz

"Eine Optimierungsstrategie ist in einer gewissen Weise an ihr Ende gekommen."

Bentz: Ich erlebe, dass das Erzbistum wie fast alle anderen Bistümer auch vor einer ähnlichen Herausforderung steht. Wir müssen überprüfen, ob unsere Strukturen, die seelsorgliche Infrastruktur, wenn man das so nennen darf, die seelsorgliche Landschaft zu den Ressourcen, die die Zukunft uns zur Verfügung stellt, passt. Passt das zu dem, wie Kirche derzeit in ihrem Umbruch, in ihrer Veränderung präsent ist? 

Wir können nicht einfach versuchen, mit immer weniger Ressourcen zu optimieren. Eine Optimierungsstrategie ist in einer gewissen Weise an ihr Ende gekommen. Ich glaube, wir müssen uns noch deutlicher damit auseinandersetzen, wie die Transformation von Seelsorge in die Zukunft aussieht und wie künftig Ereignissorte von Kirche aussehen? 

Da braucht es verlässliche Ankerorte in einem Bistum für die Menschen. Da braucht es aber auch sehr fluide Formen, wo Kirche sich ereignet und Kirche nah am Leben dran ist.

DOMRADIO.DE: Was wäre so ein Ankerort konkret?

Bentz: Ankerorte sind mit Sicherheit, das wurde mir immer wieder auch bestätigt, die Wallfahrtsorte, an denen mehr passiert als "nur" Wallfahrt, sondern sehr viel Seelsorge. Dort treffen sich sehr viele Gruppen zu ganz verschiedenen Dingen. 

Solche Ankerorte sind natürlich auch die großen Pfarreien, meines Erachtens auch unsere Schulen in Bistumsträgerschaft, die karitativen Einrichtungen, unsere Kitas und all da, wo verlässlich erlebbar wird, dass Kirche da ist und ihren Auftrag in der Zeit lebt. Und dann gibt es eben andere Erscheinungsformen, die sehr viel spontaner sind, wie zum Beispiel ein spiritueller Sommer. 

Ich bin wirklich froh und dankbar, dass die Leute etwas machen wollen und mit einem guten Stolz ihre Ideen zeigen. Da gibt es ganz viel kreatives Potenzial. Man will nicht einfach nur getrieben sein, sondern man will Zukunft denken. Das ist eine für mich super Voraussetzung.

DOMRADIO.DE: Wie möchten Sie, dass Ihr Erzbistum zukünftig auch über die Bistumgrenzen hinaus wirkt?

Bentz: Wir haben, das nehme ich wahr, sehr gute und ganz vielfältige Verbindungen in die Weltkirche. Das kommt mir insofern entgegen, weil ich von meiner Herkunft schon intensiv in der Weltkirche unterwegs war und ein großes Interesse für die vielen Herausforderungen und für die Themen der Weltkirche habe. 

Das Erzbistum als einen starken, verlässlichen Partner zu erleben, der die Themen in der Weltkirche auch hier in unsere Kirche in Deutschland präsent setzt und Brücken baut, ist mir sehr wichtig. Ich möchte auch weiterhin daran mitwirken, dass Paderborn darin stark ist. 

Ich erlebe Paderborn auch in bestimmten administrativen Fragen als sehr gut aufgestellt. Das Erzbistum hat Potenzial, Partnerschaften und Kooperationen in den Blick zu nehmen, die es künftig noch mehr braucht als bisher. In dieser Hinsicht bin ich dann auf der Suche, was meine Rolle als Erzbischof innerhalb der Konferenz mit all den Themen sein wird. Aber das wird sich zeigen. Dafür sind 100 Tage noch zu kurz.

Udo Bentz

"Ich hoffe, dass ich in diesem Amt vor allen Dingen auch ich selbst mit einer Handschrift sein kann und nicht nur Funktion bin."

DOMRADIO.DE: Sie haben hier ein Amt, das auch durchaus mit Macht gefüllt ist. Wie verändert die neue Macht, die Sie jetzt haben, den Menschen Udo Bentz?

Bentz: Ich hoffe, dass ich auch weiterhin der sein kann, der ich bin. Mir ist wichtig, gemeinsam zu verantworten. Das ist für mich ein ganz zentrales Stichwort. Ich bin auch dabei, diese gemeinsame Verantwortung in der Architektur der Bistumsleitung entsprechend zu verorten und verlässlich zu machen. Das betrifft auch die beiden Generalvikare mit ihrer verzahnten und einander zugeordneten Verantwortung. 

Ich habe eine neue Leitungskonferenz geschaffen, in der alle Bereiche ganz regelmäßig die wesentlichen strategischen und inhaltlichen Themen miteinander austauschen, damit das nicht über verschiedene Hierarchiestufen, sondern wirklich gemeinsam an einem Tisch geschieht. Das werden wir jetzt in den weiteren Gesprächen auch weiterentwickeln. Und ich hoffe, dass ich in diesem Amt vor allen Dingen auch ich selbst mit einer Handschrift sein kann und nicht nur Funktion bin.

Das Interview führte Ingo Brüggenjürgen.

Erzbistum Paderborn

Erzbistum Paderborn / © Bernd Thissen (dpa)
Erzbistum Paderborn / © Bernd Thissen ( dpa )

Das Erzbistum Paderborn ist eine Ortskirche der katholischen Kirche. Rund 4,8 Millionen Menschen leben im Erzbistum Paderborn, davon sind mehr als 1,4 Millionen katholisch. In den Einrichtungen des Erzbistums sind annähernd 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tätig. Sie und viele ehrenamtlich Engagierte setzen sich täglich dafür ein, einen lebendigen Glauben zu gestalten und den Auftrag der Kirche zu erfüllen – in der Feier von Gottesdiensten, der Seelsorge, in Bildungseinrichtungen und mit caritativen Angeboten.

Quelle:
DR