Schulbischof Becker über die Förderung benachteiligter Kinder

"Pisa kann uns nicht zufrieden stellen"

Die rund 1.100 katholischen Schulen in Deutschland haben sich die Unterstützung benachteiligter Kinder auf die Fahnen geschrieben.
Damit befasst sich am Freitag der 5. Bundeskongress Katholische Schulen in Essen. Der Vorsitzende der Schulkommission der Deutschen Bischofskonferenz, der Paderborner Erzbischof Hans-Josef Becker, zu den jüngsten Pisa-Ergebnissen und dem anstehenden Kongress.

Autor/in:
Viola van Melis
 (DR)

Katholische Nachrichtenagentur (KNA): Herr Erzbischof, der Bundeskongress befasst sich mit Hilfen für benachteiligte Schüler. Um wen geht es?
Erzbischof Becker: Wir wollen beim Bundeskongress den Auftrag katholischer Schulen in den Blick nehmen, gerade auch für diejenigen Kinder und Jugendlichen da zu sein, die in irgendeiner Weise benachteiligt sind. Benachteiligungen haben unterschiedliche Ursachen und Formen.

Das sieht bei behinderten oder kranken Schülerinnen und Schülern anders aus als bei jungen Menschen mit Migrationshintergrund und noch einmal anders bei Kindern oder Jugendlichen, die beispielsweise einen Trauerfall oder eine familiäre Krisensituation zu verarbeiten haben. Als zunehmende Beeinträchtigung für Kinder und Jugendliche erweist sich in den letzten Jahren die Einkommensarmut.

KNA: Warum sehen katholische Schulen es als ihren besonderen Auftrag an, Benachteiligte zu unterstützen?
Becker: Zum einen gründet unser Auftrag, benachteiligte Kinder besonders zu unterstützen, im allgemeinen Menschenrecht auf Erziehung und Bildung. Daraus folgt unsere Sorge, dass alle Menschen Zugang zu einer adäquaten Bildung erhalten. Und wenn es da Barrieren und Benachteiligungen gibt, müssen wir uns bemühen, sie auszuräumen.
Eine zweite Begründung kommt von der diakonischen Grundfunktion der Kirche. Der Dienst an den Menschen und darin noch einmal die Option für die Armen, Schwachen und Benachteiligten gehört zum grundlegenden Selbstverständnis der Kirche.

KNA: Welches Bildungsverständnis liegt der Arbeit katholischer Schulen zugrunde?
Becker: Unser Bildungsverständnis ist grundgelegt im christlichen Bild vom Menschen als Geschöpf und Ebenbild Gottes. Ziel der Bildung ist dementsprechend die Entwicklung der je individuellen Persönlichkeit, und zwar in kognitiver, emotionaler, sozialer und motorischer Hinsicht ebenso wie in der religiösen Dimension. Wir wollen, dass junge Menschen ihrer Berufung nachkommen können, ein selbstständiges und eigenverantwortliches Leben zu führen und in ihrem Leben auf den Anruf Gottes zu antworten.

KNA: Was sagen Sie zu den neuesten Pisa-Ergebnissen?
Becker: Zunächst einmal freue ich mich darüber, dass die neuesten Pisa-Ergebnisse, die sich auf Daten aus dem Jahr 2006 beziehen, kontinuierliche Verbesserungen in den drei erhobenen Kompetenzbereichen Naturwissenschaften, Mathematik und Lesekompetenz seit dem Jahr 2000 erkennen lassen. Gleichzeitig können uns die immer noch erheblichen Auswirkungen von sozialer Herkunft und Migrationshintergrund auf Bildungsbeteiligung und Kompetenzerwerb nicht zufrieden stellen. Im Interesse der Schülerinnen und Schüler, aber auch der Lehrerinnen und Lehrer plädiere ich allerdings sehr dafür, auf den eingeschlagenen Reformwegen nun erst einmal in Ruhe weiterzugehen und die Reformen eine gewisse Zeit lang wirken zu lassen. Außerdem darf die Orientierung an den von Pisa abgefragten Kompetenzen nicht dazu führen, dass Fächer wie Religion, Geschichte, Kunst, Musik oder auch Sport in ihrer Bedeutung abgewertet werden.
Das würde nicht nur dem Menschen nicht gerecht, sondern unserer Gesellschaft auch nachhaltig schaden.

KNA: Kirchliche Schulen verzeichnen bundesweit wachsenden Zulauf. Die Zahl der Gottesdienstteilnehmer dagegen sinkt. Wie erklären Sie sich das?
Becker: Ich denke, das eine lässt sich nur sehr bedingt mit dem anderen vergleichen. Angesichts der allgemeinen Schulpflicht können junge Menschen nicht darüber entscheiden, ob sie zur Schule gehen oder nicht. Gemeinsam mit ihren Eltern können sie lediglich entscheiden, in welche Schule sie gehen möchten. Dass sich dabei katholische Schulen einer großen Beliebtheit erfreuen, hat sicher viele Gründe. Besonders hervorzuheben ist die Atmosphäre an den Schulen, die auf das bereits erwähnte Menschenbild und Bildungsverständnis zurückzuführen ist. Man kann spüren, dass in katholischen Schulen nicht Formeln und Vokabeln, auch nicht Leistung und Zensuren die wichtigsten Kategorien sind. Im Zentrum stehen vielmehr die jungen Menschen selbst.

Wir haben in der Regel einen großen Anteil hoch motivierter Lehrerinnen und Lehrer an unseren Schulen, die sich bewusst für eine katholische Schule entschieden haben, weil sie sich von dem Bildungsverständnis und dem Erziehungskonzept der Schule angesprochen fühlen. Und wir dürfen auch nicht unterschätzen, dass vielen Eltern eine christliche Erziehung ihrer Kinder wichtig ist - auch solchen, die sonntags nicht regelmäßig in die Kirche gehen und keine engere Verbindung mit der katholischen Kirche haben.

KNA: Die katholische Kirche ist mit 1.100 von bundesweit 4.700 Schulen in freier Trägerschaft größter freier Träger in Deutschland. Reicht die finanzielle Unterstützung des Staates?
Becker: Die Situation ist je nach Bundesland sehr unterschiedlich.

In keinem Bundesland ist es so, dass die staatliche Refinanzierung ausreichen würde, um damit die Kosten der Schulen zu decken. Unsere Schulen kosten für unsere kirchlichen Schulträger also immer Geld, teilweise sogar sehr viel Geld. Das hat im Verlauf der letzten 20 Jahre dazu geführt, dass viele Orden ihre Schulen aus finanziellen Gründen nicht mehr halten konnten. Vielerorts haben dann die Bistümer oder bistumsnahe Schulstiftungen die Trägerschaft übernommen. Auch hier stößt man freilich schnell an Grenzen der Belastbarkeit.

KNA: Welche Rolle spielen Fördervereine, Stiftungen und Spenden für katholische Schulen?
Becker: Die materielle Unterstützung unserer Schulen durch Fördervereine und Spenden, je nach Bundesland teilweise auch durch Schulgeld, ist sicher eine wichtige und unverzichtbare Säule der Schulfinanzierung neben dem Eigenanteil der Träger und der staatlichen Refinanzierung. Eine ebenso hohe Bedeutung haben aber auch vielfältige Formen der ideellen und ehrenamtlichen Unterstützung durch die Eltern. Wir erleben erfreulicherweise ein außerordentlich hohes Engagement der Eltern.  Das ist uns wichtig.

Denn zur Erziehungsgemeinschaft der Schule gehören neben Lehrkräften und Schülern auch die Eltern.