Sozialenzyklika verlangt Paradigmenwechsel in Wirtschaftswelt

Für eine ganzheitliche Entwicklung

Passend zum G-8-Gipfel in der mittelitalienischen Erdbebenmetropole L'Aquila veröffentlicht Papst Benedikt XVI. am Dienstag seine mit Spannung erwartete Sozialenzyklika. Das dritte große Lehrschreiben des Pontifikates heißt nach den lateinischen Anfangsworten "Caritas in veritate" und will die katholische Soziallehre für das Zeitalter der Globalisierung fortschreiben.

Autor/in:
Johannes Schidelko
 (DR)

Es will sich zur Entwicklung der Völker äußern und die ganzheitliche Entwicklung des Menschen in den Mittelpunkt rücken. Äußerer Anlass ist der 40. Jahrestag der Sozialenzyklika "Populorum progressio" (Die Entwicklung der Völker) von Papst Paul VI. Sie erschien 1967 - und so war das neue Schreiben auch bereits vor zwei Jahren erwartet worden. Aber aus praktischen wie inhaltlichen Gründen verzögerte es sich mehrfach. Im vergangenen Herbst zog Benedikt XVI. den fertigen Entwurf nochmals zur Überarbeitung zurück. Denn die Wirtschafts- und Finanzkrise hatte viele neue Frage aufgeworfen, zu denen auch die Kirche ihre Stimme einbringen will.

Bis zuletzt hat Benedikt XVI. an dem Text gefeilt. Er soll ihn sogar bei seiner Heilig-Land-Reise mitgenommen und nochmals reflektiert haben. Zum Schluss sollen noch Schwierigkeiten bei der Übersetzung des Textes ins Chinesische die Veröffentlichung verzögert haben - wie auch die ins Lateinische. Denn da die Sprache Ciceros und des Papsttums bislang keine Vokabeln für "Investmentbank" oder "Kreditklemme" kannte, müssen diese erst neu erfunden und sprachwissenschaftlich für gut befunden werden.

Inhalt des Lehrschreibens ist noch unter Verschluss
Der Inhalt des Lehrschreibens ist noch unter Verschluss. Es soll kein Wirtschaftspapier mit technischen Vorschlägen sein, sondern grundsätzliche Prinzipien für das Verhalten in der Wirtschafts-, Sozial- und Arbeitswelt aufzeigen. Mehrfach hatte sich der Papst in den vergangenen Wochen bereits zu seinem Projekt geäußert. Ihn beschäftigt die Frage nach Werten und Regeln für ein neues und weitsichtiges Entwicklungsmodell, das stärker den Erfordernissen von Solidarität und Menschenwürde Rechnung trägt.

Die aktuelle Wirtschafts- und Finanzkrise habe deutlich gemacht, dass bislang geltende Paradigmen neu überdacht werden müssten, sagte er vor wenigen Tagen vor US-amerikanischen Besuchern. Das gelte für die Industrie- wie für die Schwellen- und Entwicklungsländer. In der aktuellen Krise sieht der Papst einen Mangel an Ethik. Ein Wirtschaftssystem aber brauche Ethik, um funktionieren zu können, ansonsten richte es sich gegen den Menschen. Wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Fortschritt müssen auf das Gemeinwohl ausgerichtet sein, ist die Kirche überzeugt.

Kampf gegen Armut, Hunger und Gewalt
Die Globalisierung an sich sei nicht schlecht, so haben Papst und Vatikan mehrfach deutlich gemacht. Aber sie regelten sich nicht selbst und dürften sich nicht selbst regulieren. Mit klaren Vorgaben jedoch könne sie eine Chance für eine Entwicklung der Menschheit in Gerechtigkeit sein.

In dem Schreiben will Benedikt XVI. dem Vernehmen nach auf den Kampf gegen Armut, Hunger und Gewalt und auf die Verteidigung des Lebens eingehen. Er werde Gerechtigkeit in der Arbeitswelt verlangen und Dumpinglöhne verurteilen. Auch dürfte das Kirchenoberhaupt die Ungleichheit von Arm und Reich sowie Fragen von Frieden und Abrüstung behandeln, über Ökologie und Klimaschutz sprechen und Verantwortung für die Schöpfung anmahnen. Offenbar äußert er sich aber auch zu den Wurzeln der Finanzkrise, zu persönlicher Habgier, Vergötterung des Geldes und zu Egoismus. Bei alledem soll das Papstschreiben aber vor allem Wege zu Gerechtigkeit, Liebe und persönlicher Umkehr aufzeigen.