DOMRADIO.DE: Haben Sie herausgefunden, wie wir heute noch Menschen für Ehrenämter begeistern können?
Stephan Grünewald (Diplom-Psychologe am Marktforschungsinstituts rheingold): Die größte Begeisterung erwächst, wenn man mit Menschen zusammenkommt, die sich bereits ehrenamtlich betätigen. Das haben wir in den Tiefeninterviews gemerkt. Die Menschen, die im Ehrenamt tätig sind, strahlen eine andere Lebensruhe und Zufriedenheit aus, eine Art Schicksalsgelassenheit.
Wir leben zwar in einer Welt mit vielen Krisen, aber wenn man tätig wird und sich um das Leid und die Sorgen von Menschen bemüht, steigert das auch die persönliche Resilienz.
Wir merken, dass die Leute sehr mit sich selbst beschäftigt sind, dass es eine große Tendenz zum Rückzug ins Private gibt, in die Selbstbezüglichkeit des eigenen Schneckenhauses. Viele wollen sich von den ganzen Krisen da draußen abschirmen. Aber gerade diese Rückzugsbewegung führt zu einer Art gestauter Bewegungsenergie. Wir merken mehr und mehr, dass die Menschen herauswollen und irgendwas machen wollen.
DOMRADIO.DE: Wie bekommt man sie dahin?
Grünewald: Es gibt ein paar große Motive, die zum Ehrenamt führen: Der Wunsch nach einer freien Selbstwirksamkeit ist eins. Wir wollen etwas tun, womit wir merken, dass wir etwas bewirken können, nicht ohnmächtig sind und einen Werkstolz erfahren. Das ist sehr wichtig in einer Zeit, in der die Gesellschaft immer stärker polarisiert, in der soziale Bollwerke entstehen.
Ein weiteres Motiv, ist, dass man ein Gemeinschaftsgefühl erleben möchte. Das war vor allem wichtig für junge Menschen, deren Welt gerade in verschiedene "Bubbles" zerfällt. Sie wollen wieder Gemeinschaft erleben und gleichzeitig einer Sinndimension zu folgen. Sie möchten das Gefühl haben, etwas zu tun, was im höchsten Maße sinnvoll ist.
DOMRADIO.DE: Viele Menschen argumentieren damit, dass sie keine Zeit haben. Warum zählt das aus Ihrer Sicht nicht wirklich?
Grünewald: Das ist ein vorgeschobenes Argument. Freiwillige rennen in Hilfsorganisationen nicht unbedingt die Bude ein, aber wir merken, dass es dieses brachliegende Potenzial gibt, das durch ein Ehrenamt wachgeküsst werden kann. Von daher gibt unsere Studie auch Hinweise darauf, wie man Menschen aus ihrer Reserviertheit locken kann.
Da ist es bedeutsam, nicht gleich ein zweites Hamsterrad zu eröffnen, sondern flexibel und niedrigschwellig in bestimmte Bereiche reinzuschnuppern und gut begleitet zu werden. So hat man dann auch Erfolgserlebnisse.
DOMRADIO.DE: Wo müssen wir ansetzen, um die Menschen da abzuholen, wo sie ihre intrinsische Motivation haben?
Grünewald: Es muss spürbar werden, dass man sich mit dem Engagement im Ehrenamt mehr Lebenszufriedenheit verschafft. So merken die Menschen, dass sie gelassener mit Krisen umgehen und nicht untätig sind. Ein Ehrenamt ist also nicht nur altruistisch, man tut was für sich und das kann ein starker Beweggrund sein.
DOMRADIO.DE: Gibt es eine steigende Tendenz, zum Ehrenamt zurückzukehren?
Grünewald: Es gibt noch keine steigende Tendenz, aber eine gestiegene Sehnsucht, an der Hilfsorganisationen andocken können. Es ist ganz wichtig, nicht nur Gutes zu tun, sondern auch darüber zu reden und Präsenz zu zeigen. So kann man den Menschen diesen Weg eröffnen. Gerade bei den Flutkatastrophen haben sich ungeheuer viele Freiwillige gemeldet, weil sie vor Ort gesehen haben, dass sie da eingreifen und sinnvoll betätigen können. Das muss von den Hilfsorganisationen viel stärker an die breite Masse gesendet werden.
DOMRADIO.DE: Was nehmen die Ehrenamtler persönlich mit?
Grünewald: Sie erleben das Gefühl von Wertschätzung – in mehrfacher Hinsicht. Wertschätzung erfahren sie von den Menschen, denen sie unmittelbar helfen, aber auch von Kollegen und von der eigenen Umgebung.
Das kann auch ein Status-Momentum sein. Ansonsten wird immer wieder erwähnt, dass vor allem Menschen, die irgendwo neu anfangen, sich nach einem Umzug zum Beispiel neu sozial festmachen, wie toll es ist, eine lebendige, vitale und sinnvolle Gemeinschaft vorzufinden, mitunter sogar mit fast familiären Bezügen. Das trägt einen durch manche dunkle Stunde.
Das Interview führte Dagmar Peters.