Koma-Trinken unter Jugendlichen stark angestiegen - Suchtexperten schlagen Alarm

Anderthalb Flaschen Wodka am Abend

Fast täglich werden irgendwo in Deutschland Jugendliche volltrunken aufgegriffen. Das sogenannte Rauschtrinken hat nach Angaben der Bundesdrogenbeauftragten Sabine Bätzing in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Die Folge: Innerhalb von fünf Jahren hat sich die Zahl der 10- bis 19-Jährigen, die mit einer Alkoholvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert wurden, verdoppelt.

Autor/in:
Wolfgang Schönwald
 (DR)

Betrunkene Minderjährige gibt es überall
Waren im Jahr 2000 rund 9500 Fälle zu verzeichnen, so stieg diese Zahl im Jahr 2005 auf 19 400. "Und dieser Trend setzt sich ungebrochen fort", sagte Bätzing. Allein in Berlin sorgten in den vergangenen Monaten Dutzende solcher Fälle für Schlagzeilen. Ein 16-Jähriger war im März nach 52 Tequilas ins Koma gefallen und anschließend gestorben.

"Das Koma-Trinken ist jedoch kein Hauptstadt-Problem, total betrunkene 14- oder 15-Jährige werden überall aufgelesen", schlägt der Geschäftsführer der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS), Rolf Hüllinghorst, Alarm. Vor allem in Jugend-Cliquen spiele heutzutage Hochprozentiges eine immer größere Rolle, sagte er im ddp-Interview. Gegen diesen Gruppenzwang könne der Einzelne oft nicht ankommen. Zudem seien Bier oder Schaps leicht erhältlich und nicht so teuer.

Gegensätzliche Tendenzen
Das Alkohol-Einstiegsalter geht seit 1994 weiter zurück, wie Ulrike Ravens-Sieberer von der Universität Bielefeld nach Auswertung mehrerer Studien erläuterte. Die jungen Trinker, die einmal wöchentlich zu Bier oder härteren Sachen greifen, seien heute im Schnitt "etwas über 13 Jahre alt". Besonders alarmierend sei, dass auch ein Prozent der Elfjährigen bereits regelmäßig Alkohol konsumiere. Dabei haben die Mädchen mit den Jungen gleichgezogen.

Erhebungen zufolge wächst einerseits die Gruppe der Intensivtrinker,
die erstmals mit 14 einen vollen Rausch haben. Andererseits nehme die
Zahl der jugendlichen Abstinenzler zu, erläuterte die Professorin die
gegensätzlichen Tendenzen.

Alkoholkonsum auch schon unter Elfjährigen
Unter jährlich 20 000 stationären Einweisungen wegen
Alkoholvergiftung befinden sich laut den Experten 3500 Jugendliche.
Schon Elfjährige würden in Entwöhnungsstationen behandelt. Manche
Alkoholkarrieren beginnen bereits mit neun Jahren.

"Die Zahl der
Jugendlichen, die in Kliniken wegen Alkoholmissbrauchs behandelt werden, hat sich in den vergangenen zehn Jahren verzehnfacht", sagte Oliver Bilke, Kinder- und Jugendpsychiater am Vivantes Klinikum Berlin-Hellersdorf. Beim intensiven Trinken schlucke ein Jugendlicher an einem Abend schon mal eineinhalb Flaschen Wodka, sagte Bilke aus Erfahrung.

Jugendschutz muss efffektiver sein
Die gute Verfügbarkeit von Alkohol seien genauso Ursache für diese
Entwicklung wie speziell auf Jugendliche ausgerichtete Werbung für
Alkoholika, Probleme im Elternhaus, Gruppenzwang, Perspektivlosigkeit
und Leistungsdruck, betonten Experten auf der Jahrestagung der
Drogenbeauftragten zum Thema "Voll drauf - Neue Formen des
jugendlichen Alkoholkonsums?".

Bätzing forderte, dass der Jugendschutz in Deutschland effektiver
durchgesetzt werden müsse. Es bestehe "dringender Handlungsbedarf".
Bund, Länder und Kommunen müssten ebenso ihre gesellschaftliche
Verantwortung wahrnehmen wie beispielsweise Einzelhandel, Schulen und
selbstverständlich die Eltern.