Journalist Drobinski sieht Einfluss von Kirche und Glaube auf die Wahl

"Religion bleibt ein Faktor"

Kirche und Religion spielen im Bundestagswahlkampf keine zentrale Rolle. Oder etwa doch? Der Journalist Matthias Drobinski sieht zwar den schwindenden Einfluss der Kirchen, aber dennoch eine Relevanz christlicher Werte für die Politik.

Autor/in:
Moritz Dege
Wahlurne zur Bundestagswahl / © Hauke-Christian Dittrich (dpa)

DOMRADIO.DE: Klassische religionspolitische Themen scheinen im aktuellen Wahlkampf kaum eine Rolle zu spielen. Würden Sie sagen, dass Religion als politischer Faktor zunehmend an Bedeutung verliert?

Matthias Drobinski  (KNA)

Matthias Drobinski (Chefredakteur von Publik-Forum): Klassische religionspolitische Themen spielen eher eine untergeordnete Rolle. Aber wenn wir fragen, was religiöse Themen sind, dann sehen wir, dass viele gesellschaftliche Fragen durchaus eine theologische Dimension haben – etwa die Menschenwürde, soziale Gerechtigkeit oder die ethischen Grundlagen politischer Entscheidungen.

DOMRADIO.DE: Hat sich in den letzten Jahren etwas an der Bedeutung von Kirche in der Politik verändert?

Drobinski: Die Vorstellung, dass ein Bischof oder das Zentralkomitee der deutschen Katholiken eine Erklärung abgibt und die politische Szene sofort in Bewegung gerät, ist überholt. Aber das bedeutet nicht, dass religiöse Argumente in politischen Debatten bedeutungslos wären. Es gibt eine Säkularisierung, die sich nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in der Politik zeigt.

Matthias Drobinski

"Wir sehen einen Rechtsruck in der Gesellschaft, und hier positionieren sich die Kirchen eindeutig."

DOMRADIO.DE: Ein Bereich, in dem sich Kirche und Politik weiterhin berühren, ist die soziale Gerechtigkeit. Sehen Sie hier weiterhin einen Einfluss christlicher Soziallehren?

Drobinski: Ja, absolut. Gerade christliche Soziallehren betonen die "Option für die Schwachen", also die Unterstützung benachteiligter Menschen. Diese Werte prägen politische Debatten weiterhin – insbesondere im Kontrast zum zunehmenden Rechtspopulismus. Wir sehen einen Rechtsruck in der Gesellschaft, und hier positionieren sich die Kirchen eindeutig. Die Deutsche Bischofskonferenz und die Evangelische Kirche haben mehrfach betont, dass christliche Werte mit völkischem Nationalismus unvereinbar sind.

DOMRADIO.DE: Hat Religion überhaupt noch Einfluss auf das Wahlverhalten?

Drobinski: Katholiken wählen häufiger CDU oder CSU, Protestanten neigen etwas mehr zur SPD. Aber die alten parteipolitischen Bindungen durch Religion sind weitgehend aufgelöst. Entscheidend ist heute nicht mehr die Konfession, sondern wie stark sich jemand aktiv im Glauben engagiert.

DOMRADIO.DE: Gerade die deutliche Abgrenzung der Kirchen von rechtspopulistischen Strömungen sorgt für Diskussionen. Kritiker bemängeln, dass dadurch konservative Wählergruppen verloren gehen könnten. Ist diese Strategie der Kirchen richtig?

Drobinski: Wenn die Kirchen sich nicht klar gegen menschenverachtende Ideologien positionieren, verlieren sie ihre Glaubwürdigkeit. Natürlich gibt es Christen in allen politischen Lagern, aber die Werte des Evangeliums sind nicht beliebig auslegbar. Die Union hat hier ein Tabu gebrochen, indem sie bewusst in Kauf genommen hat, mit den Stimmen der AfD eine Mehrheit zu bekommen. Das hat zu Recht heftige Reaktionen aus den Kirchen ausgelöst.

DOMRADIO.DE: Ein weiteres wichtiges Thema ist die Religionsfreiheit. Wie bewerten Sie die Situation in Deutschland?

Drobinski: Wir sind ein Land, in dem religiöse Minderheiten weitgehend ihre Glaubenspraxis ausleben können. Das ist ein hohes Gut, das geschützt werden muss – gerade in Zeiten zunehmender gesellschaftlicher Spannungen.

Matthias Drobinski

"Während sich die Politik von kirchlichen Institutionen emanzipiert hat, verändert sich auch das Selbstverständnis der Kirchen."

DOMRADIO.DE: Gleichzeitig stehen die Kirchen selbst vor großen strukturellen Herausforderungen. Wie sehen Sie diesen Wandel?

Drobinski: Während sich die Politik von kirchlichen Institutionen emanzipiert hat, verändert sich auch das Selbstverständnis der Kirchen. Ein Beispiel ist der Wandel im kirchlichen Arbeitsrecht. Früher bestand die Kirche vehement auf ihrem Sonderarbeitsrecht. Heute sehen wir, dass sich viele kirchliche Einrichtungen – einfach aus Notwendigkeit – anpassen müssen. Gerade in ostdeutschen Regionen kann man nicht mehr erwarten, dass alle Mitarbeitenden katholisch oder evangelisch sind.

DOMRADIO.DE: Trotz eines sinkenden Einflusses – bleibt Kirche weiterhin ein relevanter politischer Akteur?

Drobinski: Auch wenn die Kirche politisch nicht mehr dieselbe Autorität wie früher hat, bleibt sie eine moralische Stimme in der Gesellschaft. Die Frage ist nicht, ob sie Einfluss hat, sondern wie sie diesen verantwortungsvoll nutzt.

Das Interview führte Moritz Dege.

Quelle:
DR

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