"Wachkomapatienten brauchen nicht Sterbehilfe sondern Lebenshilfe" - nach dieser Überzeugung arbeitet die private Reha-Einrichtung des 1995 gegründeten Vereins "Patienten im Wachkoma", in der bis zu zehn Patienten im Wachkoma für ein Leben bei ihren Angehörigen vorbereitet werden. Der Vorsitzende des Vereins in Neuenothe bei Bergneustadt in Nordhein-Westfalen, Uwe Pohl (63), bezeichnet das Wachkoma als eine humane Katastrophe.
«Menschen im Wachkoma darf man nicht den Hahn abdrehen und sie verhungern und verdursten lassen», ist Pohl angesichts der Diskussion über Leben und Tod der italienischen Wachkoma-Patientin Eluana überzeugt. Die 38-jährige Italienerin starb mitten in einer erhitzten Debatte um Sterbehilfe in Italien nach einem 17 Jahre währenden Wachkoma. Pohl weiß, wovon er spricht: Seit sechs Jahren pflegt er seine Frau Bärbel, die nach einem Unfall 2001 im Wachkoma lebt.
Etwa 15.000 Menschen fallen jährlich ins Wachkoma, zehn Anfragen pro Monat landen beim Verein «Patienten im Wachkoma». Denn die Rat- und Hilflosigkeit bei Angehörigen ist riesig. Wachkoma - das weckt Assoziationen von «Hirntoten», von bewusstlosem Dahinvegetieren, von menschlichen Hüllen, die zwar Schlaf- und Wachphasen haben, Nahrung aufnehmen und verdauen können, aber ansonsten ohne Empfindung und Selbstbewusstsein am Rande des Todes dahindämmern.
Menschen, die fühlen und empfinden
Für die Mitstreiter des Vereins sind diese Patienten Menschen, die fühlen und empfinden und für deren Genesung oder Wohlbefinden alles getan werden muss. Davon waren sie schon überzeugt, ehe Forscher feststellten, dass das Gehirn von Wachkomapatienten auf Worte von vertrauten Menschen genauso reagiert, wie das Gesunder.
Das Wachkoma ist für die Mitarbeiter der «Wachkoma WG», wie Mitarbeiter Karl Heinz Andree das betreute Wohnen beim Verein nennt, kein Endzustand, sondern im besten Fall ein Zwischenstadium. Wie bei Inge (45), die nach einem Herzstillstand im Wachkoma stecken blieb, oder wie bei Wolfgang (61), der nach einer Tumoroperation nach zehn Tagen vom Koma ins Wachkoma hinüberglitt.
Das Leben in einer Zwischenwelt kann sich über Jahre hinziehen.
Das «Apallische Durchgangs-Syndrom» ist ein schlafähnlicher Zustand mit offenen Augen: Der Patient ist zwar wach, kann sich aber nicht äußern, zeigt keine sinnvollen Reaktionen, er schaut ins Leere. Die Menschen nehmen ihr Umfeld wahr - können es aber nicht zuordnen. Viele Ärzte gäben diese Patienten zu früh auf, beklagt der Verein.
Verzicht auf dauerhafte Luftröhrenkanüle
In Bergneustadt kämpft man dafür, dass solche Patienten nicht in Pflegeheimen als therapieresistent «verwahrt» werden. Die meisten Patienten, die nach Bergneustadt kommen, atmen mit Hilfe von Tracheostoma, also einem Luftröhrenschnitt mit Absaugvorrichtung, und wurden mit Magensonde und Katheter «pflegefertig» gemacht.
In Bergneustadt hat man der dauerhaften Luftröhrenkanüle, deren rasselndes Schnorcheln durch Mark und Bein dringt, mit Erfolg den Kampf angesagt. Denn sie verhindere, dass Patienten reden, schreien, schmecken und riechen können, argumentiert der Verein. «Bis zu 80 Prozent der Patienten können wir die Kanüle abtrainieren», berichtet Andree. Auch essen sollen die Menschen im Wachkoma so normal wie möglich. Deshalb wird die Astronautenkost oder Sondenkost schrittweise abgesetzt, und die Patienten bekommen normale, pürierte Kost.
Nur sehr selten gelinge es, einen Menschen soweit ins Leben zurückzulocken, dass er wieder in den Arbeitsprozess zurück kehren könne. Der Verein beziffert die Quote der Aufgewachten, die wieder ein normales Leben führen können, auf etwa 30 Prozent. Doch solche seltenen Erfolge ließen sich nur bei früher Rehabilitation und mit engen sozialen Kontakten erzielen. «Menschliches Leben, Wachstum und Bewusstseinsentwicklung geschehen durch Bindung und Beziehung zu anderen Menschen», betont der Neurochirurg Andreas Zieger.
In der «Wachkoma-WG» ist nichts von steriler Krankenhaus-Atmosphäre zu spüren. Hier trägt niemand einen weißen Kittel, hier treffen sich Besucher, Pfleger, Therapeuten und Angehörige zum Kaffee in der großen Küche, die Büro, Treffpunkt und Zentrale zugleich ist. Pohl: «Das hier ist keine Pflegeheim sondern ein Trainingslager für das Leben zu Hause. Wir sind kein Heim, wir bringen sie heim.»