Knapp 8.400 Patienten warten derzeit verzweifelt auf ein Spenderorgan. Doch die Spendenbereitschaft in Deutschland bleibt niedrig. Deshalb wollen mehrere Bundestagsabgeordnete die Regeln zur Organentnahme ändern.
Wegen der dauerhaft geringen Zahl an Organspenden in Deutschland wird wieder darüber diskutiert, ob die Bundesbürger stärker auf eine Organspende verpflichtet werden sollen. Bundestagsabgeordnete mehrerer Parteien wollen am Montag einen Gesetzesvorschlag für die Einführung einer Widerspruchslösung vorlegen, die zu mehr Spendern führen soll. 2020 hatte der Bundestag dieses Konzept noch abgelehnt. Einige zentrale Begriffe der Debatte:
Wie ist die Organspende in Deutschland geregelt?
In Deutschland regelt das 1997 verabschiedete Transplantationsgesetz diesen Bereich. Um Missbrauch oder Organhandel zu verhindern, sieht das Gesetz eine strikte organisatorische und personelle Trennung der Bereiche Organspende, Vermittlung und Transplantation vor.
Für die Koordination der Spende ist die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) zuständig. Sie soll dafür sorgen, dass alle notwendigen medizinischen und organisatorischen Schritte vollzogen werden, damit Organe entnommen, an geeignete Patienten vermittelt und transplantiert werden können. Zwei Ärzte müssen unabhängig voneinander den Hirntod des Patienten feststellen.
Wer darf Organe entnehmen oder transplantieren?
Derzeit gibt es in Deutschland rund 1.350 Krankenhäuser mit Intensivstation, die Organe entnehmen dürfen. Sie sind seit 2012 verpflichtet, Transplantationsbeauftragte zu bestellen.
Sie sollen potenzielle Organspender identifizieren, melden und die Angehörigen begleiten. Sie sorgen auch dafür, dass das ärztliche und pflegerische Personal im Entnahmekrankenhaus über die Bedeutung und den Prozess der Organspende regelmäßig informiert wird.
Was besagt die Zustimmungslösung?
Seit 1997 gilt in Deutschland eine erweiterte Zustimmungslösung: Nur wenn der Verstorbene zu Lebzeiten ausdrücklich einer Organentnahme zugestimmt hat, dürfen die Organe auch entnommen werden. Eine Zustimmung kann beispielsweise per Organspendeausweis oder durch eine mündliche Verfügung gegeben werden.
Erweitert wird die Regelung dadurch, dass auch die Angehörigen oder vom Verstorbenen dazu bestimmte Personen berechtigt sind, über eine Entnahme zu entscheiden. Entscheidungsgrundlage ist dabei immer der ihnen bekannte oder der mutmaßliche Wille des Verstorbenen.
Vor wenigen Jahren ist die erweiterte Zustimmungslösung noch durch eine Entscheidungslösung ergänzt worden. Warum?
Die 2012 vom Bundestag beschlossene und 2020 noch einmal ergänzte Entscheidungslösung sieht vor, jeden Bürger zur Bereitschaft für oder gegen eine Organspende zu befragen. Diese Entscheidung soll dokumentiert werden.
Dies könnte beim Ausstellen des Personalausweises oder des Führerscheins geschehen. Ebenso ist eine Speicherung der Entscheidung auf der elektronischen Gesundheitskarte denkbar.
2012 hat der Bundestag die Krankenkassen verpflichtet, alle Bürger in regelmäßigen Abständen über die Organspende zu informieren und an sie zu appellieren, sich für oder gegen eine mögliche Spende zu entscheiden. 2020 wurde zudem die Einrichtung eines bundesweiten Online-Registers beschlossen. Es geht in diesem Jahr stufenweise online.
Andere Länder haben eine Widerspruchslösung. Wäre das auch ein Konzept für Deutschland?
Diese Regelung wird auch in Deutschland schon seit Jahrzehnten diskutiert - und wurde immer wieder verworfen. Bundestagsabgeordnete mehrerer Parteien, mehrere Bundesländer und die Bundesärztekammer fordern derzeit angesichts dauerhaft niedriger Spendezahlen erneut die Einführung einer Widerspruchslösung.
Was besagt diese Widerspruchslösung?
Hat der Verstorbene einer Organentnahme zu Lebzeiten nicht ausdrücklich widersprochen, beispielsweise in einem Widerspruchsregister, können die Organe zur Transplantation entnommen werden. Dadurch wird der Kreis potenzieller Spender erweitert. Der Staat geht von einer grundsätzlichen Bereitschaft zur Organspende aus. Das könnte die Zahl der Spender deutlich erhöhen.
Bestätigt sich das in anderen Ländern?
Diese gesetzliche Regelung gilt beispielsweise in Belgien, Österreich oder Spanien. In Spanien gibt es die weltweit höchste Rate an Organspenden. Allerdings liegt das offenbar nicht allein an der Widerspruchslösung. Dort besteht eine andere Kultur der Organspende - auch die Krankenhäuser werden dafür besser ausgestattet und bezahlt.
Welche Argumente werden in Deutschland gegen eine Widerspruchslösung ins Feld geführt?
Kritiker halten sie für verfassungswidrig und kontraproduktiv, weil sie das Misstrauen in die Transplantationsmedizin noch erhöhen könnte. Sie verweisen darauf, dass in Deutschland jede medizinische Behandlung der ausdrücklichen Zustimmung des Patienten bedarf. Dieses Prinzip würde ausgerechnet bei einer so schwierigen Frage ausgehebelt. Auch für die katholische Kirche ist die Widerspruchslösung bislang nicht akzeptabel: Nach ihrer Ansicht muss die Organspende eine bewusste und freiwillige Entscheidung bleiben - ein Zeichen der Nächstenliebe.
(KNA/Christoph Arens/21.06.2024)