Nach Berliner Urteil: Union fordert Nachbesserung der Mindestlohn-Pläne

Zurück auf Null?

Nach dem Berliner Verwaltungsgerichtsurteil zum Post-Mindestlohn fordert die Union von Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) eine Überarbeitung weiterer Mindestlohn-Pläne. Unions-Fraktionsvize Michael Meister und der Arbeitsmarktexperte der Fraktion, Ralf Brauksiepe (beide CDU), verlangten am Mittwoch einen Vorrang tarifvertraglicher vor gesetzlichen Regelungen.

 (DR)

Die Koalition hatte sich im Grundsatz auf die Novellierung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes und des Mindesarbeitsbedingungengesetzes verständigt. Die Entwürfe von Scholz stoßen aber bei der Union auf Widerstand. Brauksiepe sagte, das Berliner Urteil könne dabei nicht ignoriert werden. Es müsse klargestellt werden, dass bestehende Tarifverträge nicht per Verordnung verdrängt werden dürfen. Auch Meister betonte, das Motto "Vorrang für die tariflichen Regelungen" müsse mehr Beachtung finden. Wo Tarifverträge bestünden, sollten diese respektiert und nicht von den beiden Gesetzen überdeckt werden.

Das Berliner Verwaltungsgericht hatte die Ausweitung des zwischen der Gewerkschaft ver.di und der Deutschen Post ausgehandelten Mindestlohn-Tarifvertrages auf die gesamte Branche als rechtswidrig eingestuft. Scholz legte gegen diese Entscheidung Berufung ein und erklärte, dass bis zur endgültigen gerichtlichen Klärung des Falles die Mindestlohn-Verordnung weiter gelte.

Brauksiepe sagte, es sei in Ordnung, dass Scholz in Berufung gegangen sei. Meister hielt Scholz aber vor, bei der Verordnung zum Post-Mindestlohn "nicht ganz ordentlich gearbeitet" zu haben. Der Vorsitzende der CDU/CSU-Arbeitnehmergruppe im Bundestag, Gerald Weiß (CDU), hält es allerdings für "völlig offen", ob das Berliner Urteil Bestand haben wird. Für eine Aussetzung des Post-Mindestlohns wie von einigen Wirtschaftspolitikern der Union gefordert, sieht Weiß "nicht den geringsten Anlass".

SPD-Fraktionschef Peter Struck kritisierte derweil Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU), der das Urteil begrüßt hatte. "Es bleibt dabei, wir machen den Post-Mindestlohn", sagte Struck. Dazu gebe es eine klare Vereinbarung in der Koalition. "Da kann es nicht sein, dass der Wirtschaftsminister dagegen hält", sagte Struck.

Wirtschaft und Wissenschaft geteilter Meinung
Die Wirtschaft forderte die Regierung erneut auf, ihre Mindestlohnpläne vollständig fallen zu lassen. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Martin Wansleben, sagte, die aktuelle Diskussion zeige, "auf welch dünnes Eis sich der Staat begibt, wenn er in die Lohnfindung eingreift". Mindestlöhne verhinderten den Wettbewerb und belasten Unternehmen wie Verbraucher mit höheren Preisen. Die Devise müsse daher lauten: "Finger weg von Mindestlöhnen - und zwar endgültig".

Anders Prof. Dr. Rudolf Hickel, Direktor am Institut für Arbeit und Wirtschaft in Bremen. Er befürwortet den Mindestlohn sowohl aus praktischer als auch aus ethischer Sicht. "Wenn jemand harter Erwerbsarbeit nachgeht, tagtäglich, von dem Einkommen aber nicht leben kann, dann nennen wir das 'nicht existenzsicherndes Einkommen'", so Dr. Rudolf Hickel im domradio. Das erweitere die "Armutsproduktion" und könne von der Gesellschaft nicht zugelassen werden, so Hickel weiter.

Die Fixierung des Mindestlohn werde immer nur "als ein Kostenargument" betrachtet, erklärt Hickel. "Was aber nicht gesehen wird, ist, dass durch Mindestlöhne auch eine höhere Leistungsbereitschaft der Beschäftigten zustande kommt." Dieser Aspekt werde in Studien-Modellen zum Mindestlohn ausgeschlossen.

Caritas-Generalsekretär für Mindestlohn in moderater Höhe
Für einen «gesetzlichen Mindestlohn in moderater Höhe als unterstes Netz» und staatliche Ergänzungszahlungen hat sich der Generalsekretär des Deutschen Caritasverbandes (DCV), Georg Cremer, ausgesprochen. Sinnvoll wäre ein gesetzlicher Mindestlohn von etwa fünf Euro, schreibt Cremer in der in Freiburg erscheinenden Verbandszeitschrift «neue caritas». Zusammen mit staatlichen Transferleistungen ergebe sich ein Stundenlohn von 7,20 Euro. Auch gering Qualifizierte hätten damit die Chance auf Beschäftigung und ein Einkommen oberhalb des soziokulturellen Existenzminimums.

Aus der Sicht Cremers muss das Ziel armutsfester Löhne abgewogen werden gegen das Ziel, auch für Menschen mit geringer Qualifikation Arbeitsplätze anbieten zu können. Ein zu hoher Mindestlohn werde insbesondere in Ostdeutschland zu Arbeitsplatzverlusten führen.

Cremer betonte zudem, dass eine Mindestlohnpolitik nicht geeignet sei, Familien vor Armut zu bewahren. Für eine Familie mit zwei Kindern sei bei Vollzeiterwerbstätigkeit eines Verdieners ein Stundenlohn von 14 Euro notwendig. Viele Geringqualifizierte und auch Menschen mit mittleren Qualifikationen fänden bei einem solchen Mindestlohn keine Stelle. Deshalb seien weiterhin öffentlich finanzierte familienpolitische Leistungen notwendig.

Mehrheit der Deutschen für gesetzlichen Mindestlohn
Die große Mehrheit der Deutschen befürwortet einen gesetzlichen Mindestlohn. In einer Forsa-Umfrage für das Hamburger Magazin "Stern" sprachen sich 71 Prozent der Befragten für die Einführung einer Lohnuntergrenze aus. 25 Prozent waren dagegen. Der Umfrage zufolge sind sogar 59 Prozent der Unions-Wähler für einen Mindestlohn. Während die SPD diesen seit Monaten fordert, lehnt die CDU/CSU einen generellen Mindestlohn ab.

Geteilter Ansicht waren die Mindestlohn-Befürworter bei der Frage, ob es eine generelle Lohnuntergrenze für alle oder branchenbezogene Mindestlöhne geben soll. Rund die Hälfte aller Befürworter sprach sich für einen allgemein gültigen Mindestlohn aus. Die andere Hälfte favorisiert branchenspezifische Lösungen. Für die Umfrage wurden rund 1.000 Bundesbürger vom Forsa-Institut befragt.