Eines der größten Klöster Ostdeutschlands wird 75 Jahre alt

Und der Mauerfall kam per Radio

Seit 75 Jahren leben, beten und arbeiten hier die Schwestern, die ihr Leben nach der Regel des Heiligen Benedikt von Nursia (um 480-547) ausrichten:

Autor/in:
Christoph Strack
 (DR)

«Wir staunen manchmal selbst, wie viele Beter wir an einem normalen Sonntagnachmittag in unserer Kirche sehen.» Schwester Ruth ist eine der Exerzitienbegleiterinnen der Benediktinerinnen in Alexanderdorf, einem Flecken in der Mark Brandenburg. Seit Jahren registrieren die insgesamt 28 Ordensfrauen eine steigende Tendenz bei Tagesgästen aus dem nahen Berlin. 

Gut 50 Kilometer sind es vom Brandenburger Tor und der Berliner Mitte in das Kloster Sankt Gertrud. Und doch ist Alexanderdorf tiefe Provinz der Mark Brandenburg. Die Telefon-Vorwahl ist sechsstellig, das Mobilfunknetz schwach. Das Dorf hat, wie die Nachbarorte, nicht einmal ein eigenes Kirchlein. 

75 Jahre bei Berlin - das ist auch ein Spiegel deutscher Politik. In den ersten Jahren hatten die Schwestern kaum genug zum Leben und hungerten, berichtet die Chronik. Bald folgten Regime-Gegner auf Durchreise und Gestapo-Besuche, kriegsgefangene Franzosen und Polen, Tiefflieger, Flüchtlinge aus dem Osten, die Russen. Die Benediktinerinnen blieben - trotz Zwangsarbeit und Gefahr. 
Schließlich überstanden sie auch die DDR. «Pax» steht über dem Portal des Haupthauses. «Friede». 

«Wir haben einfach aus dem Glauben an den lebendigen Gott gelebt», berichtet Schwester Gerburg. Die gebürtige Westfalin ist seit gut sechs Jahrzehnten Ordensfrau. 1962 kam sie nach Brandenburg - eine der wenigen, die von West nach Ost die Mauer passierten, um die Schwestern des Konvents zu unterstützen. «Als Asylbewerberin eingereist», sagt die 82-Jährige schmunzelnd. 

Das Kloster sei stets «ein Raum der Freiheit, ein Stück Geborgenheit» gewesen, «ohne Spitzel», erinnert sich die Nonne an die DDR-Jahre. Und als 1989 die Mauer fiel, «da hat das Radio unsere Tischlesung ersetzt. Wir haben das umwerfend miterlebt, jede Kleinigkeit.» 

Mit dem historischen Ereignis wurde auch die nie unterbrochene Verbindung ins niedersächsische Dinklage wiederbelebt. Das dortige Benediktinerinnenkloster Sankt Scholastika entstand 1949 als Tochtergründung der Alexanderdorfer Schwestern. 

Das jüngere und kleinere Dinklage ist, der West-Lage sei Dank, immer noch bekannter als der Konvent in Alexanderdorf und wird als Klostertipp geschätzt. Doch der Osten holt auf. Das liegt nicht nur an den 25 modernen Gästezimmern, die außer der Hostienbäckerei und der Paramentenarbeit zum Unterhalt des Klosters beitragen. 4.200 Übernachtungen gab es im vorigen Jahr, dazu viele Tagesgruppen. 
«Allmählich merken die Berliner Katholiken, dass sie ein Benediktinerinnen-Kloster vor der Tür haben», meint Schwester Ruth. 

Die Mischung aus lateinischem und deutschem Stundengebet, auch der gregorianische Gesang ziehen Gäste an. Zwischen sechs Uhr am Morgen und 19.45 Uhr am Abend kommen die Schwestern - die jüngste 31, die älteste 84 - sechs Mal am Tag zu Gebet und Gesang zusammen. «Der rote Faden ist eben das benediktinische Mönchtum», sagt Schwester Ruth und nennt die Gottsuche, das feierliche Gotteslob, die Gastfreundschaft. 

Als geistliches Zentrum dient eine zum Kirchenraum sehenswert umgebaute alte Scheune. Der Kirchweih in der Mark 1984 ging mehrjähriges Organisieren von Baustoff im System der Mangelwirtschaft voraus. Ein schwieriges Unterfangen, das dank der Hilfe vieler Nachbarn gelang. Mitten in der antikirchlich eingestellten DDR feierten die lebenstüchtigen Ordensfrauen, wie Schwester Gerburg sagt, vor 25 Jahren ein «Jahrhundertfest mit hunderten Besuchern». 

Quelle:
DR