Der Journalist Boris Reitschuster im domradio über die Gefahren seiner Arbeit in Russland

Der "Spion", der über den Osten berichtet

Kurz vor der russischen Präsidentenwahl wurden in Moskau am Mittwoch drei regierungskritische Journalisten festgenommen worden. Der zu Beginn der Woche im domradio vorgestellte amnesty-Bericht zur Situation der Meinungs- und Pressefreiheit in Russland hatte genau das kritisiert: Journalisten leben gefährlich im Land des jetzigen Präsidenten und künftigen Premierministers Wladimir Putin. Boris Reitschuster berichtet seit Jahren aus Russland. Im domradio-Interview spricht er über die Gefahren, lebensgefährliche Situationen und die besondere Psychologie der russischen Wähler.

 (DR)


domradio: Ein beliebtes Mittel, das sagte der amnesty-Bericht Anfang der Woche, um Journalisten kalt zu stellen, ist der "Kampf gegen extremistische Aktivitäten". Haben Sie das auch schon erlebt?

Boris Reitschuster: Ja, und zwar am eigenen Leib. Alles, was kritisch ist, ist inzwischen Extremismus. Demonstrationen sind Extremismus. Als ich im vergangenen Frühjahr an einer Demonstration teilnahm, als Bundeskanzlerin Angela Merkel in Russland war, wurde ich festgenommen. Gemeinsam mit dem Organisator der Demonstration. Man hat mich damals einfach so lange festgehalten, wie die Demonstration lief. Wer gegen Putin ist, ist Extremist.

domradio: Wie genau hat man sie damals behandelt?

Boris Reitschuster: Damals bei der Miliz hat man mich wenigstens höflich behandelt. Was mir aber nicht viel brachte, weil ich eben festgenommen war. Und was interessant ist: Ich forderte immer einen Anwalt, und darauf hin hieß es, ich sei nicht festgenommen. Als ich daraufhin gehen wollte, wurde ich darauf verwiesen, festgehalten zu sein. Daraufhin verlangte ich erneut einen Anwalt. Und so wiederholte sich das Spiel. Das ist die lupenreine Demokratie, bzw. der "Rechtsstaat". Wenn sie das am eigenen Leib erleben und im Westen von arglosen Politikern hören, in Russland gehe alles mit rechten Dingen zu, dann ist das sehr bitter.

domradio: Haben Sie auch schon Gewalt erlebt?

Boris Reitschuster: Es gibt immer wieder Probleme für kritische Journalisten. Immer wieder werden Menschen umgebracht. Es gibt natürlich auch weniger dramatische Übergriffe - die nicht angenehmer sind. Ich wurde auch schon mehrfach von der Miliz attackiert. Einmal, als ich Zeuge der Misshandlung eines Oppositionellen wurde. Da stürzte sich sofort ein Polizist auf mich und nahm mir die Kamera ab. Als ich nicht sofort klein bei gab, fuhr man mich absichtlich mit dem Auto an. Ich konnte gerade noch auf die Motorhaube des Fahrzeugs springen und mich abrollen lassen. Als ich eine Anzeige schreiben wollte, weigerte sich die Staatsanwaltschaft, die Anzeige anzunehmen. Ich musste sie daraufhin per Brief an die Staatsanwaltschaft schicken. Passiert ist bis heute nichts. Auf der Botschaft hat man mir daraufhin gesagt, da könne man nichts machen. Kritische Journalisten seien vogelfrei, Polizisten könnten mit ihnen machen, was sie wollen, und würden nicht zur Verantwortung gezogen.

domradio: Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus für ihre Arbeit?

Boris Reitschuster: Leider ist es so, dass man die Sicherheit hier nicht verstärken kann. Da muss man etwas fatalistisch sein. Die Konsequenz ist zum einen, dass man wenigstens darüber nachdenkt. Und zum anderen gibt es natürlich Themen, die man nicht anspricht. Und es gibt Themen, die man nicht ansprechen sollte - und man tut es trotzdem. Zum Beispiel die Vermögensverhältnisse von Wladimir Putin und den Menschen aus seinem Umfeld. Als ich in meinem Buch darüber geschrieben habe, bekam ich Hinweise, das sei lebensgefährlich und ich habe mein Todesurteil unterschrieben. Es hieß, die Politik könne man kritisieren, dass Putin kein Demokrat sei, damit könne man leben. Aber wenn es um das Geld gehe, um die Milliarden, das sei gefährlich.

domradio: Welche Reaktionen gab es auf ihr Buch?

Boris Reitschuster: Ranghohe Beamte drohten mir, meine Arbeit sei  gefährlich und ich müsse mir Gedanken über meine Sicherheit machen. Einer sagte sogar wörtlich, ich gehörte "erschossen". Das ist natürlich nicht angenehm. In Russland hat mich sogar schon in einer der größten Boulevardzeitungen, vergleichbar mit der BILD bei uns, zum Spion erklärt.

domradio: Wie bereiten Sie sich auf die Wahlen am Sonntag vor?

Boris Reitschuster: Man kann sich nicht rüsten. Es ist alles wenig aufregend. Es sind keine Wahlen im westlichen Sinne. Man versucht, mit Wählern zu sprechen, die Psychologie der Menschen zu begreifen - aber die ist schwer zu verstehen für uns Westeuropäer. Denn es ist tatsächlich so, dass Putin sehr stark unterstützt wird von den Menschen. Als ich mit Wählern sprach, konnte ich gar nicht glauben, was sie sagten: Vieles sei schlecht in Russland, vieles gefalle ihnen nicht, aber dennoch würden sie Putins Kandidaten wählen, weil es ja noch schlechter kommen könnte. Das ist eine Psychologie, die wir nicht verstehen, die aber auch stark auf die Einflussnahme der Medien zurückzuführen ist.

Boris Reitschuster ist ein deutscher Journalist und Buchautor. Reitschuster ist bekannt geworden durch seine Bücher über das zeitgenössische Russland. Er ist derzeit Leiter des Moskauer Büros des Nachrichtenmagazins Focus.

Zuletzt ist im Econ-Verlag sein Buch "Putins Demokratur - Wie der Kreml den Westen das Fürchten lehrt" erschienen.

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