Migranten ohne Papiere scheuen den Arzbesuch - in vielen Städten bieten Initiativen Hilfe

Zum Arzt ohne Angst

Theoretisch haben auch "illegale" Migranten Anspruch auf ärztliche Behandlung. Sie müssten sich dafür einen Krankenschein vom Sozialamt ausstellen lassen. Das Problem: Das Amt muss den fehlenden Aufenthaltsstatus melden. Aus Angst vor der Abschiebung meiden die Kranken den Arzt.

Autor/in:
Marcus Kirzynowski
 (DR)

Die Lage von Anwar Khaled (Name geändert) war verzweifelt: Die ledige Frau war schwanger in ihrem arabischen Heimatland, ihr Freund war schon längst nach Deutschland zurückgekehrt. Eine alleinstehende Tochter mit Kind wollte ihre Familie nicht akzeptieren. Anwar Khaled sah nur  noch einen Ausweg: Versteckt in einem Lkw reiste sie ihrem Freund nach. Seitdem gehört die junge Frau zu den sogenannten "Illegalen", Migranten, die ohne rechtlichen Aufenthaltsstatus in Deutschland leben - und ohne Krankenversicherung.

In Mainz stieß Anwar Khaled auf den Verein Medinetz. Die Medizinstudenten von Medinetz vermittelten ihr einen Gynäkologen und setzen sich auch dafür ein, dass Mutter und Kind nach der Geburt legal in Deutschland bleiben können. Das ging, weil der Vater des Kindes einen deutschen Pass hat.

Theoretisch haben auch "illegale" Migranten Anspruch auf ärztliche Behandlung. Sie müssten sich dafür einen Krankenschein vom Sozialamt ausstellen lassen. Das Problem: Das Amt ist gesetzlich verpflichtet, ihren fehlenden Aufenthaltsstatus der Ausländerbehörde zu melden. Aus Angst vor der Abschiebung bleiben die Kranken dem Arzt deshalb lieber fern - bis sich die Erkrankung so verschlimmert, dass sie als Notfall ins Krankenhaus
eingeliefert werden müssen.

Private und kirchliche Initiativen helfen
In vielen deutschen Großstädten versuchen private und kirchliche Initiativen seit einigen Jahren, den Illegalen zu helfen. So bietet Medinetz Mainz seit etwa zwei Jahren wöchentlich eine Sprechstunde für Patienten "ohne Papiere" an. Acht bis zehn Migranten kommen jeden Monat, vor allem aus Nordafrika und dem Nahen Osten.

Medinetz war die erste derartige Initiative, die von Medizinstudenten gegründet wurde. "Die Idee entstand in der Studentengruppe der 'Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges', zu der die meisten von uns gehören", erzählt Gründungsmitglied Jörg Reuter, 27. Ein Domizil fanden die Studenten in den Räumen der Caritas am Mainzer Hauptbahnhof.

Untersuchungsinstrumente finden sich hier nicht. Denn die Studenten dürfen Patienten nicht selbst behandeln, nur an Ärzte weiter vermitteln. 35 Ärzte haben sich inzwischen bereit erklärt, Patienten kostenlos zu behandeln. Auch viele schwangere Frauen kommen in die Sprechstunde, manche erst im achten Schwangerschaftsmonat. Eine Entbindung gehört zu den teuersten medizinischen Leistungen, die der Verein finanzieren muss. Er arbeitet ausschließlich mit Spendengeldern.

Tausende Patienten - Tendenz steigend
Auch die Malteser Migranten Medizin (MMM), die in Städten wie Berlin, München, Hamburg, Frankfurt und Köln die medizinische Hilfe für Nichtversicherte organisiert, finanziert sich aus Spenden. In Köln haben der Arzt Herbert Breker und sein Team dieses Jahr bereits etwa 200 Patienten behandelt. 4.300 waren es im vergangenen Jahr bundesweit - Tendenz steigend. Und das, obwohl mit der Gesundheitsreform auch eine allgemeine Versicherungspflicht eingeführt wurde.

"Unregistrierte Migranten fallen aber wieder durch das Netz", sagt Breker. Beim MMM werden die Patienten von ausgebildeten Ärzten behandelt. Dazu stehen dem pensionierten Internisten und seinen Kollegen Untersuchungsräume im Hildegardis-Krankenhaus zur Verfügung. Ist eine weitere Behandlung nötig, werden die Patienten an einen von 50 niedergelassenen Ärzten überwiesen. Bei schweren Erkrankungen müssen sie ins Krankenhaus - oft ist die Krankheit dann schon sehr schlimm geworden.

Hinzu kommt: Wenn Infektionskrankheiten zu lange unbehandelt bleiben, steigt die Ansteckungsgefahr. "Wir wollen, dass die ärztliche Behandlung von der Meldepflicht abgekoppelt wird", sagt darum die 24-jährige Jordis Trischler von Medinetz Mainz. In anderen Ländern wie Großbritannien gibt es eine solche Meldepflicht an die Ausländerbehörde bei der Gesundheitsversorgung nicht.

Zwischen einer halben und einer Million Menschen ohne Papiere leben nach Schätzungen in der Bundesrepublik. Auch die Eltern eines frühgeborenen Kleinkindes aus Osteuropa zögerten lange, bis sie mit ihm in die Medinetz Sprechstunde gingen. Da war der Junge mit der angeborenen Augenkrankheit schon fast blind. Auch eine Operation kam zu spät, die Sehkraft ging ganz verloren. Hätten die Eltern den Arztbesuch nicht aus
Angst so lange gescheut, wäre die Krankheit noch zu behandeln gewesen.