Die Christen von Maalula sind weit über die Grenzen Syriens hinaus berühmt, denn seit Jahrhunderten hüten sie in ihrer kleinen Gemeinschaft einen besonderen Schatz: die aramäische Sprache, genauer gesagt, das Westaramäisch. Wenige Kilometer von der Autobahn entfernt, die Damaskus mit der nordsyrischen Stadt Homs verbindet, liegt Maalula, eingebettet in ein 1.650 Meter hoch gelegenes Tal. Im Sommer leben etwa 5.000 Menschen in dem kleinen Ort, denn anders als in Damaskus ist die Luft an den heißen Sommertagen klar und kühl. Im Herbst aber zieht es die Einwohner zurück in die Hauptstadt.
Die Winter in Maalula sind kalt, und der Schnee macht das Leben beschwerlich. Der alte Ortskern drängt sich an die imposanten Felsen der Kalamun-Berge. Hoch über dem Ort, auf einem Felsplateau, steht eines der ältesten Klöster der Region, das Kloster des heiligen Sergius. Etwa elf Prozent der Bevölkerung Syriens sind Christen, die unterschiedlichen Konfessionen angehören.
Das "Vaterunser" auf Wunsch in der alten "Jesus-Christus-Sprache"
Zwischen dem 9. Jahrhundert vor Christus und dem 7. Jahrhundert unserer Zeitrechnung war Aramäisch im Nahen und Mittleren Osten die offizielle Amtssprache. Dieser "aramäische Sprachschatz" lockt jedes Jahr Tausende Besucher in die Klöster von Maalula, wo man das "Vaterunser" auf Wunsch in der alten "Jesus-Christus-Sprache" vorträgt.
Noch heute sei Aramäisch die Umgangssprache der Einwohner, berichtet Emad Rehan, der in Maalula geboren wurde. Arabisch lernte er erst in der Schule. Dennoch sei die Sprache in Gefahr, vergessen zu werden, so der junge Mann: "Heute sind es vor allem die Alten, die das Aramäisch aktiv benutzen. Nur von ihnen können wir Wörter und ihre Bedeutung erfahren, um den Wortschatz zu erhalten." Selbst in den Kirchen von Maalula werde kaum noch Aramäisch gesprochen, so der griechisch-orthodoxe Christ Rehan. Die Liturgie sei in lateinischer oder griechischer Sprache, die Predigt meist in Arabisch. Ihm sei keine Schrift bekannt, die in Aramäisch das Wort Jesu überliefert habe, sagt er.
Ein Lehrinstitut für Aramäisch
Zwar soll der Evangelist Matthäus seine Aufzeichnungen ursprünglich in aramäischer Sprache verfasst haben, doch seien diese verschollen.
Nur wenn er zu Hause für sich ein stilles Gebet spreche, tue er dies in Aramäisch, sagt Emad Rehan. So wie er es von seinen Eltern und Großeltern gelernt hat: "Wir nennen Christus "Mshiha", und Petrus nennen wir "Kefa"; der Name der Gottesmutter ist "Maria" - das hat sich erhalten", erläutert er. "Und als Jesus gekreuzigt wurde, sagte er "Ili ma'schbaktani", mein Vater, warum hast Du mich verlassen?" Einiges könnte er sicher verstehen, wenn Jesus heute wieder sprechen würde, sagt Emad Rehan und lächelt. "Das wäre doch gut."
Mit staatlichen Geldern wurde vor zwei Jahren in Maalula ein Lehrinstitut für Aramäisch eröffnet. Emad Rehan, der sich der Sprache tief verbunden fühlt, ist einer von drei Lehrern, die für ein kleines Gehalt dort vor allem Kinder und Jugendliche unterrichten. Leider fehle es an einer systematischen Erforschung der Sprache, erläutert der junge Lehrer. Das Aramäisch in Maalula sei heute eine "arme" Sprache. Gern würde er ein Wörterbuch und ordentliche Schulbücher erstellen; ein PC-Lehrprogramm wäre hilfreich, um Fernunterricht anzubieten. Zwar hätten sich früher ausländische Sprachforscher in Maalula aufgehalten; doch die Ergebnisse seien in Archiven und Bibliotheken verschwunden.
Von der syrischen Regierung, von den Kirchen und Universitäten wünscht sich Emad Rehan mehr Unterstützung, damit seine Muttersprache erhalten bleibt. "Für mich ist das Aramäische wie ein Schmuck", so der Lehrer aus Maalula. "Ein sehr alter, wertvoller Schmuck. Ich kann ihn überall mit hinnehmen, kann ihn meinen Kindern geben. Es ist meine Sprache, meine Geschichte, das macht mich glücklich."