Vor 200 Jahren wurde Diakoniegründer Johann Hinrich Wichern geboren

Christentum der Tat

Dass Kirche und Diakonie heute oft in einem Atemzug genannt werden, ist einem Hamburger Theologen zu verdanken: Johann Hinrich Wichern (1808-1881) entdeckte angesichts vielfachen Elends in seiner Heimatstadt das soziale Gewissen der Kirche neu. Der 200. Geburtstag des Diakonievaters und Gründers des "Rauhen Hauses" wurde am Sonntag mit einem Festgottesdienst im Hamburger Michel gefeiert.

Autor/in:
Klaus Merhof
 (DR)

Wichern, am 21. April 1808 in Hamburg geboren, war das älteste von sieben Geschwistern. Als er 15 Jahre alt war, starb sein Vater. Früh musste er der Mutter helfen, die Familie durchs Leben zu bringen. Er gab Privatstunden und wurde Erzieher an einem Internat. Bei Hausbesuchen lernte er die Hamburger Elendsquartiere kennen, nahm Anstoß an sozialer Not und kultureller Verwahrlosung. 60 Prozent der Bevölkerung lebten damals unter dürftigen Bedingungen, weitere 20 Prozent am Rande des Existenzminimums.
Wichern erkannte, dass dies sein Lebenswerk werden müsse: Das Wort des Evangeliums um die konkrete Tat der helfenden Liebe zu ergänzen.
Ausgestattet mit einem Stipendium nahm er 1828 das Studium der evangelischen Theologie in Göttingen und Berlin auf. Dabei faszinierte ihn vor allem die praktische Relevanz des Christentums: "Die Liebe gehört mir wie der Glaube", formulierte er.

Schon ein Jahr nach seinem Examen 1832 in Hamburg ermöglichten einflussreiche Gönner in der Stadt die Erfüllung seines Traums: Der Syndikus Karl Sieveking stellte 1833 eine alte Bauernkate als "Rettungshaus" für Kinder und Jugendliche zur Verfügung. Es war die Geburtsstätte der Evangelischen Stiftung "Das Rauhe Haus" für heute mehr als 1.300 Kinder und Jugendliche sowie über 2.000 Schüler und Studenten mit mehr als tausend Mitarbeitern.

Die Kinder im "Rauhen Haus" lebten in familienähnlichen Strukturen, betreut von "Brüdern", für deren Ausbildung Wichern sorgte. Künftig sollten sie "Diakone" und Sozialarbeiter genannt werden. Auf dem ersten evangelischen Kirchentag 1848 in Wittenberg hielt Wichern eine seiner flammenden Reden zur "Gründung des Centralausschusses für die Innere Mission der evangelischen Kirche", aus dem sich das heutige Diakonische Werk entwickelte.

Sozialpolitiker, Visionär und Pragmatiker
Ab 1851 engagierte sich der Theologe als Beauftragter des Königs Friedrich Wilhelm IV. in Berlin für die preußische Gefängnisreform und wechselte sogar 1857 ganz in den Staatsdienst. 1858 gründete er das evangelische "Brüderhaus Johannesstift" in Spandau. Bis 1872 war er Direktor des Mustergefängnisses Moabit - ohne allerdings seine Tätigkeit als "Vorsteher" des "Rauhen Hauses" in Hamburg aufzugeben.
Im Mai 1872 kehrte Wichern nach Hamburg zurück, ein Jahr später übernahm sein Sohn Johannes die Vorsteher-Tätigkeit im "Rauhen Haus".
Im selben Jahr wurde im Hamburger Hafen die Schiffermission gegründet.
Noch heute heißen alle Barkassen der Schiffer-Seelsorge "Johann Hinrich Wichern". Nach mehreren schweren Schlaganfällen starb der Gründervater der Diakonie am 7. April 1881.

"Wichern war einer der originellsten und praktisch begabtesten Theologen des 19. Jahrhunderts", sagt der heutige Chef des "Rauhen Hauses", Dietrich Sattler. Er sei Sozialpolitiker, Visionär, Pragmatiker und ein kluger Erzieher gewesen, dabei konservativ und aufgeschlossen zugleich. Bundespräsident Theodor Heuss sagte es 1951 so: "Wichern hatte keine Zeit, ein großer Theologe zu werden, weil es ihn eilte, ein guter Christ zu sein."