Eine andere Perspektive zum zehnjährigen Amtsjubiläum von Rainer Maria Kardinal Woelki als Erzbischof von Köln können Sie im Interview mit Ludwig Ring-Eifel von der Katholischen Nachrichten-Agentur hier lesen.
DOMRADIO.DE: In der öffentlichen Wahrnehmung gilt Kardinal Woelki für viele als konservativer Reformgegner. Das sieht man zum Beispiel an seiner Weigerung, mit dem Erzbistum Köln die Finanzierung des Synodalen Ausschusses mitzutragen. Wie konservativ ist Woelki denn theologisch und kirchenpolitisch?
Benjamin Leven (Redaktionsleiter des Magazins communio.de): Ja, es stimmt, dass Woelki als konservativ gilt. Und das hat mit seinem Widerstand beim Synodalen Weg vor allem zu tun. Er ist aber kein "klassischer kirchlicher Konservativer". Ein Beispiel: Vor einiger Zeit hat Woelki zugestimmt, dass sich das Erzbistum Köln am konfessionell kooperativen Religionsunterricht in Nordrhein-Westfalen beteiligt.
"Konfessionell kooperativ" heißt, ein von der evangelischen und katholischen Kirche gemeinsam verantworteter Religionsunterricht. Das ist jetzt nicht das, was man von einem eingefleischten Konservativen erwarten würde. Das gilt auch in anderen Bereichen, nehmen wir sozialpolitische Fragen, da ist Woelki alles andere als konservativ. Wenn wir konservativ zum Beispiel als die derzeitigen Positionen der CDU verstehen, dann vertritt Woelki in der Frage von Flucht und Asyl natürlich ganz andere Überzeugungen als der derzeitige CDU-Vorsitzende Friedrich Merz. Also ist Woelki ein Konservativer? In bestimmten kirchlichen Fragen ja, aber eigentlich ist es eine Schablone, die zu einfach ist.
DOMRADIO.DE: Als Kardinal steht er dem Papst besonders nahe, es liegt ja schon an der Funktion. Deswegen wird von ihm, auch von römischer Seite eine besondere Loyalität erwartet. Wie betrachten Sie das, vertritt und verteidigt Kardinal Woelki die Positionen von Papst Franziskus hinreichend?
Leven: Ich glaube das ist der Grund für diese Zuordnung, er macht einfach das, von dem er glaubt, dass das sein Job ist. Wenn er beim Synodalen Weg, diesem großen Gesprächsformat der Deutschen Bischofskonferenz und vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken, immer wieder Bedenken geäußert hat, Gegenvorschläge gemacht hat, dann hat er das getan, weil er dort die Position des Heiligen Stuhls vertreten wollte, also die Position von Papst Franziskus.
Das hat einerseits sicher damit zu tun, dass er Kardinal ist. Ich glaube aber, wenn man ihn fragen würde, würde er sagen, dass die Bischöfe bei ihrer Weihe einen Treueeid auf den Heiligen Stuhl schwören. Und ich glaube, er interpretiert das für sich so, dass es sein Job ist. Andere Bischöfe interpretieren das für sich anders. Das ist wahrscheinlich seine Motivation und er denkt, dass es seine Aufgabe ist, die Meinung von Papst Franziskus, vom Heiligen Stuhl, vom Vatikan hier in den deutschen Diskussionen zu vertreten.
DOMRADIO.DE: Ein großer Kritikpunkt, den wir ansprechen müssen, ist der Umgang mit Missbrauch und Aufarbeitung. Wir erinnern uns, dass 2020 das bereits fertiggestellte WSW-Gutachten der Münchner Kanzlei zurückgehalten und ein komplett neues beauftragt wurde. Dieses zweite Gutachten der Anwaltskanzlei Gercke hat dann Kardinal Woelki selbst kein Fehlverhalten nachgewiesen. Welche Rolle spielt denn dieses Gutachten im größeren Kontext? Das ist ja einer der ersten Schritte der Aufarbeitung auf Bistumsebene in Deutschland gewesen.
Leven: Diese Geschichte ist meiner Meinung nach die Ursache für das anhaltend große Misstrauen, das Kardinal Woelki in Köln und darüber hinaus entgegenschlägt. Als er das erste Gutachten zurückgehalten hat, stand einfach der Verdacht im Raum, er tut das, weil er möglicherweise auch Anschuldigungen gegen sich selbst vertuschen möchte. Wenn man aber die beiden Gutachten, das Zurückgehaltene und das Veröffentlichte vergleicht, sieht man, dass in beiden Gutachten keine Vorwürfe gegen Woelki selbst drinstehen.
Das zweite Gutachten hat dann dazu geführt, dass ganz klare Beschuldigungen gegen Verantwortliche im Erzbistum benannt worden sind, die sogar im ersten Gutachten weniger deutlich erkennbar waren. Aber seitdem leidet Woelki unter diesem Misstrauen und es ist ihm auch nicht gelungen, das irgendwie auszuräumen.
In gewisser Weise hat er damit auch eine Stellvertreterfunktion erfüllt. Denn im Windschatten der Kölner Skandale sind viele andere katholische Bistümer seitdem gesegelt. Es gibt auch Bistümer, in denen noch überhaupt gar kein Missbrauchsgutachten veröffentlicht wurde.
Ein weiterer Aspekt: Jetzt ist ein Gutachten über die evangelische Kirche Anfang des Jahres veröffentlicht worden. Darin zeigt sich, dass es das Problem auch in der evangelischen Kirche gibt. Damit ist auch in der öffentlichen Debatte die Aufmerksamkeit ein bisschen von der katholischen Kirche abgezogen worden. Davon profitieren jetzt die anderen Bistümer, die sich Zeit gelassen haben mit ihren Gutachten. Und Woelki hat da viel abgefangen.
DOMRADIO.DE: Sie sagen, es ist kein Fehlverhalten belegt, aber trotzdem scheint Papst Franziskus ja zumindest einen Grund gehabt zu haben, ihm eine Auszeit zu verordnen. Wir erinnern uns: Sechs Monate lang sollte er die Amtsgeschäfte ruhen lassen. Seitdem liegt das Rücktrittsgesuch beim Papst, der das nach eigenen Angaben immer noch in der Schublade, aber nicht darüber entschieden hat. Trotzdem ist seit Jahren nichts darin passiert. Steckt hinter dem Verhalten auch ein Signal des Papstes?
Leven: Das ist schwer zu sagen, der Papst hat das offengelassen. Offiziell sind übrigens diese Rücktrittsgesuche nach drei Monaten wieder hinfällig. Also streng kirchenrechtlich gibt es keines. Im Raum steht noch das Rücktrittsangebot, aber das scheint Franziskus selber nicht so genau zu nehmen mit diesen kirchenrechtlichen Vorgaben.
Er könnte natürlich jeder Zeit sagen: Jetzt nehme ich dieses Rücktrittsangebot von damals doch noch an. Im Moment möchte der Papst offenbar nicht, dass Woelki geht, sonst hätte er es ja jederzeit machen können. Warum? Das muss man den Papst fragen.
Ich könnte mir vorstellen, wenn Woelki in seinen gerichtlichen Auseinandersetzungen mit verschiedenen Medien noch größere Schwierigkeiten bekommt oder dem unterliegt, würde in Rom vielleicht doch noch mal über das Rücktrittsgesuch nachgedacht und doch angenommen werden.
DOMRADIO.DE: In der deutschen Öffentlichkeit wird Kardinal Woelki zum Symbolbild einer katholischen Kirche, die nicht mehr in die moderne Gesellschaft passt. Kann er denn in irgendeiner Art noch darauf hoffen, möglichst objektiv behandelt zu werden? Oder ist in der öffentlichen Wahrnehmung tatsächlich jetzt die Erde komplett verbrannt?
Leven: Das ist einfach sehr schwierig, denn er hat es mit einer überregionalen und lokalen Presse in Köln zu tun, in dem einfach sein Image festgelegt ist. Es ist sehr interessant, sich anzuschauen, wie das Image 2015 war, wie Sie das am Anfang gesagt haben, wie Woelkis Bild in der in der Flüchtlingskrise war und wie auch beispielsweise im Kölner Stadt-Anzeiger sehr positiv über ihn geschrieben wurde. Das ist jetzt vorbei. Vermutlich kann er nur darauf hoffen, einfach ein bisschen aus der Wahrnehmung zu kommen. Das belastet natürlich auch seine Möglichkeiten, das Erzbistum zu leiten, weil jede Entscheidung, die er trifft, sofort extrem genau beobachtet und kritisch kommentiert wird. Vermutlich kann man ihm nur wünschen, einfach ein bisschen weniger Aufmerksamkeit zu bekommen.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.