Streng gläubige Eltern kämpfen gegen die Schulpflicht

Bibeltreue Gesetzesbrecher

Für ihre religiöse Überzeugung nehmen sie Geldstrafen und sogar Gefängnis in Kauf. Immer wieder weigern sich bibeltreue Christen, ihre Kinder in vermeintlich sittlich verdorbene Schulen zu schicken. Die Schulpflicht verletzt in ihren Augen die vom Grundgesetz garantierte Glaubens- und Gewissensfreiheit. In einem aktuellen Fall einer Familie aus Ostwestfalen hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entschieden, dass die Schulpflicht Vorrang hat. Weitere Konflikte sind jedoch vorprogrammiert.

Autor/in:
Holger Spierig
 (DR)

Stein des Anstoßes war ein Schul-Theaterprojekt «Mein Körper gehört mir», bei dem die Kinder für das Thema «sexueller Missbrauch» sensibilisiert werden sollten. Auch in einer Karnevalsveranstaltung, bei der die Schüler im Klassenverband feiern, spielen und essen, sahen die Eltern aus einer Baptistengemeinde einen Angriff gegen ihre Glaubensüberzeugung. Deshalb ließen sie die Kinder an diesen Tagen nicht zur Schule. Das Amtsgericht Paderborn und das danach angerufene Oberlandesgericht Hamm sahen darin Verstöße gegen die Elternverantwortung. Die Eltern sollten deshalb ein Bußgeld von 80 Euro zahlen.

Die Eltern beharren jedoch auf einer Gewissensentscheidung, die vom Grundgesetz geschützt werde. Karneval, so argumentierten sie vor Gericht, sei nicht nur ein katholisches Fest. Vor der Fastenzeit würden sich Katholiken auch Ess- und Trinkgelagen hingeben. Außerdem würden sie sich maskiert und meist völlig enthemmt wie Narren benehmen. Das sei mit ihrem christlichen Glauben nicht vereinbar, betonten die Eltern.

Das Bundesverfassungsgericht sah darin jedoch keine Gewissengründe, die ein Fernbleiben des Unterrichts rechtfertigen würden. Zwar erkannte das Bundesverfassungsgericht an, dass die Schule Neutralität und Toleranz gegenüber den erzieherischen Vorstellungen der Eltern aufbringen müsse. Ein Theaterprojekt zur Prävention vor sexueller Gewalt stellt nach Auffassung des Gerichts jedoch nicht die Glaubensüberzeugungen der Eltern infrage. Außerdem habe die Schule zu der Karnevalsveranstaltung als Alternative einen Schwimmunterricht angeboten, dem die Kinder der bibeltreuen Familie ebenfalls fern geblieben wären.

«Damit wird wieder einmal die Gewissensfreiheit mit Füßen getreten», empört sich der Leiter des freikirchlichen Heimschulwerks «Philadelphia-Schule», Helmut Stücher, über die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes. Sein christlicher Heimschulverein in Siegen unterstützt rund 150 Familien mit eigenem Schulmaterial und pädagogischen Beratern. Ziel sei es, den Eltern zu helfen, ihre Kinder nach ihrem Glauben zu erziehen, heißt es auf seiner Internetseite.

Immer mehr strenggläubige Familien würden sich in Nachbarländer absetzen, in denen der Heimunterricht erlaubt oder toleriert werde, sagte Stücher dem epd. Auch wenn die spektakulären Fälle zurückgegangen seien, gebe es nach wie vor eine Verfolgung, ist Stücher überzeugt. Der 75-Jährige gilt als prominentester Wortführer der Heimschule aus religiösen Gründen. Stücher, der auch seine eigenen Kinder zu Hause unterrichtet hat, verweist gerne auf die lange Tradition des «Homeschoolings» in den USA mit derzeit mehr als 2,2 Millionen Hausschülern.

500 Fälle
Nach Schätzungen des Vereins «Schulunterricht zu Hause» im hessischen Dreieich sollen es 500 Kinder und Jugendliche sein, die in Deutschland aus religiösen Motiven von ihren Eltern zu Hause unterrichtet werden. Andere Schätzungen gehen sogar von bis zu 3.000 Hausschülern aus, die hierzulande aus unterschiedlichen Gründen Unterricht zu Hause erhalten.

Die Reaktionen der Bundesländer auf die «Schulverweigerer» aus religiösen Gründen reichen von stillschweigender Duldung bis zu massivem Polizeieinsatz. Nicht überall geht es dabei so weit wie in Bayern, wo vor einigen Jahren 25 Kinder der Glaubensgemeinschaft «Zwölf Stämme» von Polizisten zwangsweise zur Schule gebracht wurden. Inzwischen darf die Gemeinschaft «Zwölf Stämme» ihre Kinder in einer Ergänzungsschule auf ihrem Gut selbst unterrichten.

Für Schlagzeilen hatte vor vier Jahren auch die Flucht von acht bibeltreuen Spätaussiedlerfamilien aus dem Kreis Paderborn in Nordrhein-Westfalen gesorgt. Mit ihrem zwischenzeitlichen Aufenthalt in Österreich kamen sie einem Polizeieinsatz zuvor, nachdem Bußgelder und Erzwingungshaft wirkungslos geblieben waren. Ein Teil der Kinder lernt mittlerweile auf einer christlichen Privatschule in Baden-Württemberg.

Die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) beobachtet dagegen die christlich-fundamentalistische Heimschulbewegung mit Skepsis. Ein massiver Rückzug aus einer vermeintlich bösen Welt fördere nicht das Zusammenleben der Menschen, warnt EZW-Referent Reinhard Hempelmann. «Kinder sollten nicht in einer Parallelwelt aufwachsen», betont er.