Unter den religiösen Führern im Nahen Osten ist Kardinal Pierbattista Pizzaballa eine herausragende Gestalt. Zwar ist der Norditaliener mit seinen 1,95 Metern erst seit vier Jahren offiziell der ranghöchste Geistliche der Katholiken im Heiligen Land.
Doch spielt er auf dem politisch und religiös verminten Gebiet zwischen dem Libanon und dem Sinai schon seit zwei Jahrzehnten eine wichtige Rolle. In dieser Woche ist er zu Gast auf der Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Fulda.
Von 1990 bis 2004 studierte und lehrte der damalige Franziskanerpater Pizzaballa an kirchlichen Hochschulen in Jerusalem Hebräisch und semitische Sprachen. 2004 wurde er zum Kustos des Heiligen Landes und damit zum obersten Hüter der katholischen heiligen Stätten dortgewählt - eine Rolle, die seit Jahrhunderten die Franziskaner innehaben. 2005 übernahm er zudem im Patriarchat von Jerusalem die Zuständigkeit für die Minderheit der Hebräisch sprechenden Katholiken. Gemeinsam mit der viel größeren Gruppe arabisch sprechender Christen, die sich meist als Palästinenser definieren, bilden sie die katholische Kirche im Heiligen Land.
Wichtige Stimme im Heiligen Land
Diese ist zwar nur eine Minderheit in der zerklüfteten Landschaft der Religionen im Nahen Osten. Aber das "Lateinische Patriarchat von Jerusalem", dem Pizzaballa seit Oktober 2020 vorsteht, hat unter den christlichen Kirchen im Nahen Osten eine besondere Rolle. Wann immer sich die christlichen Kirchen, die allesamt ihren Ursprung in Jerusalem haben, zu politischen oder religiösen Spannungen im Heiligen Land äußern, ist der Lateinische Patriarch von Jerusalem eine der hörbarsten Stimmen.
Das hat auch mit seiner besonderen Verbindung nach Rom zu tun. Pizzaballa spielt die "römische Karte" immer dann aus, wenn es ihm geboten scheint. Die Vatikan-Medien transportieren seine Äußerungen in alle Welt, und wenn der Papst sich zu Nahost äußert, greift er oft auf Einschätzungen von Pizzaballa und seinem Umfeld zurück.
Symbolträchtig sind die täglichen Telefonate, die der Papst mit der katholischen Pfarrei im Gazastreifen führte, die wiederholt von
israelischen Geschützen getroffen wurde. Sie ist Pizzaballas Vorposten mitten im Hamas-Gebiet. Und sie ist ein Symbol dafür, dass
die katholische Kirche eine der wenigen Institutionen ist, die in dem blutigen Konflikt weder ganz auf der einen noch ganz auf der anderen Seite steht.
Warner gegen extreme Rechte in Israel und die Hamas
Schon vor Ausbruch des Krieges gehörte Pizzaballa zu den Kritikern der Regierung Netanjahu. Die rassistische Haltung einiger ihrer Mitglieder gefährde das zerbrechliche Gefüge der multiethnischen und multireligiösen Gesellschaft Israels, mahnte er bereits im Dezember 2022. Die politisch-religiösen Realitäten verschöben sich. Statt dem bewährten Gleichgewicht zwischen den Glaubensgemeinschaften gelte nun das Recht des Stärkeren. Die christliche Minderheit drohe zum Kollateralopfer zu werden.
Klare Position bezog Pizzaballa nach den Massakern der Hamas in Israel am 7. Oktober: «Um es klar zu sagen: Die Hamas hat barbarische Akte in Israel angerichtet.» Zuvor hatte es eine Stellungnahme von Kirchenführern gegeben, in der die Verurteilung der Hamas fehlte. Dies hatte scharfe Kritik von israelischer und jüdischer Seite ausgelöst und auch die Beziehungen zwischen Judentum und Vatikan belastet.
Patriarch fordert nationale Perspektive für Palästinenser
Pizzaballa kritisiert im Krieg immer wieder beide Seiten: Mit "dem gleichen Gewissen" und "der gleichen Klarheit", die er gegen die
Massaker der Hamas in Stellung brachte, prangerte er Tod und Zerstörung in Gaza an. Immer wieder forderte Pizzaballa Dialog und Verhandlungen. Nur wenn die israelische Besatzung ende und das palästinensische Volk eine sichere nationale Perspektive bekomme, könne ein Friedensprozess beginnen.
Die Kirche warnt Pizzaballa vor falsch verstandener Neutralität - aber auch vor politischer Vereinnahmung. Sie dürfe nicht Teil des
politischen oder militärischen Konflikts werden. Die Führer aller Religionen in Nahost erinnerte er an ihre besondere Verantwortung gerade jetzt, wo der interreligiöse Dialog in eine tiefe Krise geraten sei. Gleichzeitig trat er dem zunehmenden Antisemitismus entgegen. Dennoch geriet er wiederholt ins Visier israelischer Kritik, die ihm eine Parteinahme für die Feinde Israels unterstellte.
Der Patriarch ist nicht nur in ständigem Austausch mit seiner Pfarrei in Gaza-Stadt. Gleich zu Kriegsbeginn bot er sich der Hamas als Austausch für israelische Geiseln an. Als einziger Kirchenführer besuchte er das Kriegsgebiet. Was er in Gaza gesehen habe, habe ihn an einen Aleppo 2015 erinnert, sagte er nach seiner Rückkehr über das Ausmaß der Zerstörung. Recht behielt Pizzaballa mit seiner gleich nach Kriegsbeginn geäußerten Befürchtung, dass man sich auf einen langen Krieg einstellen müsse.