DOMRADIO.DE: Es gibt kuriose Parallelen: Dieselbe Dachkonstruktion, derselbe Name der Kirche, dasselbes Problem. Was dachten Sie, als Sie von dieser vorsorglichen Schließung der Ahlener Elisabethkirche hörten?
Marcus Leitschuh (Mitglied des Pfarrgemeinderats der Sankt Elisabeth Gemeinde in Kassel): Ich erinnere mich an den Schock, als wir morgens früh den Anruf bekamen, dass unsere Kirche eingestürzt ist. Wir wären natürlich froh gewesen, wenn uns vorher ein Fachmann hätte warnen können oder man etwas gemerkt hätte. Von daher, Glück im Unglück für die Kolleginnen und Kollegen in der anderen Kirchengemeinde, dass sie diese Warnung kam und es eben nicht das Risiko gibt, dass sie wie bei uns einstürzt.
DOMRADIO.DE: Es gibt noch mehr Kirchen, die diese Art von Dachkonstruktion haben, auch bei Ihnen im Bistum Fulda. Ist man nach dem Einsturz Ihres Daches auf die Suche gegangen, wo das Problem noch vorherrschen könnte?
Leitschuh: Ja, wir haben sehr intensiv mit Fachleuten zusammengearbeitet. Das wäre ebenfalls ein Tipp, Fachleute zu holen. Das Ganze wurde wissenschaftlich begleitet, weil wir erst den Grund herausbekommen mussten. Mittlerweile wurde ein Sammelsurium an Gründen gefunden. Da geht es beispielsweise um Holzleim oder um die Auflage des Daches. Wir reden über eine Kirche, die nach dem Zweiten Weltkrieg gebaut wurde und es gab gewisse Bautechniken, die man heute anders machen würde. Von daher gab es Gründe, allerdings konnte man die nicht von außen sehen.
DOMRADIO.DE: Welche Möglichkeiten hat eine Gemeinde, die von jetzt auf gleich keinen Kirchenraum mehr nutzen kann?
Leitschuh: Der erste und wichtigste Punkt ist, dass weder bei uns noch bei den Kollegen dort jemand zu Schaden gekommen ist. Das wäre die schlimmste Katastrophe. Wir können zum Beispiel seit einem Jahr nicht in das Gebäude. Nur wenn Sie von einer Baufirma sind, dürfen Sie noch dort reingehen.
Das ist ebenfalls in anderen Orten, wo große Kirchen schließen, eine Katastrophe. Aber es gibt eine Chance, damit umzugehen.
DOMRADIO.DE: Sie gedenken am Mittwoch dem Jahrestag des Einsturzes mit einer Andacht zusammen mit Bischof Michael Gerber. Wo machen Sie das?
Leitschuh: Wir machen das gegenüber der Kirche. Dort ist ein großer Platz und zum zweiten Mal machen wir dort einen Open-Air-Gottesdienst. Wir haben in Kassel den Vorteil, dass wir sehr viele katholische Kirchen haben. So konnten wir auf eine weitere Kirche, die zu unserem Verbund gehört, ausweichen. Wir hatten aber ebenfalls Angebote von evangelischen Nachbarkirchen einen regelmäßigen Gottesdienst dort abhalten zu können. Wir konnten in unsere eigene Nachbarkirche gehen. Das war ein Vorteil in Kassel.
DOMRADIO.DE: Was empfehlen Sie den Menschen in Ahlen?
Leitschuh: Erstens, Dankbarkeit, dass nichts passiert ist. Zweitens, dass man wahrnimmt, wie viel Sympathie auf so einen Ort projiziert wird. Wir haben nach dem Einsturz so viele Menschen erlebt, die solidarisch waren, auch Menschen, die nie bei uns in der Kirche waren. Dennoch haben sie gesagt, dass dieser Ort von kirchlicher Präsenz so wichtig für Gebet, Gottesdienst und Kultur ist, sodass wir schauen sollen, dass es dort eine Zukunft gibt.
DOMRADIO.DE: Vielleicht tun sich dadurch ganz ungewöhnliche Orte auf, wo man noch zusammenkommen kann.
Leitschuh: Ja, wenn Gemeindearbeit anders sein muss, dann überlegt man das plötzlich. Wir haben die Nacht der offenen Kirchen dann im Pfarrgarten gemacht, denn den durften wir betreten. Wir haben uns dort versammelt, gebetet und ein Konzert gegeben. Man kann so auf einem Gemeindegelände ganz neue Orte entdecken, die man dann nutzbar machen kann.
DOMRADIO.DE: Sie haben in Kassel die Menschen gefragt, wie Sie sich die Zukunft dieser kulturell bedeutenden Kirche vorstellen könnten. Sind da Ideen dabei, die realisierbar sind oder die sehr außergewöhnlich sind?
Leitschuh: Wir haben eine hohe Transparenz bei unserem Projekt. Wir haben eine eigene Homepage. Dort gab es eine Onlineumfrage, an der 1.500 Menschen teilgenommen haben. Das ist eine wahnsinnig große Zahl. Menschen müssen zum Teil nur ankreuzen, ob sie wollen, dass die Kirche wiederaufgebaut wird oder konnte kreative Ideen einbringen. Wir werten das gerade noch aus, aber die Tendenz ist, dass der Ort erhalten bleiben soll.
Man kann überlegen, wie kirchliche Präsenz im Jahr 2028, bis das gebaut wird, notwendig ist und wie groß eine Kirche sein muss. Möglicherweise kann man auch Teile des Grundstückes verkaufen und mit dem Gewinn die Kirche wieder aufbauen oder man kombiniert es mit Büros, Coworking Spaces, Cafés, Gewerbe oder mit anderen Angeboten.
Eine ganz spannende Frage ist, wie muss und wie kann katholische Kirche in der heutigen Zeit überhaupt Präsenz haben? Das wünsche ich ebenfalls den anderen Gemeinden, die jetzt betroffen sind.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.