Seit 10 Jahren gestalten Behinderte ein Magazin

Ein Kuss auf die Ohren

Eine Hochglanzzeitschrift mit Geschichten zu den Themen Essen, Sport, Reisen oder Liebe. Geschrieben von Menschen mit Down-Syndrom. Was sich für Außenstehende zunächst unglaublich anhören mag, ist ein erfolgreiches Projekt - und das seit mittlerweile 10 Jahren.

Autor/in:
Christoph Ersfeld
 (DR)

1998 erschien die erste Ausgabe von "Ohrenkuss... da rein, da raus". Ob Baby, Luxus oder Mongolei: Im Halbjahresrhythmus greift das in Bonn erscheinende etwas andere Magazin Themen auf, die Behinderte und Nicht-Behinderte gleichermaßen bewegen. Ende des Monats soll ein Buch die besten Beiträge zusammenfassen.

Die Idee zu "Ohrenkuss" kam Gründerin Katja de Braganca während eines "langweiligen Forschungsvortrages", wie sie erzählt. Ein Referent präsentierte dort die Geschichte von Robin Hood, nacherzählt von einem Jungen mit Down-Syndrom. Der Wissenschaftler wollte damit beweisen, dass die Betroffenen durchaus lesen und schreiben können. Von diesem Gedanken war de Braganca so ergriffen, dass sie beschloss, eine eigene Zeitschrift zu gründen. Mit Hilfe der Volkswagen-Stiftung und der Universität Bonn wurde die Idee schließlich Wirklichkeit.

Auf natürliche, manchmal nachdenkliche, oft aber auch humorvolle Weise stellen die Redakteure und freien Schreiber weniger die Nachteile ihrer Behinderung in den Mittelpunkt. Stattdessen zeigen die "Ohrenkuss"-Beiträge, "dass Menschen mit Down-Syndrom ganz normale Menschen sind", wie Projektleiterin de Braganca betont. Die Texte werden so veröffentlicht, wie sie geschrieben sind - ohne Korrekturen oder Verbesserungen. Das gehört mit zum Konzept, auch wenn dann manchmal "krumme" Sätze oder ungewöhnliche Wortschöpfungen vorkommen.

"Sehr, sehr groß sein und cool sein"
Bisweilen bringen die Autoren Dinge auf den Punkt, wie sie so wohl sonst niemand schreiben würde. Etwa über das Machogehabe von manchen
US-Popstars: "Sehr, sehr groß sein und cool sein, heißer Mann mit viele Ketten. Und ist Rapper. Mann sagt yo-yo, ich liebe Frauen." Zu dem unkonventionellen Stil passt auch der Name des Magazins. Während einer der ersten Redaktionssitzungen küsste einer der Teilnehmer Katja de Braganca unvermittelt aufs Ohr. "Und von da an stand der Titel eigentlich fest", erinnert sich die Humangenetikerin.

Einmal pro Woche treffen sich die zwölf Redakteure, um die wichtigen Dinge der vergangenen Tage zu besprechen und neue Themen auszudenken. Sie suchen nach Interviewpartnern und Illustrationen und halten Kontakt zu den sogenannten Außenkorrespondenten. Davon gibt es inzwischen vierzig, die in ganz Deutschland, aber auch der Schweiz und sogar in den USA aktiv sind. Sie schicken ihre Texte entweder per Mail und Brief oder nehmen sie mit einem Tonband auf.

Ursprünglich ein Universitäts-Projekt, finanziert sich die Zeitschrift heute dank eigener Abonnenten selber. Davon gibt es mittlerweile 3.000. Die nächsten Schwerpunkte stehen bereits fest. Ausgabe 21 widmet sich dem Thema "Traum", in Ausgabe 22 geht es um den "Ohrwurm". Und vielleicht taucht ja bei der Gelegenheit auch noch einmal der Rapper "mit den vielen Ketten" auf. Getreu dem Motto der Redaktion: "Man hört und sieht ganz vieles - das meiste davon geht zum einen Ohr hinein und sofort zum anderen Ohr wieder hinaus. Aber manches ist auch wichtig und bleibt im Kopf - das ist dann ein Ohrenkuss."