Die Deutung der jüngeren argentinischen Geschichte bleibt unter dem radikal-marktliberalen Präsidenten Javier Milei ein mit vielen Emotionen besetztes Thema. Dazu trug auch ein Besuch von Abgeordneten aus der libertären Regierungs-Partei "La Libertad Avanca" bei verurteilten Tätern aus der Zeit der argentinischen Militärdiktatur bei.
Eine Gruppe von sechs Abgeordneten aus dem Regierungslager hatte im vergangenen Monat die Diktaturverbrecher im Gefängnis besucht und damit eine Welle der Empörung ausgelöst. Präsident Javier Milei distanzierte sich von dem Vorgehen seiner Parteifreunde: "Das ist nicht mein Thema". Es müsse untersucht werden, wie der Besuch zustande gekommen sei, sagte Milei. Die konservative Sicherheitsministerin Patricia Bullrich ging ebenfalls auf Distanz und erklärte: "Ich habe von dem Besuch der Abgeordneten aus den Zeitungen erfahren."
Militärdiktatur war eines der brutalisten Regime weltweit
Doch nun ist das Thema in der Welt. Die argentinische Militärdiktatur (1976-1983) zählte zu den brutalsten Regimen des vergangenen Jahrhunderts. Linksgerichtete Studenten wurden brutal gefoltert, regierungskritischen Müttern die Kinder weggenommen, Oppositionelle verschwanden spurlos. Noch heute ist das Schicksal zahlreicher Opfer ungeklärt; im Raum steht eine Zahl von 30.000. Diese Höhe ist in Argentinien umstritten. Auch Milei zweifelt die Zahlen an und spricht von mehreren tausend Opfern. Unbestritten ist allerdings die Grausamkeit und Brutalität, mit der die rechtsgerichteten Militärs vorgingen.
Vizepräsidentin Victoria Villarruel gehört zu jenen Politikern, die fordern, dass auch an die Opfer der damals in Argentinien agierenden linken Guerillabanden gedacht werden müsse. Ihr Vater Eduardo Marcelo Villarruel gehörte zu jenen Militärs, die 1975 von der damaligen Argentinischen Präsidentin Isabel Martinez de Peron mit dem Kampf gegen die Guerilla-Banden beauftragt wurden. Die argentinische Linke wirft Villaruel vor, die Gewalt und Verbrechen der Militärs während der Diktatur verharmlosen zu wollen. Villaruel wiederum kritisiert, die Linke leugne die Gewalt und Verbrechen der Guerilla.
Der Streit zeigt, wie sehr das Thema die argentinische Gesellschaft auch knapp vier Jahrzehnte nach Ende der Diktatur noch aufwühlt. Für diesen Dienstag hat Villaruel zu einem Gedenkakt im Senat aufgerufen: "Am 27. August werden wir im Senat Gerechtigkeit, Wahrheit und Wiedergutmachung für alle Opfer des Terrorismus fordern." Das impliziert auch, dass Opfern linker Guerillabanden gedacht werden soll. Das spielte bislang in öffentlichen Akten in Argentinien keine Rolle.
Vorwurf: Priester hat Gefängnisbesuch organisiert
Auch die katholische Kirche ist in den Streit um den Gefängnisbesuch involviert. Villaruel werden enge Kontakte zum erzkonservativen Flügel der Kirche nachgesagt. Dem gehört auch Priester Javier Olivera Ravasi an - er soll den Besuch der Politiker am 11. Juli im Gefängnis in Ezeiza im Großraum Buenos Aires organisiert haben. Laut Medienberichten wurde er anschließend vom Bistum Zarate-Campana suspendiert. Ravasi meldete sich wenige Tage danach und berichtete über viel Zustimmung, die er erhalten habe: "Ich danke euch allen für die Unterstützung und Liebe. Das war wie Balsam für meine Seele. Es geht mir sehr gut, ich bin ruhig und habe einen starken Geist", wird Ravasi in argentinischen Medien zitiert.
Vertreter der Argentinischen Bischofskonferenz gingen dagegen auf Distanz zum Priester. Dieser sei nicht die Stimme der Kirche in Argentinien, hieß es am Rande eines Treffens der Argentinischen Bischofskonferenz Mitte August. Demonstrativ empfingen der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Bischof Oscar Ojea, und sein Stellvertreter, Erzbischof Marcelo Colombo, Menschenrechtsorganisationen, die sich mit der Aufarbeitung der Diktaturverbrechen beschäftigen. Beide machten damit deutlich, dass sie für das Vorgehen des Priesters und der libertären Abgeordneten kein Verständnis haben.