Das Gemeindezentrum in Düsseldorf wirkt schlicht. Ein roter Klinkerbau mit einem kleinen Turm davor. Es sieht fast aus wie eine Schule oder ein beliebiges Verwaltungsgebäude. Doch wer die Adresse in sein Navi eingibt, liest: "Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage". Oder für viele einfach: Mormonen. Für die meisten ist das eine Gemeinschaft fernab der Gesellschaft, mit eigenen Ritualen und konservativer Lebensweise. Hartnäckig halten sich Vorurteile. Von finanzieller Ausbeutung der Mitglieder bis hin zur Mehrehe. Aber wie denken die Gläubigen selbst darüber?
"Als ich jünger war, wurde ich gefragt, was der Unsinn denn soll. Die Kirche wolle ja nur an mein Geld und die wollen mich kontrollieren", erzählt Stephan Pabst. Er ist der Pfahlpräsident von Düsseldorf. Grob lässt sich das mit einem Bischof in der evangelischen und katholischen Kirche vergleichen. Er verwaltet eine bestimmte Region, einen Pfahl.
Mit Vorurteilen hat man in seiner Religion immer wieder zu tun. Oft geschehe das aus Unwissenheit, so Pabst. Ein Beispiel: Männer seiner Kirche dürften sich mehrere Frauen nehmen. "Es gibt immer noch Splittergruppen, die das praktizieren. Aber die Kirche hält sich da an staatliche Verbote und wer die nicht lebt, der muss mit einem Ausschluss rechnen".
Rassismus und Ausbeutung?
Auch in anderen Punkten unterscheide sich die Wirklichkeit von dem, was in Medien und Gesellschaft oft wiederholt werde, sagt der Pfahlpräsident. Ein Vorwurf laute etwa, die Gemeinschaft sei rassistisch, weil schwarze Glaubensbrüder früher nicht Priester werden konnten. Heute sei das aber selbstverständlich. Auch dem Vorwurf, die Gemeinschaft nutze die Mitglieder finanziell aus, kann er nichts abgewinnen. An Geld zahle er nur einen kleinen Teil seines Gehaltes an die Gemeinschaft - ähnlich der Kirchensteuer - und wer keinen Bezug mehr zur Religion habe, der könne ohne Repressionen austreten.
Pabst sieht sich als Christ. Nicht als Mormone. "Das ist ein Spitzname, den man uns gegeben hat", meint der Pfahlpräsident, der beruflich als Berater tätig ist. In seiner Kirche glaubt man an die Inhalte der Bibel und des Buches Mormon - einer religiösen Schrift, die auf den US-Amerikaner Josef Smith (1805-1844) zurückgeht. Er ist Gründer der Glaubensgemeinschaft und wird als Prophet angesehen. "Aber wir folgen ja nicht dem Buch Mormon oder Smith, sondern Jesus Christus ist der Mittelpunkt."
Pabst ist es wichtig, sich nicht wie eine Sekte abzugrenzen und im Geheimen zu wirken. "Es gibt religiöse Gemeinschaften, die sehen uns skeptisch." Es gebe beispielsweise bei gemeinnützigen Projekten immer wieder Zusammenarbeit mit anderen Gemeinschaften.
Was Experten sagen
Klingt nach einer normalen Religionsgemeinschaft. Aber ist das so? "Die Mormonen bemühen sich tatsächlich um interreligiöse Gespräche und unterstützen auch karitative Zwecke anderer Religionen. Das finde ich bemerkenswert", sagt Christoph Grotepass von der Beratungsstelle Sekten-Info NRW.
In der Kirche Jesu Christi beobachte er mehr Offenheit als etwa bei den Zeugen Jehovas. "Es gibt kein Abkapseln gegenüber der Gesellschaft. Deswegen gibt es für Aussteiger auch weniger Probleme sich außerhalb der Gemeinschaft zurechtzufinden. Weil die Gesellschaft nicht als per se böse angesehen wird", meint Grotepass. Und trotzdem gebe es sie, die Aussteiger. Neben Regeln zur Enthaltsamkeit vor der Ehe oder dem Verbot des Konsums von schwarzem Tee, Kaffee oder Alkohol, liege das oft an der Sexualmoral - etwa beim Punkt Homosexualität. "Das bezieht sich auf eine angebliche Schöpfungsordnung, der man sich zu unterwerfen hat. Mitglieder, die Homosexualität offen leben möchten, werden in der Gemeinschaft nicht glücklich werden", sagt der Theologe.
Traditionelle Werte
Im Gespräch mit den Gläubigen ist tatsächlich oft von traditionellen Familienwerten die Rede, nicht explizit von einer Ablehnung von Homosexualität. Diese an sich ist laut offizieller Maßgabe keine Sünde, wohl aber, sie auszuleben. Familie nimmt neben der Religion einen wichtigen Platz im Leben der Kirchenmitglieder ein.
Etwa bei Jelena Böhm. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren Kindern in der Eifel. Ihr Mann ist Präsident der dortigen Gemeinde. Aber passt auf sie das traditionelle Bild von Hausfrau und Mutter? "Klar pflegen wir ein konservatives Familienbild. Aber es ist nicht so, dass ich als Mama den ganzen Tag zuhause bin. Frauen wie Männer werden angehalten, sich bestmöglich zu bilden. Aber ich kann eben nur als Frau Kinder bekommen", sagt Böhm, die selbst Volkswirtschaft studiert hat und heute als Unternehmensberaterin tätig ist.
Auch den Bezug zu ihren Mitmenschen verliere sie durch ihre Religion nicht. "Ich kann sehr gut mit allen im Dorf, egal ob mit der katholischen Mutter drei Häuser weiter oder einer freichristlichen Familie. Das ist ein ungeheurer Luxus, den wir hier haben. Aber auch das Ergebnis von offenem Aufeinanderzugehen."