DOMRADIO.DE: In 80 Konzerten gibt es Musik von Klassik bis zu Klezmer, von Liturgischer bis Neuer Musik. Gleichzeitig sind Menschen jüdischen Glaubens seit dem Hamas-Überfall auf Israel weltweit unter Druck. Auch in Deutschland erleben wir eine kaum für möglich gehaltene Welle an Antisemitismus. Wie wichtig ist da ein solches Festival, das auf Dialog und auf ein friedliches Miteinander setzt?
Ulrike Neukamm (verantwortlich für das künstlerische Programm und die Projektleitung): Wir finden es gerade wichtig, es in einer Zeit wie jetzt zu machen. Und wir haben uns natürlich auch viel darüber ausgetauscht, auch mit unseren jüdischen Beratern, unseren jüdischen Kooperationspartnern. Und die sagen, wenn nicht jetzt, wann dann? Wann ist es jemals wichtiger gewesen, ein Musikfestival zu machen, wo Musik ein Mittel ist, um Menschen zusammenzubringen und zu verbinden? Deswegen haben wir auch unser Motto "Together now" genannt, weil wir denken, es gibt gerade nichts Wichtigeres.
DOMRADIO.DE: Deutsche Juden, die nichts mit der israelischen Regierung am Hut haben, sehen sich trotzdem Anfeindungen ausgesetzt. Wie wichtig ist es, dass sich die jüdische Kultur in Deutschland, die gerade in Köln seit mindestens 1.700 Jahren besteht, jetzt nicht versteckt?
Neukamm: Ich als Nicht-Jüdin kann natürlich nur eine Ahnung davon haben, was es für die Jüdinnen und Juden jetzt gerade bedeutet. Ich weiß natürlich auch von unseren jüdischen Freunden, dass sie das im Moment nicht auf dem Tablett vor sich hertragen.
Trotzdem finden sie und finden wir es wichtig. Viele jüdische Musiker, die jetzt bei uns auftreten und mit denen ich darüber gesprochen habe, haben erzählt, dass sie im Oktober in einer Art Schockstarre waren und dachten: Kann man jemals wieder auf die Bühne gehen? Dann haben sie aber auch gesagt: Nein, wenn überhaupt, dann ist Musik das Mittel der Wahl. Deswegen ist es besonders wichtig, das jetzt zu tun.
DOMRADIO.DE: "Ein kleines bisschen Glück" ist die Überschrift zum Eröffnungskonzert am 15. August. Im Zentrum steht die jüdische Komponistin Maria Herz aus Köln. Was für eine Künstlerin war das? Welche Musik gibt es von ihr zu hören?
Neukamm: Maria Herz ist tatsächlich in Köln geboren und ist Tochter einer Textilhändler-Familie gewesen. Das Kaufhaus der Familie Bing, so hieß sie, steht heute noch am Neumarkt. Da ist heute das Gesundheitsamt drin. Zu ihrer Zeit war war es schon sehr ungewöhnlich für sie als Frau zu komponieren. Sie hat sich da aber nicht beeindrucken lassen. Sie war eine sehr gute Pianistin und hat auch mit dem Schreiben von Klavierstücken angefangen.
Später ist sie mit ihrem Mann, Albert Herz, nach England gegangen und hat dort auch komponiert. Sie hat ein doch reiches Werk geschaffen, das aus Orchesterwerken, Kammermusik, Klavierwerken, Liedern besteht, die aber noch sehr unentdeckt sind und die heute in der Bibliothek in Zürich liegen, wo jetzt ihr Enkel, der auch Albert Herz heißt, die Werke von ihr quasi entdecken lässt.
DOMRADIO.DE: Und bei zeitgenössischer Musik oder Musik, die etwa 70 Jahre alt ist, kommt meist die Frage: Wie klingt die Musik? Manchmal denken die Leute, das ist dann Musik, mit der man nichts anfangen kann. Wie klingt in etwa die Musik von Maria Herz?
Neukamm: Maria Herz ist keine moderne Komponistin in dem Sinne von Zwölftonmusik oder so gewesen. Im Gegenteil, sie hat sich sehr an Johann Sebastian Bach orientiert. Sie muss ein großer Bach-Fan gewesen sein, denn sie verwendet auch in verschiedenen Streichquartette die Grundpfeiler, die Bach auch in seiner Komposition verwendet hat.
Das Cembalo-Konzert, das wir von ihr im Eröffnungskonzert als Welturaufführung spielen, ist in einer Besetzung, wie Bach sie beim fünften Brandenburgischen Konzert verwendet hat. Und es war ja natürlich zu dieser Zeit auch eher ungewöhnlich, das Cembalo zu verwenden, denn das war ja längst ausgestorben. Es gab ja gerade in den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts eine Art Revival für das Instrument. Da werden wir wirklich ein spannendes Werk zu hören bekommen.
DOMRADIO.DE: Bei 80 Veranstaltungen Ihres Festivals ist es schwer, da jetzt einzelne Sachen herauszugreifen. Eine Sache möchte ich trotzdem noch mal besonders ansprechen. Das ist der lange Tag mit jüdischer Musik und da ist besonders das Kantorenkonzert. "Hallelujah" ist das Motto. Dieses Wort ist natürlich auch für Christen sehr bekannt als Jubelgesang vor dem Verlesen des Evangeliums. Wie müssen wir uns das Konzert vorstellen?
Neukamm: Erst mal finde ich toll, dass wir dieses Konzert in der Synagoge machen können. Auch und natürlich gerade in diesen Zeiten. Wir haben drei, wie ich denke, spannende Kantoren. Und zwar einmal Mordechai Tauber, das ist der Kantor der Synagogengemeinde Köln. Dann Baruch Chauskin aus der Gemeinde in Osnabrück und Yonatan Amrani, den Kantor der Israelitischen Kultusgemeinde in Nürnberg.
Die drei tun sich zusammen und es wird ein spannendes liturgisches Programm für das Konzert geben. Ich glaube, das ist ein schöner Auftakt für den langen Tag der jüdischen Musik.
DOMRADIO.DE: Und Sie haben ja vorab verraten: Es geht los in der Kölner Synagoge und es endet am Dom.
Neukamm: Es endet nicht nur am Dom, es endet im Dom tatsächlich mit Domorganist Winfried Bönig, der zusammen mit der jungen Trompeterin und Sängerin Yael Gat aus Berlin ein Konzert für Orgel und Trompete zusammenstellt.
Und das Tolle: Yael Gat spielt auch das Schofar, also das liturgische Instrument aus Horn, das eigentlich nur zu den hohen Feiertagen gespielt wird. Das ist sicher auch sehr spannend, wenn das Schofar im Dom erklingt.
DOMRADIO.DE: Konzerte haben den Nachteil, dass man sitzt. Dagegen haben Sie was, nämlich eine Konzertreise auf dem Rad im Rhein-Erft-Kreis. Das heißt: 40 jüdische und nicht jüdische Musiker und Musikerinnen spielen an mehreren Orten entlang der Erft, da spielen sie kurz Konzerte und die Zuhörer kommen da mit dem Fahrrad hin. Wie fit muss man denn sein?
Neukamm: Man sollte schon mal auf dem Fahrrad gesessen haben, denn es sind immerhin 42 Kilometer (lacht). Das klingt jetzt erst mal viel. Man hat dafür aber ja den ganzen Tag Zeit, es beginnt morgens um 9:00 und endet abends um 19:00 Uhr.
Das heißt, man ist wirklich den ganzen Tag unterwegs und hat diese wunderschöne Strecke an der Erft entlang. Ich bin sie selbst schon gefahren, es ist wirklich ein Erlebnis. Es gibt wirklich viele Schlösser im Erftkreis. Wir beginnen im Schloss Bedburg, einem Wasserschloss. Dann kommt das Schloss Paffendorf, noch mal ein Wasserschloss.
Wir kommen nach Schloss Loersfeld. Das ist auch ein wunderschönes Schloss-Ambiente und die Burg Konradsheim, die auch eigentlich eher ein Schloss ist.
Es sind also vier wirklich wunderschöne Schlösser und dazwischen haben wir eine kleine Kulturkapelle in Bergheim und wir sind in einer romanischen Kirche in Kerpen-Horrem und zur Erholung auch im Wasserpark in der Gymnicher Mühle. Der Abschluss ist in dem wunderschönen Konzerthaus in Erftstadt.
DOMRADIO.DE: Jüdisches Leben ist unter Druck wie wohl seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Welche Hoffnung verbinden Sie mit diesem Festival, das es ja immerhin auch schon seit 2021 gibt?
Neukamm: Ich weiß, dass wir vor zwei Jahren, beim letzten Festival, eine wunderschöne Rückmeldung bekommen haben von einer jüdischen Amerikanerin, die in Köln war und die uns glücklich geschrieben hat: Die ganze Stadt war voll von Klängen, wir hatten Klezmer auf der Straße und so weiter; und sie meinte, das hat ihr so gutgetan und ich glaube, man kann auch eine Stärke entwickeln, die vielleicht hilft, dem Hass und dem Antisemitismus etwas entgegenzusetzen.
Das Interview führte Mathias Peter.