Köhler schätzt global anerkannte Autorität des Papstes

"Dass die Welt nicht aus den Fugen gerät"

Bundespräsident Horst Köhler hat die katholische Kirche aufgerufen, entschiedener das intellektuelle Gespräch der Kulturen und Religionen voranzubringen. In einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) würdigte Köhler am Dienstag in Berlin Papst Benedikt XVI. als moralische Instanz weit über die katholische Kirche hinaus.

 (DR)

Bundespräsident Horst Köhler hat die katholische Kirche aufgerufen, entschiedener das intellektuelle Gespräch der Kulturen und Religionen voranzubringen. In einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) würdigte Köhler am Dienstag in Berlin Papst Benedikt XVI. als moralische Instanz weit über die katholische Kirche hinaus. In dem Gespräch äußerte sich der Bundespräsident auch zum anstehenden "Heimatbesuch" des Kirchenoberhaupts und zur Verantwortung der Kirche beim Kampf gegen die Immunschwächekrankheit Aids in Afrika.

Die Welt braucht die moralische Stimme des Papstamtes
An die Katholiken in Deutschland appellierte Köhler, sich offensiver in die gesellschaftliche Debatte einzubringen. "Die Welt braucht moralische Stimmen und Instanzen. In vielen Teilen der Welt sind das eindeutig die katholische Kirche und der Papst", sagte das Staatsoberhaupt in Berlin.

Zugleich rief der Bundespräsident dazu auf, beim anstehenden Besuch von Papst Benedikt XVI. die "sehr menschliche Dimension" dieses Heimatbesuchs nicht zu vergessen. Er hoffe darauf, dass das Kirchenoberhaupt Gelegenheit bekomme, die persönliche und auch private Seite dieser Visite an den Orten seiner früheren Lebensjahre, "dieses 'Heimat-Tanken' zu erleben". Köhler wird den Papst am Samstag auf dem Münchener Flughafen begrüßen und ihn später in der Münchener Residenz zu einer Unterredung treffen.
Mit Blick auf die bisherigen Begegnungen der beiden lobte er, Benedikt XVI. strahle Wärme und Freundlichkeit aus, "aber eben auch eine intellektuelle Schärfe, die wachrüttelt".

Die Kirche sollte sich offensiver dem anspruchsvollen Ringen um Orientierung stellen, sagte Köhler. "Wir müssen uns bemühen, die großen Fragen intellektuell angemessen und aufrichtig zu durchleuchten und öffentlich zu diskutieren." Dabei verwies er auch die wachsende Komplexität des Weltgeschehens und kritisierte den "häufig immer grobschlächtigeren" Stil der politischen Auseinandersetzung und einen Hang mancher Medien zur Skandalisierung. Die Kirchen sollten sich nicht nur seelsorgerlich "in einer Renaissance verstehen". Sie seien auch unverzichtbar bei der Aufgabe, diese wachsende Komplexität globaler Verflechtungen intellektuell aufzunehmen und den interkulturellen und interreligiösen Dialog voranzubringen. Dabei sei die intensivere Begegnung von Religion und Vernunft dringend notwendig. Köhler würdigte die Trennung von Staat und Kirche in Deutschland als bewährte Form. Heute sollte die Kirche das Gespräch und die Zusammenarbeit mit dem Staat von sich aus aktiv betreiben und nicht nur reagieren. Es müsse um ein stärkeres Bewusstsein "für das, was jenseits des Materiellen liegt", gehen.

"Weg beim Thema Aidsbekämpfung finden"
Der Bundespräsident äußerte sich auch zur Rolle der Kirche beim Kampf gegen die Immunschwächekrankheit Aids in Afrika. Die katholische Kirche leiste auf dem Kontinent hervorragende Arbeit.
Aus persönlichen Begegnungen mit Geistlichen wisse er aber auch, wie sehr sie in der Spannung zwischen der kirchlichen Lehre und der tagtäglichen Herausforderung der Aidsbekämpfung stünden. Er hoffe, "dass die katholische Kirche einen Weg findet, die Glaubensstärke und die Prinzipien ihrer Lehre zu vermitteln, aber gleichzeitig in ganz praktischen Fragen der Aidsbekämpfung mitwirken zu können. Man muss sich dieser dramatischen Situation wirklich stellen", mahnte Köhler. Darüber habe er noch vor der Papstwahl auch mit Kardinal Joseph Ratzinger, dem heutigen Benedikt XVI., gesprochen.

Köhler betonte die Bedeutung des Papstes beim Dialog der Religionen. Der Papst mit seiner großen Autorität könne für die zentrale Frage, wie mit einem Wahrheitsanspruch umzugehen sei, wichtige Äußerungen tun und damit Brücken bauen. "Ich hoffe da auch sehr auf seine persönliche Rolle", meinte der Bundespräsident.

"Christlich-jüdische Grundlagen Europas"
Mit Blick auf die Situation des europäischen Verfassungsprozesses sprach Köhler von einer Krise Europas. Diese müsse überwunden werden "auch mit einer Vorstellung dessen, was uns als Grundlage verbindet und was diese vielen Nationen eint". Dabei sollte es auch um die christlich-jüdischen Grundlagen dieser Gemeinschaft gehen, betonte der Bundespräsident.




Das Interview im Wortlaut

Herr Bundespräsident, Sie sind sowohl Kardinal Ratzinger als auch mehrfach Papst Benedikt XVI. begegnet. Wie erinnern Sie das?

Köhler: Ich war natürlich sehr gespannt. Aber schon bei der ersten Begegnung am Rande der Trauerfeier für Papst Johannes Paul II. spürte ich, wie leicht es ist, mit Kardinal Ratzinger ins Gespräch zu kommen. Er begegnet seinem Gegenüber unkompliziert und freundlich, hört zu und antwortet auch auf konkrete Fragen konkret. Da war von Anfang an ein guter Draht. Benedikt XVI.
strahlt Wärme und Freundlichkeit aus, aber eben auch eine intellektuelle Schärfe, die wachrüttelt.

Sie selbst sind protestantischer Christ. Was bedeutet für Sie das Papstamt?

Köhler: Aus meiner Tätigkeit im Ausland lautet eine, wenn nicht die zentrale Schlussfolgerung: Die Welt braucht moralische Stimmen und Instanzen. In vielen Teilen der Welt sind das eindeutig die katholische Kirche und der Papst. Als Persönlichkeit, die dazu beiträgt, dass die Welt nicht aus den Fugen gerät, kann man seine Bedeutung überhaupt nicht überschätzen. Die Autorität des Papstes ist über den Katholizismus hinaus wichtig. Er steht weltweit für Frieden, Gerechtigkeit und Menschlichkeit. Darüber, dass der Papst deutscher Herkunft ist, freue ich mich, und darüber können wir uns alle freuen.

Bei der anstehenden Papstreise ist oft vom Heimatbesuch die Rede. Wie empfinden Sie Heimat?

Köhler: Da spreche ich gerne aus eigener Erfahrung: Gerade wer weltweit tätig war, bekommt ein geschärftes Bewusstsein dafür, dass man einen Ort braucht, an dem man spürt: Hier hast Du Deine Wurzeln, hierher kannst Du zurückkommen, hier bist Du zu Hause.
Das wird noch wichtiger, da uns die Globalisierung Probleme und Herausforderungen ja näher bringt, als sie früher schienen. Wir werden diesen Globus politisch nur zum Guten gestalten können, wenn wir jeweils wissen, wo wir unsere eigenen persönlichen Wurzeln haben. Denn jeder braucht Kraftquellen, um das Viele, was auf ihn einströmt, verarbeiten, einordnen und positiv für sich nutzen zu können. Für mich spielt dabei die Religion eine große Rolle, weil in meinem Elternhaus Christentum - in unserem Fall Protestantismus - da war wie die Luft zum Atmen. Es gehört für mich unlösbar zu meiner Heimat.

...und nun kommt der Papst nach Bayern.

Köhler: Ich kann gut nachempfinden, dass er seine bayerische Heimat sehen, mit den Menschen dort reden und jene Orte aufsuchen will, an denen er aufwuchs, studierte und früher tätig war. Bei aller Freude, die wir in Deutschland und vor allem in Bayern über den Besuch empfinden, dürfen wir diese sehr menschliche Motivation nicht vergessen. Ich hoffe, dass er Gelegenheit haben wird, dieses Persönliche und auch Private, dieses "Heimat-Tanken"
zu erleben.

Sie engagieren sich seit langem für eine stärkere Wahrnehmung des afrikanischen Kontinents. Welche Verantwortung hat die katholische Kirche im globalen Geschehen - zum Beispiel mit Blick auf die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich?

Köhler: Die katholische Kirche verkörpert wie auch die anderen Kirchen zuerst das Spirituelle und seine Vermittlung. Sie muss zuerst im klassischen Sinne der Seelsorge für die Menschen da sein. Das ist das Wichtigste. Schon ein Blick in die Bergpredigt Jesu macht klar, dass die Kirche immer auch der Anwalt der Schwachen ist. So bin ich froh, dass die katholische Kirche in Afrika und Lateinamerika so engagiert präsent ist. Sie leistet hervorragende, wichtige Arbeit. Ich bin in Afrika Ordensleuten begegnet, die Unglaubliches leisten. Und ich glaube, dass sie diese große Leistung nur schaffen, weil sie die innere Kraft des christlichen Glaubens haben.

Aber ganz offen gesagt: Schon einige Male haben mir katholische Geistliche in Afrika geschildert, wie sehr sie in der Spannung stehen, als Seelsorger einerseits die kirchliche Lehre zu vertreten und sich andererseits jeden Tag mit der Frage auseinander setzen zu müssen, wie sie bei der Aidsbekämpfung helfen können. Darüber habe ich schon vor seiner Papstwahl auch mit Kardinal Ratzinger gesprochen. Ich hoffe darauf, dass die katholische Kirche einen Weg findet, die Glaubensstärke und die Prinzipien ihrer Lehre zu vermitteln, aber gleichzeitig in ganz praktischen Fragen der Aidsbekämpfung mitwirken zu können. Man muss sich dieser dramatischen Situation wirklich stellen.

Welche Rolle kann die Kirche beim Dialog mit dem Islam haben?

Köhler: Es wird keinen Frieden auf der Welt geben, wenn es keinen Frieden zwischen den Religionen gibt. Weil der Papst eine solche globale Autorität hat, kann er so viel zu diesem Dialog beitragen. Ich hoffe da auch sehr auf seine persönliche Rolle.
Der Islam ist eine friedliche Religion. Aber wenn bestimmte Kräfte einen absoluten Wahrheitsanspruch weltweit durchsetzen wollen, haben wir ein Problem. Der Papst mit seiner großen Autorität kann für diese zentrale Frage wichtige Äußerungen tun und damit Brücken bauen.

Blicken wir nach Europa: Die katholische Kirche war enttäuscht darüber, dass es nicht gelungen ist, in der EU-Verfassung einen Gottesbezug zu verankern. Teilen Sie diese Kritik.

Köhler: Auch ich habe das bedauert. Mir ist es ein wichtiges Anliegen, dass Europa seine gegenwärtige Krise überwindet - überwindet auch mit einer Vorstellung dessen, was uns als Grundlage verbindet und was diese vielen Nationen eint. Dabei sollte es eben auch um die christlich-jüdischen Grundlagen dieser Gemeinschaft gehen.

Die Besinnung auf die europäische Identität, das Ringen um den Wahrheitsanspruch der Religionen - muss sich die Kirche offensiver dem anspruchsvollen Ringen um Orientierung stellen?

Köhler: Ich wünsche mir das. Schon deshalb, weil das Weltgeschehen zwar immer komplexer wird, die politische Auseinandersetzung aber häufig immer grobschlächtiger. Dazu kommt bei manchen Medien der Hang zur Skandalisierung. Das vergrößert noch die Komplexität und die Risiken. Wir müssen uns bemühen, die großen Fragen intellektuell angemessen und aufrichtig zu durchleuchten und öffentlich zu diskutieren.

In wenigen Wochen jährt sich jene Rede von Jürgen Habermas in der Frankfurter Paulskirche zum fünften Mal, mit der er diesen Dialog angemahnt hat. In Deutschland hat das keinen großen Schub ausgelöst, auch nicht bei den Kirchen.

Köhler: Meines Erachtens sollten sich die Kirchen nicht nur aus geistlichen Gründen in einer Renaissance verstehen. Sie sind auch unverzichtbar bei der Aufgabe, intellektuell die wachsende Komplexität globaler Verflechtungen aufzunehmen und den interkulturellen und interreligiösen Dialog voranzubringen. Denn dass sich Religion und Vernunft noch intensiver begegnen, ist dringend notwendig. Benedikt XVI. selbst hat einmal gesagt, letztlich seien sowohl die Vertreter einer vernunftorientierten säkularen Sichtweise als auch die Sprecher der Kirchen nicht vor Irrtümern gefeit. Religion und Vernunft müssen einander ergänzen und notfalls auch korrigieren. Als Vorsitzender der Glaubenskongregation hat Joseph Kardinal Ratzinger diesen Dialog beispielhaft mit Jürgen Habermas begonnen. Er braucht eine Fortsetzung und neue Intensität.

In Deutschland gibt es ein eigenes, komplexes Staat-Kirche-Verhältnis. Immer wieder gibt es Forderungen nach Änderungen.

Köhler: Die Trennung von Staat und Kirche in Deutschland hat sich bewährt. Ich möchte die Kirche aber ermutigen, das Gespräch und die Zusammenarbeit mit dem Staat von sich aus aktiv zu betreiben und nicht nur zu reagieren. Die Menschen in Deutschland begreifen mehr und mehr, dass das Materielle allein Glück und menschliche Erfüllung nicht garantiert. Es wird im internationalen Wettbewerb und angesichts der weit verbreiteten Armut in der Welt immer schwerer für uns, quantitative Wohlstandszuwächse zu erzielen.
Wir müssen lernen, dass ein erfülltes Leben auch denkbar ist, wenn nicht immer noch mehr Autos herumfahren oder noch mehr konsumiert wird. Wir befassen uns noch nicht genug mit Fragen des qualitativen Wachstums. Dazu brauchen wir ein stärkeres Bewusstsein für das, was jenseits des Materiellen liegt.

Interview: Christoph Strack (KNA)