Deutschlands dienstältester Bischof zieht Bilanz

"Nicht in Ghettos zurückziehen"

Deutschlands dienstältester katholischer Bischof, Reinhard Lettmann aus Münster, geht am 28. März in den Ruhestand. Welche Bilanz er nach 28 Jahren an der Spitze der nach Mitgliederzahlen drittgrößten deutschen Diözese zieht und welche Eigenschaften sein Nachfolger mitbringen sollte, sagte der 74-Jährige im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur. Er sprach auch darüber, vor welchen Herausforderungen er die Kirche sieht und wie er sich seinen Ruhestand vorstellt.

 (DR)

KNA: Herr Bischof, wie sieht Ihre Bilanz nach 28 Jahren aus?

Lettmann: Im Grunde geht es nicht um 28 Jahre, sondern um mehr als 40 Jahre in der Bistumsleitung. Ich wurde ja mit 34 Jahren Generalvikar. In dieser ganzen Zeit hat sich das Bild der Kirche stark gewandelt. Die christlichen Milieus sind vielfach weggebrochen. In den 1960er Jahren kam von den 2,1 Millionen Katholiken im Bistum eine Million in den Gottesdienst. Heute sind es weniger als 300.000. So kommt es mehr auf die Entschiedenheit des Einzelnen zum Glauben an. Gott sei dank ist die Zahl der eingeschriebenen Katholiken gleich geblieben. Mancher kehrt in späteren Jahren wieder zur Kirche zurück.

KNA: Welche Eigenschaften sollte Ihr Nachfolger mitbringen?

Lettmann: Er sollte nicht den Geist der Verzagtheit, sondern den der Kraft, Liebe und Besonnenheit mitbringen. Das heißt, er sollte dynamisch sein, die Menschen lieben und besonnen sein. Besonnenheit ist das Schwierigste im Amt. Man kann leichter zu Extremen neigen und so auch leichter in die Presse gelangen. Aber Besonnenheit ist für einen Bischof wichtiger.

KNA: Haben Sie schon Pläne für den Ruhestand?

Lettmann: Ja, ich habe schon einige Reisen ins Heilige Land geplant. Der Papst hat ja mein Rücktrittsgesuch angenommen. Das wird am Freitag nach Ostern rechtskräftig. Sofort nach Weißen Sonntag werde ich mit einer Pilgergruppe ins Heilige Land reisen, ebenfalls über Pfingsten, im Sommer und im Herbst. Außerdem möchte ich im Ruhestand tun, wozu ich als junger Mann nicht mehr kam, weil ich zum Kirchenrechtsstudium nach Rom geschickt wurde: Ich möchte das Alte Testament studieren. Meine Wohnung in Münster wird künftig auf der anderen Seite der Aa liegen. Durch ein Tor kann ich weiterhin den Bischofsgarten betreten. Sollte ich einen guten Nachfolger bekommen, kann ich dort mit ihm spazieren gehen. (schmunzelt) Wenn nicht, gehe ich ihm nachts die Kartoffeln klauen.

KNA: Was sagen Sie zur Debatte um den Zölibat?

Lettmann: In die Interview-Äußerungen von Erzbischof Zollitsch ist zu viel hineingeheimnist worden. Fest steht, dass es unterschiedliche Traditionen gibt. Die Ostkirche hat das Ehesakrament in das Weihesakrament einbezogen. Priester können dort heiraten. In der westlichen Kirche hingegen besteht die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen. Darin liegt eine große Zeugniskraft. Als junger Priester fragte mich eine sterbende Frau, ob ich wirklich an ein Leben nach dem Tod glaube. Ich sagte, ich glaube so sehr an den Himmel, dass ich als Zeugnis dafür ehelos lebe. Es geht nach dem Tod weiter.

KNA: Wie sehen Sie die Zukunft der Kirche?

Lettmann: Ich sehe in den Kirchen nur noch wenige Leute unter 50 Jahren. Die Zahl der Gottesdienstbesucher wird zurückgehen. Doch Christen sollten nicht den Mut verlieren und sich nicht in Ghettos zurückziehen. Wichtig ist es, junge Menschen für die Kirche zu gewinnen und Familien zu stärken. Wir müssen auch die ökumenischen Beziehungen fördern, die in unserer Region schon hervorragend sind.
Die Gemeinden sollten sich mehr auf das geistliche Leben konzentrieren. Bei deren Fusionen geht es viel zu oft um Äußerlichkeiten wie die Namensgebung. Wichtiger ist ein lebendiges Miteinander. Darum haben wir neue geistliche Gemeinschaften wie Fokolare und Schönstattbewegung im Bistum stark gefördert. Daraus gehen Menschen hervor, die zu einer lebendigen Gemeinde beitragen.

Interview: Viola van Melis (KNA)