Deutsche erforschen den US-Katholizismus

Beten sogar vor der Chorprobe

In den USA sind die Katholiken in den vergangenen Jahren zur größten konfessionellen Gruppe angewachsen, jeder vierte US-Amerikaner gehört ihr an. Deutsche Kirchenhistoriker erforschen nun das Gemeindeleben der katholischen Kirche in den USA.

 (DR)

Initiator Karl Albrecht
Teil davon ist ein Austauschprogramm, an dem Geistliche aus den Bistümern Aachen, Münster und Essen teilnehmen. Initiator und Sponsor des Projekts "Crossing Over" ist Karl Albrecht, Sohn des Aldi-Süd-Gründers. Dieser war seinerzeit beim Aufbau von Aldi-Filialen in Chicago derart von der Lebendigkeit katholischer Gemeinden vor Ort begeistert, dass er beschloss, eine Vernetzung mit Deutschland ins Leben zu rufen.

Pfarrer Benedikt Elshoff aus dem niederrheinischen Kalkar ist just zurück von einem Einsatz als "Praktikant" in einer amerikanischen Gemeinde in Chicago.
Sechs Wochen begleitete er dort in der von bürgerlicher Mittelschicht geprägten Vorstadt Winnetca einen Priester bei der täglichen Arbeit.

"Deutlich größere Identifikation"
Erste Auffälligkeit, die der Priester bemerkte: Es gebe eine deutlich größere Identifikation der Gemeindemitglieder mit ihrer Pfarrei als in Deutschland. So liege der Gottesdienstbesuch bei 40 bis 50 Prozent. In Deutschland sind es nur 10 bis 15 Prozent. "Das hat damit zu tun, dass sich die Gemeinden in den USA ausschließlich über Spenden ihrer Mitglieder finanzieren", sagt Elshoff. Als er dort vom deutschen Kirchensteuersystem berichtet habe, hätten die Leute das überhaupt nicht glauben wollen. "Sie haben mich gefragt, ob die Gläubigen dadurch nicht eine gewisse Steuerzahler-Mentalität bekämen und Kirche als Dienstleister sähen." In Teilen musste der deutsche Geistliche das bestätigen.

Projektleiter Damberg erhofft sich von "Crossing Over" (zu deutsch: Grenzen überschreiten) neue Zugänge und Inspirationen für die religiösen Umbruchprozesse in Deutschland. "Das religiöse Leben in den USA hat eine deutlich höhere Prägekraft, sowohl in den Pfarrgemeinden als auch im Bildungsbereich", erläutert der Kirchenhistoriker. Das katholische Bildungssystem der USA sei das größte private weltweit und genieße hohes Ansehen. "Damit eng verknüpft ist eine starke religiöse Sozialisation und Identifikation", so Damberg. Ausdruck dessen sei nicht zuletzt der hohe Anteil Jugendlicher und junger Erwachsener unter den regelmäßigen Gottesdienstbesuchern.

Auch die Amerikaner können von den Deutschen lernen
Was Pfarrer Elshoff sehr beeindruckt hat, war die große Rolle, die das Gebet in Gemeinde und Alltag spielt. Sämtliche Versammlungen, Veranstaltungen und sogar die Kirchenchorproben beginnen stets mit einem gemeinsamen Gebet. Elshoffs Eindruck: "Die Hemmschwelle, miteinander zu beten und auch darüber zu sprechen, ist wesentlich geringer als bei uns, und es ist eine unmittelbarere Form des Betens."

Welche Anregungen Elshoff von seinem USA-Aufenthalt für die eigene Pfarrei mitgebracht hat? "Ich möchte darüber ins Gespräch kommen, wie wir uns als betende Gemeinde verstehen und welche Rolle das Gebet noch für uns spielt", sagt der Geistliche. Zum anderen hofft er, seine Gemeindemitglieder zu einem ähnlich großen ehrenamtlichen Engagement motivieren zu können, wie er es in Chicago erlebt hat. Aber ein lustiges Showprogramm vor den Gottesdiensten, wie es in den USA nicht unüblich ist, das will er seiner Gemeinde dann doch lieber ersparen.

Das deutsch-amerikanische Lernen sei keine Einbahnstraße, betont Elshoff. "Was die Amerikaner von den Deutschen lernen könnten, ist der Umgang mit schrumpfenden Gemeinden und der Auflösung des Glaubens in der Gesellschaft." Diese Probleme gebe es in den USA im Moment noch nicht so sehr, doch auch dort sei die Säkularisierung letztlich nicht völlig unabwendbar.

Karin Wollschläger (KNA)