Karl-Heinz Wiesemann als Speyerer Bischof ein Jahr im Amt

"Aus der Sakristei rauskommen"

Wenn Karl-Heinz Wiesemann aus seinem Fenster schaut, sieht er nicht nur seine Bischofskirche, den Speyerer Dom, sondern auch den Amtssitz seines evangelischen Pendants, Kirchenpräsident Christian Schad. "Eine angenehme Aussicht", sagt Wiesemann. Der 51-jährige Schad ist erst seit ein paar Monaten im Amt. Wiesemann, mit 48 Jahren der jüngste katholische deutsche Ortsbischof, am Montag exakt ein Jahr

Autor/in:
Michael Jacquemain
 (DR)

Die Gebiete von katholischem Bistum Speyer und evangelischer Landeskirche sind so gut wie deckungsgleich, beide zählen jeweils rund 600.000 Mitglieder. Und fast nirgendwo in Deutschland hat die über Jahrzehnte gewachsene ökumenische Trägerschaft von Sozialeinrichtungen ein so großes Gewicht wie in der Pfalz, in der die Menschen über Jahrhunderte konfessionell hin- und hergetrieben wurden.

Überhaupt Ökumene: Bei der Gebetswoche für die Einheit der Christen Ende Januar predigte der evangelische Schad im katholischen Speyerer Dom. Wiesemann ist Westfale, doch entgegen dem Klischee wuchs er nicht in einem geschlossenen katholischen Milieu auf, sondern im überwiegend evangelisch geprägten Herford. Es passt, dass er die Deutsche Bischofskonferenz in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) repräsentiert.

Trotzdem trat Wiesemann in seinem ersten Speyerer Amtsjahr so gut wie nicht über die Region hinaus in Erscheinung. Das dürfte die nächste Zeit auch so bleiben. «Ich will zuerst das Bistum verstehen, die Gemeinden vor Ort kennenlernen und vor allem zuhören.» Bei Seelsorgern und beim Kirchenvolk zwischen Sankt Ingbert im Saarland und der Industriestadt Ludwigshafen kommt der freundlich-eloquent auftretende und authentisch wirkende Wiesemann gut an. Beim 1. FC Kaiserlautern war der bekennende Arminia-Bielefeld-Anhänger auch schon.

Wiesemann wird bescheinigt, Mitarbeiter vor Ort und in der Bistumsleitung wieder neu motivieren zu können. Auch die ersten wichtigen Personalentscheidungen des Bischofs - zum Jahreswechsel bestellte Wiesemann zwei neue Domkapitulare einschließlich des Generalvikars - stoßen an der Basis ganz überwiegend auf Zustimmung.

Sich selbst beschreibt Wiesemann als «Generation Johannes Paul II.».
Ihn interessiert die Zeit, die zum Zweiten Vatikanischen Konzil Anfang der 1960er Jahre geführt hat. Er will die Wurzeln dieser kirchlichen Erneuerung begreifen. Hans Urs von Balthasar, Romano Guardini und Karl Rahner nennt Wiesemann als ihn prägende theologische Figuren. Der fesselnde Prediger plädiert für eine «geistliche Erneuerung» und eine «religiöse Vergewisserung nach den Umbrüchen des Konzils». Er will aber zugleich, dass die katholische Kirche «aus der Sakristei herauskommt».

Weit weg ist Wiesemann von jeder Form von Fundamentalismus. Sowohl innerkirchlich als auch politisch, wo er vernehmlich «dumpfe rechte Kreise» ablehnt, die in Europa Ängste vor Überfremdung schürten und «eine Art Festung Europa» beschwörten.

Große Konflikte musste der musisch und kulturell interessierte Wiesemann als Speyerer Bischof bislang noch nicht bewältigen. Doch er weiß, dass wirtschaftlich schwierige Zeiten anstehen und sein Bistum wie die meisten anderen massive Personalprobleme hat. Entsprechend bringe sein Amt «neben viel Schönem auch Enttäuschungen mit sich». Natürlich könnten Rolle und Titel einen Menschen verändern, doch wer das wisse, der passe auf. Andererseits sei Veränderung ein Teil des Lebens, «und wer sich nicht verändert, bleibt kindisch». Entscheidend sei, so Wiesemann, dass «die Herzmitte bleibt».