Für Alexej Garkuscha (27), Pastor einer Mennoniten-Gemeinde mit zwanzig Gläubigen in der ostukrainischen Stadt Saporischschja, war es klar, dass er den Kriegsdienst verweigert und statt dessen Ersatzdienst leistet. Die pazifistischen Mennoniten nehmen keine Waffe in die Hand.
Der junge Geistliche, der von seinen mennonitischen Großeltern erzogen wurde, war früher aktiv in der Gemeinde von Molotschansk, einer Kleinstadt 80 Kilometer von Saporischschja. Doch das war vor Russlands Einmarsch 2022. Molotschansk ist inzwischen besetzt.
"Und die Russen haben keinen Respekt vor nichtorthodoxen Kirchen", so Garkuscha. Das Gebäude der Mennoniten, das mit Hilfe von kanadischen Glaubensgeschwistern gebaut worden war, beschlagnahmten sie. Die Gemeinde von Molotschansk gibt es nun nicht mehr.
Und auch den Radikalpazifismus habe man nach der russischenInvasion angepasst. "Alles andere würde man im Volk nicht verstehen." Und so versuche man auf der einen Seite dem Dienst mit der Waffe zu entgehen, während man aber die ukrainische Armee unterstütze. Garkuscha selbst arbeitet als Militärgeistlicher.
Ungeduldig warten an einem Donnerstag rund zwei Dutzend Kinder des Dorfes Mikolaj-Pole auf Alexej und zwei weitere Gemeindemitglieder. Die drei bringen Abwechslung. Wenn sie kommen, können sie im Gartendes Gemeindehauses Fußball oder Volleyball spielen, reden und bekommen Lebensmittel.
Eine Stunde lang spricht Alexej mit ihnen über Gott, liest mit ihnen die Bibel. "In den Dörfern ist nichts los. Da sind die Kinder froh, wenn wir ihnen ein Programm bieten."
Religionsfreiheit und Befreiung vom Wehrdienst
1789 gründeten in Saporischschja Deutsch sprechende Mennoniten ihre erste Siedlung in der Ostukraine. Sie lockte das Versprechen von Religionsfreiheit, Befreiung vom Wehrdienst und Land.
Hier lebten sie bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. Danach überlebten nur noch wenige Mennoniten im Gebiet Saporischschja. Eine davon, eine 96-jährige Frau, habe er persönlich kennengelernt, berichtet Alexej Garkuscha.
Sie habe noch Deutsch als Muttersprache gesprochen. Kaum jemand in Saporischschja kennt die Geschichte der Mennoniten von Saporischschja so gut wie der Journalist und Historiker Roman Akbasch. Er empfängt den Gast in der Trauma-Abteilung einer Klinik von Saporischschja, wo der Soldat wegen einer Frontverletzung behandelt wird.
Ja, friedfertig seien sie gewesen und fleißig, die Mennoniten. Ihre Dörfer hätten immer besser ausgesehen als die anderen. Sie hätten eine wichtige Rolle bei der Industrialisierung gespielt. Und ein Mennonit sei es gewesen, der den ersten Traktor gebaut habe.
Für ihren strikten Pazifismus seien die Truppen des Anarchisten Nestor Machno eine Herausforderung gewesen. "Friede den Hütten, Krieg den Palästen", war eine Losung der Anarchisten von Machno, die für eine freie Ukraine kämpften.
Doch als die anarchistischen Truppen während des russischen Bürgerkriegs 1917 bis 1921 die wohlhabenden Dörfer der Mennoniten angriffen, verteidigten sich die Mennoniten mit der Waffe in der Hand.
Zahlreiche Morde unter Stalin
Unter Stalin wurde dann die Hälfte der männlichen Bevölkerung ermordet. Kein Wunder, so Akbasch, dass sich die Mennoniten von denheranrückenden deutschen Truppen eine Besserung ihrer Lage versprachen und einige gar mit den Deutschen kollaborierten.
Aus Angst vor Racheakten der Sowjetmacht gingen viele Mennoniten als "Volksdeutsche" mit den abziehenden Truppen der Wehrmacht nach Deutschland. Denis Korotenko, Vorsteher der 25 Kilometer von Saporischschja entfernten Gemeinde Schyroke, ist stolz auf das mennonitische Erbe.
In Schyroke, das 1790 von Deutsch sprechenden flämischen Mennoniten gegründet wurde und zunächst Neuendorf geheißen hatte, hatten 100 Jahre zuvor 39 mennonitische Familien gelebt. Und hier eröffnete eine Mädchenschule 1895 für 71 mennonitische Schülerinnen.
Fahrradweg der Erinnerungen
Die Gemeinde ist im ständigen Kontakt mit den inzwischen in Kanada lebenden Nachfahren der Mennoniten von Chortizja. Ein "Mennonitischer Fahrradweg" wurde eingerichtet, der an Gebäuden vorbeiführt, die einst von Glaubensbrüdern gebaut wurden.
Sie sind gut erkennbar an den roten Ziegeln und den Bogenfenstern in den höheren Stockwerken. Und im Einwohnermeldeamt von Schyroke, ebenfalls von Mennoniten erbaut, zeugen Fotos aus dem vergangenen Jahrhundert auf einer großen Wandtafel von den prägenden Zeiten der Mennoniten in Schyroke.
"Gerne würden wir mehr Geld und Zeit in die Restaurierung der Gebäude investieren", sagt Julia Noskova, die in Schyroke für die Entwicklung der Gemeinde zuständig ist. "Aber in Schyroke leben 9.300 Binnenflüchtlinge aus den besetzten Gebieten. Bei einer Gesamtbevölkerung von 15.000 Menschen.
Und die Sorge für die Bedürftigen hat erstmal Vorrang", so Noskova. "Leider haben wir keinen Kontakt zu deutschen Mennoniten", bedauert Gemeindevorsteher Korotenko. "Ich hoffe sehr, dass sich ein Kontakt herstellen lässt. Unsere Türen sind offen."