Evangelische Pfarrer lernen von Schauspieler "Liturgische Präsenz"

In unverkrampfter Haltung auf der Kanzel

Die frohe Botschaft verkünden, das ist die Aufgabe der Geistlichen, wenn Sie zur Predigt vor die Gemeinde treten. Doch nicht nur auf den Inhalt kommt es an, auch die richtige Verpackung ist wichtig, wenn man gehört werden möchte. Und nicht jeder Priester, Pfarrer oder Diakon ist der geborene Rhetoriker. Daher bietet die Evangelische Kirche von Westfalen in dieser Woche wieder die Fortbildung "Liturgische Präsenz" an. Mit großem Erfolg.

Autor/in:
Michael Bosse
 (DR)

Wenn Thomas Kabel die Pfarrer «ins Gebet» nimmt, kommt so mancher Kirchenmann mächtig ins Nachdenken und Schwitzen. «Wenn du dich an der Kanzel festhältst, blockierst du deinen Körper. Du bist zwar gut zu verstehen, aber es geht etwas Natürlichkeit verloren», sagt der 50-Jährige zu Pfarrer Christian Bald, der gerade eine «Probepredigt» in einer Kirche in Iserlohn-Hennen gehalten hat. Der Theologe aus Opherdecke (Kreis Unna) hört die Botschaft - und gelobt Besserung, schließlich will der 43-jährige an seiner «Liturgischen Präsenz» arbeiten und auch seine Predigten besser an die Kirchenbesucher bringen.

Bald ist einer von 19 Teilnehmern der Fortbildung «Liturgische Präsenz», die die Evangelische Kirche von Westfalen in dieser Woche wieder ihren Pfarrerinnen und Pfarrern anbietet. Schauspieler und Regisseur Kabel zeigt den in Ornaten gekleideten Theologen, wie sie ihre darstellerischen und rhetorischen Fähigkeiten im Gottesdienst verbessern und einen nachhaltigeren Eindruck bei ihren Gemeindemitgliedern hinterlassen. «Das Amt eines Pfarrers ist ein Sprachberuf - dennoch wird keiner darin richtig ausgebildet», erklärt Kabel, der als freier Dokumentarfilmer in München lebt und arbeitet.

Der erste Kandidat an diesem Tag ist Pfarrer Bald. In seiner Predigt widmet sich der Theologe dem Brief des Paulus an die Thessaloniker. Für das ungeübte Auge und Ohr wirkt die Predigt durchaus ansprechend und auch nicht langweilig - dennoch gibt es offenbar viel Nachholbedarf, wie die Reaktionen der übrigen Pfarrer und die ungeschönte Analyse Kabels ans Licht bringen. Profi Kabel nimmt die Haltung des Pfarrers in den Blick, kritisiert das Abrutschen in den «pastoralen Singsang» oder fordert einen längeren Blickkontakt zwischen Pfarrer und Gottesdienstbesuchern.

Intensiv setzt sich der gelernte Schauspieler auch mit den Bibeltexten auseinander, die die Pfarrer vortragen. «Warum schreibt Paulus diesen Brief an die Thessaloniker?», fragt er Bald. Um sich in die in der Predigt vorgestellten Personen zu versetzen und die dramaturgische Darstellung zu verbessern, inszeniert er Rollenspiele. «Du bist jetzt Paulus und ich einer von der Gemeinde», gibt Kabel vor - und mault Bald (alias Paulus) an, warum er «diesen Brief» an die Gemeinde geschrieben habe. Der sei «so kompliziert» gewesen. Dann lässt Kabel die Position wechseln, gibt spontan den Paulus und setzt mit seinen direkten Fragen dem Gemeindemitglied zu. Das spontane Rollenspiel soll den Theologen ihre eigene Stellung zum Text so noch deutlicher machen - damit sie es in der Predigt noch besser präsentieren können.

Bald, der seit rund elf Jahren predigt, kann aus dem Unterricht viel ziehen. «Ich kann immer noch ein Stück lebendiger und authentischer werden», gesteht er. Immerhin hält der 43-Jährige zwei bis drei Predigten im Monat.

Dabei geht es in dem Unterricht allerdings nicht um Schauspielerei, sondern darum, mit den Mitteln der Schauspielkunst authentischer zu werden. «Liturgische Präsenz will gerade die Rolle nicht gegen, sondern mit den Gaben der handelnden Person entwickeln», sagt der Leiter des Instituts für Aus-, Fort- und Weiterbildung der westfälischen Landeskirche, Gerd Kerl.

Dass die Teilnehmer der Fortbildung dabei auch eigene Ängste überwinden müssen, zeigt die Übung mit Anja Martin. Die Pfarrerin aus Ennepetal-Voerde hat ihre Predigt zwar recht locker und anschaulich präsentiert, allerdings ist ihre Stimme dabei etwas eintönig geblieben. Um die Stimme zu stärken, erklärt Kabel: «Ich will mit dir singen!» Da schaut die 45-Jährige ziemlich verschreckt und erklärt, dass sie nicht singen könne.

Kabel lässt sich nicht abschrecken, dreht die Pfarrerin mit dem Rücken zu den übrigen Teilnehmern und lässt sie den Blick in die Kuppel der Kirche nach oben werfen. Dann singt er mit ihr wechselseitig «Amen» und improvisiert eine Art Liturgiegesang. Die Pfarrerin muss immer wieder nachsingen, die richtige Intonation finden und den Ton halten. Der Zuhörer merkt, dass es der Pfarrerin nicht leicht fällt, sie sich aber in jedem Durchgang verbessert. Zwar bleibt ihre Stimme von der Präsenz noch immer deutlich unter der des Schauspielers, doch zum Schluss hat sie einen ordentlichen Standard erreicht. Da kann Kabel die Theologin auch wieder zu den Kirchenbänken drehen. Mit Applaus wird die Pfarrerin aus ihrem Training entlassen.