Urknall-Experiment in Genf gestartet - Teilchenbeschleuniger nimmt Fahrt auf

Folgen für die Schöpfungslehre?

Die größte je von Menschen gebaute Maschine ist am Dienstag in Genf in Betrieb gegangen. Die Wissenschaftler am Europäischen Zentrum für Teilchenphysik schickten erfolgreich den ersten Strahl aus Atomkernen durch den fast 27 Kilometer langen Teilchenbeschleuniger LHC. In der Supermaschine sollen künftig fast lichtschnelle Atomkerne kontrolliert zusammenstoßen, um fundamentale Fragen der Physik zu beantworten - etwa, was beim Urknall geschah oder woraus das Universum besteht. Der Theologe, Mathematiker und Physiker Prof. Dieter Hattrup erläutert im domradio-Interview mögliche Folgen für die Schöpfungslehre.

 (DR)

domradio:  Was kann entstehen, wenn zwei Teilchen in Höchstgeschwindigkeit aufeinander prallen?
Hattrup: Dahinter steckt die Sache mit der Formel e=m*c² von Einstein. Strahlung verwandelt sich in Masse und Masse in Strahlung. Strahlung geht mit Lichtgeschwindigkeit einher und Masse ist im Normalfall ruhig. Und wie kann man den Prozess verstehen? Das hat man bisher nicht verstanden.

domradio: Das heißt, wenn jetzt heute Elementarteilchen mit Lichtgeschwindigkeit aufeinander schießen: Womit müssen wir rechnen?
Hattrup: Fast Lichtgeschwindigkeit. Lichtgeschwindigkeit geht nicht, denn dann müsste man unendliche Energie haben, mehr als im Universum vorhanden ist. Aber fast Lichtgeschwindigkeit. Womit man rechnen muss, oder sollte, dass ein gewisses Teilchen herauskommt, das vor 40 Jahren theoretisch postuliert wurde und den Übergang von Masse zu Strahlung und umgekehrt regeln soll.

domradio: Eine private Initiative hat beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg Beschwerde gegen das Forschungsprojekt eingelegt. Sie fürchtet, die Anlage könnte Schwarze Löcher erzeugen, die einmal die Erde verschlucken. Wie gefährlich ist das Experiment in Genf?
Hattrup: Überhaupt nicht. Tausende sind da anderer Meinung. Das ist eher eine verrückte Theorie. Es werden wahrscheinlich kleine schwarze Löcher entstehen, aber mit so geringer Energie, dass wir da nicht drin verschlungen werden.

domradio: Angenommen, das Experiment gelingt. Dann ist die Theorie des Urknalls möglicherweise bewiesen. Verliert die katholische Schöpfungslehre damit an Bedeutung?
Hattrup: Umgekehrt. Früher hat man doch gedacht, die Schöpfungslehre verliere an Bedeutung, wenn das Weltall ewig ist. Das ist aber, seit 1929 und seit 1965, ganz gewiss nicht der Fall. Man weiß, dass vor 13,7 Milliarden Jahren das ganze Weltall eng komprimiert war und das ergibt ganz neue Möglichkeiten für die Theologie.

domradio: Das Tohuwabohu, das Chaos, herrschte vor der Schöpfung. So steht es im Buch Genesis der Bibel gleich im ersten Satz. Was heißt das naturwissenschaftlich und theologisch?
Hattrup: Das war zuerst einmal ein heißes Gemisch, wo man Strahlung und Materie gar nicht unterscheiden konnte, weil das Eine sofort in das Andere überging. Aber nach dreihunderttausend Jahren war das dann so abgekühlt, dass sich plötzlich Strahlung und Materie entmischten und die ersten Gestalten auftraten. Das passt sogar direkt zu der Gestaltenschöpfung im ersten Buch der Bibel.

domradio: Wie passt das zusammen?
Hattrup: Das ist eine komplizierte Theorie. Man muss die richtige Mischung finden, nicht nur zwischen Strahlung und Materie, sondern zwischen zufälligen Ereignissen und notwendigen Ereignissen, die diese zufälligen Ereignisse weiter tragen. Dadurch wird eine Gestaltenfülle erzeugt, die am Anfang nicht da war, so dass tatsächlich etwas echt Neues in der Welt geschieht, wie auch der menschliche Geist ganz viel später etwas echt Neues ist.

domradio: Aber theologisch hat doch Gott die Welt erschaffen. Mit der Schöpfung Gottes beginnen Welt und Leben sich zu ordnen. Welche Aussage steckt denn theologisch hinter der Erschaffung der Welt?
Hattrup: Theologisch bedeutet das meiner Ansicht nach, dass die Naturwissenschaft auf die letzten Bausteine der Natur ganz allgemein zurückkommt. Und die heißen sowohl in der Physik, als auch in der Biologie und auch Kosmologie "Zufall und Notwendigkeit". Nicht Notwendigkeit alleine, so wie man es früher gemacht hat. Und das ist sozusagen die eine Seite, die uns zugewandte Seite des Handeln Gottes oder sogar die zugewandte Seite des Handeln eines freien Menschens. Freiheit Gottes und Freiheit des Schöpfers sind eng ineinander verknüpft.

domradio: Was heißt das nun für den Beginn der Welt, für die Schöpfung?
Hattrup: Ein Freund von mir sagt: "Gott benutzt die Evolution und den Kosmos um in uns, den Menschen, Freiheit zu schaffen".

Zur Person:
Dieter Hattrup studierte Mathematik, Physik, Philosophie und Theologie in Münster, Regensburg und Bonn. Im Jahre 1978 promovierte er in Bonn zum Doktor der Mathematik. 1980, wurde er in Münster zum Priester geweiht. 1986 promovierte er in Tübingen zum Doktor der Theologie und 1990 habilitierte er in Tübingen. 1991 rief ihn der Paderborner Erzbischof Johannes Joachim Degenhardt als Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte ad personam an die Theologische Fakultät Paderborn.