Vor 25 Jahren wurde Äthiopiens Hunger öffentlich

"Wieder im Rückwärtsgang"

Vor genau 25 Jahren lief auf den TV-Bildschirmen weltweit eine aufsehenerregende Reportage über den Hunger in Äthiopien. "Das Land ist noch immer eines der ärmsten", sagt Dr. Renée Ernst. Im domradio-Interview spricht die Deutschland-Beauftragte für die UN-Millenniumskampagne über Erfolge und Niederlagen im Kampf gegen den Hunger.

 (DR)

domradio: Bevor wir über die Kampagne sprechen: die Bilder von damals sind auch heute noch in Erinnerung. Was hat sich seit der Hungerkatastrophe 1984 in Äthiopien getan?
Ernst: Äthiopien ist leider noch immer eines der ärmsten Länder der Welt. Aber seit den 80er Jahren hat sich Einiges im Bereich der Ernährungslage getan, das hat sich auch deutlich verbessert. Die Regierung dort - wenn auch nicht gerade bekannt für gute Regierungsführung - hat sich dennoch verstärkt um Schulbildung, um Gesundheitsvorsorge und insbesondere um Infrastrukturmaßnahmen in den ländlichen Regionen gekümmert. In den vergangenen 15 Jahren hat sich die Zahl der Hungernden dort halbiert. Dennoch liegt Äthiopien im alljährlich erscheinenden Hungerindex auf einem der letzten Plätze. Wir alle haben noch die Bilder von Anfang dieses Jahres vor Augen mit Hungerrevolten auf der ganzen Welt, Äthiopien war davon auch betroffen. Ein Beispiel: Familienmitglieder essen hier nach Wochentagen gestaffelt, montags hat der Vater was bekommen, dienstags die Mutter, das Jüngste jeden Tag eine Kleinigkeit.

domradio: Aus dem UN - Millenniumsgipfel vor neun Jahren ist eine Millenniumserklärung hervorgegangen. Darin steht auch das Ziel, bis 2015 den Anteil der Menschen zu halbieren, die an Hunger leiden.
Welche Erfolge können Sie hinsichtlich dieser Zielsetzung verbuchen?
Ernst: Es ist so, dass wir in den Jahren seit der Millenniumserklärung bis 2007 bereits beeindruckende Erfolge erzielt hatten, die Hungerraten waren schon gesunken. Seitdem die Nahrungsmittelpreise explodiert sind und seit der Finanzkrise haben wir aber wieder den Rückwärtsgang eingelegt. Es ist ganz dramatisch, gerade erst hat die FAO einen Bericht veröffentlicht, nach dem wir wieder Rekordwerte verzeichnen: Über eine Milliarde Menschen auf der Welt leiden Hunger, das ist jeder Sechste! Das ist natürlich sehr alarmierend, zumal die Entwicklungsländer, die davon betroffen sind, diese Krise gar nicht zu verantworten haben. Das gilt auch für den Klimawandel.

domradio: Seit 2005 existiert die UN - Millenniumskampagne in Deutschland, die sich für die weltweite Einhaltung der Millenniumsziele wie die Bekämpfung von Armut, Hunger und HIV/AIDS einsetzt. Am vergangenen Wochenende fand das sogenannte Stand Up 2009 statt, an dem sich weltweit 173 Millionen Menschen beteiligten. Welche Aktionen wurden durchgeführt und was haben sie bewirkt?
Ernst: Dieser große Tag am Internationalen Tag der Armutsbekämpfung der Vereinten Nationen wurde bereits zum vierten Mal durchgeführt. Es beteiligen sich in jedem Jahr mehr Menschen, inzwischen sind wir über zwei Prozent der Weltbevölkerung. Weil einfach auch die Diskrepanz zwischen Arm und Reich immer größer wird und die Unzufriedenheit der Menschen über diese Zustände wächst. An diesem Aktionswochenende sind weltweit Menschen auf die Straße gegangen, in Bangladesch zum Beispiel 50 Prozent der Bevölkerung - mit einem Appell an die Regierungen, ihr Versprechen aus dem Jahr 2000 einzuhalten.

Hören Sie hier das Gespräch in voller Länge.